Die angeblich gleichberechtigte Baustelle

Am Belderberg gibt es eine Baustelle, bei der ich die Radverkehrsführung ziemlich schlecht finde. Und so wie die anderen Leute fahren, bin ich wohl nicht der einzige.

Ziel 6 des Radentscheides enthält diesen Satz zu Baustellen:

Das bedeutet auch, dass im Falle von Baustellen alle Verkehrsarten gleichberechtigt und sicher umgeleitet werden müssen.

Wir wollen also eine gleichberechtigte Führung an Baustellen. Es soll also kein »Radfahrer absteigen« geben während für den Autoverkehr zwei Fahrstreifen bleiben.

Schauen wir einmal in den Transparenzbericht zum Radentscheid. Dort finden wir zu Baustellen nur das hier zum aktuellen Umsetzungsstand:

Die Einrichtung von Baustellen orientiert sich an den Vorgaben der StVO. Anlassbezogen wird der Leitfaden „Baustellenabsicherung im Bereich von Geh- und Radwegen“ der Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte (AGFS) herangezogen.

In unseren regelmäßigen Treffen sprechen wir das Thema an, jedoch sieht man bei sich kein Verbesserungspotential, weil man es schon alles super machen würde.

Nun gibt es auf der Kreuzung B 9 Belderberg und Rheingasse eine ungeplante Baustelle wegen eines Rohrbruches. Das kann passieren. Und das Problem liegt leider auch genau unter dem Radfahrstreifen. Außerdem gibt es etwas weiter nördlich direkt die nächste (geplante) Baustelle. Es ist also nicht ganz einfach. Soweit ich das verstanden habe, wurde die Baustelle auch von den Stadtwerken und nicht vom Tiefbauamt eingerichtet.

Aber schauen wir uns die Situation einfach mal an. Von Süden kommend finden wir hinter dem Koblenzer Tor das hier vor:

Die Kernfahrbahn hat einen Fahrstreifen und weitet sich dort auf zwei Richtungsfahrstreifen auf. So können Autofahrende, die nach rechts abbiegen wollen, in aller Ruhe den Radverkehr durchlassen ohne den rückwärtigen Autoverkehr geradeaus aufzuhalten.

Der Radverkehr hat einen eigenen Radfahrstreifen, der nicht nur die Mindestbreite aufweist und sogar noch einen ganz ordentlichen Trennstreifen zu den Parkplätzen hat. Das ist schon ziemlich gut.

Allerdings stehen da irgendwie so Baken. Die erste Bake steht auch anders als die anderen. Die deuten immer die Richtung an, in die es auch runter geht. Die erste Bake deutet nach unten rechts, die anderen nach unten links.

Mit dem Fahrrad soll man hier natürlich dem Radfahrstreifen folgen und sich ganz rechts auf der Fahrbahn halten.

Der Radfahrer im roten T-Shirt hat das auch gemacht, schließlich ist das ja auch durch das Zeichen 237 (Radweg) nutzungspflichtig.

Das blöde ist jetzt allerdings diese Baustelle. Durch die Baken wird man bis nach ganz vorne geleitet. Und dann steht man dort. Tja, wie fährt man denn jetzt weiter?

Man müsste sich jetzt nach links in den fließenden Autoverkehr einordnen und dabei auch nicht von den Rechtsabbiegern überfahren werden. Man muss wirklich eine recht knappe S-Kurve fahren und dabei den rückwärtigen Verkehr überwachen.

Ich habe die Stelle für die Fotos ein bisschen beobachtet. Man sieht immer wieder geübte Radfahrende, die einfach rechts an der Baustelle vorbeifahren. Zum Beispiel dieser Lieferfahrer hier. Der ordnet sich rechts ein.

Dann fährt er rechts an der Baustelle vorbei. Das ist auch kein Problem, die Fußgängerfurt beginnt erst rechts von der weißen Linie, die er nicht gequert hat.

Er kommt dann auf der anderen Seite raus und kann dort den Radfahrstreifen nutzen.

Andere haben sich auch schon einfach auf dem Rechtsabbiegerstreifen eingeordnet. Das darf man nicht, schließlich ist der Radfahrstreifen nutzungspflichtig.

Als die Ampel dann aber grün geworden ist, konnten sie ganz einfach in dem Verkehr mitschwimmen und hatten eben nicht das Problem des Einordnens.

Die Frau im türkisen Oberteil hat sich aber an die Nutzungspflicht gehalten und muss jetzt schauen, wie sie sich dort einordnet. So richtig sicher sieht das nicht aus, ob die Person in dem grauen SUV sie gesehen hat und die Geschwindigkeit anpasst?

Hier sieht man nochmal jemanden, der sich links der Baken eingeordnet hat. Da ist das viel einfacher.

Hätte die Stelle, die die Baustelle eingerichtet, eine bessere Idee gehabt, hätte sie die umgesetzt. Hat sie aber nicht.

Mir als Radfahrer gefällt diese Regelung allerdings nicht wirklich, ich halte sie für unnötig gefährlich.

Ist doch alles geregelt?

Man könnte durchaus versuchen zu argumentieren, dass es auch gar kein Problem gibt. Die Baustelle ist halt auf dem Radweg, das ist immer doof. Und die StVO regelt, wie man sich in diesen Situationen zu verhalten hat. Nehmen wir StVO § 7(4), finden wir dies:

Ist auf Straßen mit mehreren Fahrstreifen für eine Richtung das durchgehende Befahren eines Fahrstreifens nicht möglich oder endet ein Fahrstreifen, ist den am Weiterfahren gehinderten Fahrzeugen der Übergang auf den benachbarten Fahrstreifen in der Weise zu ermöglichen, dass sich diese Fahrzeuge unmittelbar vor Beginn der Verengung jeweils im Wechsel nach einem auf dem durchgehenden Fahrstreifen fahrenden Fahrzeug einordnen können (Reißverschlussverfahren).

Fahrräder sind auch Fahrzeuge. Ein Radfahrstreifen ist auch ein Fahrstreifen. Auch wenn der Paragraph mit »Benutzung von Fahrstreifen durch Kraftfahrzeuge« betitelt ist, könnte man den beim Reißverschlussverfahren dazuzählen. In diesem Fall fahren die Radfahrenden bis ganz nach vorne und werden dann reingelassen. Alles super.

Und dann haben wir natürlich noch die generelle Rücksichtnahme. Im ersten Bild kann man das Zeichen 123 (Arbeitsstelle), also das Baustellenschild, sehen. Dies ist ein Gefahrenzeichen laut StVO Anlage 1. Diese sagen nach StVO § 40(1):

Gefahrzeichen mahnen zu erhöhter Aufmerksamkeit, insbesondere zur Verringerung der Geschwindigkeit im Hinblick auf eine Gefahrsituation (§ 3 Absatz 1).

Schaut man dann noch in StVO § 3(1), finden wir diesen Absatz:

Wer ein Fahrzeug führt, darf nur so schnell fahren, dass das Fahrzeug ständig beherrscht wird. Die Geschwindigkeit ist insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen sowie den persönlichen Fähigkeiten und den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen. Beträgt die Sichtweite durch Nebel, Schneefall oder Regen weniger als 50 m, darf nicht schneller als 50 km/h gefahren werden, wenn nicht eine geringere Geschwindigkeit geboten ist. Es darf nur so schnell gefahren werden, dass innerhalb der übersehbaren Strecke gehalten werden kann. Auf Fahrbahnen, die so schmal sind, dass dort entgegenkommende Fahrzeuge gefährdet werden könnten, muss jedoch so langsam gefahren werden, dass mindestens innerhalb der Hälfte der übersehbaren Strecke gehalten werden kann.

Und dann gibt es natürlich noch StVO § 1:

  1. Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.
  2. Wer am Verkehr teilnimmt hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.

Nimmt man das jetzt alles zusammen, so ist es in der Theorie wunderbar geregelt. Autofahrende müssen generell umsichtig und rücksichtsvoll sein, Radfahrende auch. Beide sehen, dass es dort eine Baustelle gibt, die noch einmal mehr zu Rücksicht mahnt. Von daher wird es für den Radverkehr kein Problem sein sich in die Spur des Autoverkehrs einzuordnen.

Seien wir mal realistisch

In der Theorie ist das alles geregelt. In der Theorie ist aber auch geregelt ob man auf schmalen Fahrbahnen parken darf. In dem verlinkten Beispiel werden die Autos trotzdem illegal auf dem Gehweg geparkt. Und dann haben wir diese gruseligen Autofahrenden mit ihrer Fantasie-StVO, die durch ihre fetten Fahrzeuge aber Fakten schaffen.

Gretchenfrage: Wer würde da gerne seine Kinder langfahren lassen? Wer hält das für intuitive Infrastruktur? Wer würde ein zehnjähriges Kind das als Schulweg fahren lassen?

Irgendwer? Nein? Wenn ich mich dumm stelle, verstehe ich das Problem gar nicht. Die Autofahrenden nehmen doch Rücksicht, so steht es im Gesetz geschrieben!

Man muss aber im Straßenverkehr klar unterscheiden. Würde ich einen Menschen töten ohne ein niederes Motiv zu haben, so wäre das Totschlag. Laut Strafgesetzbuch § 212 wird das mit mindestens fünf Jahren Freiheitsstrafe bestraft. Verursacht man einen Unfall durch nicht angepasste Geschwindigkeit, so ist das eine Ordnungswidrigkeit mit 35 bis vielleicht 150 EUR Strafe. Hält man mit dem Auto einfach drauf und tötet jemanden oder verletzt jemanden schwer, so ist das halt einfach nur eine Ordnungswidrigkeit.

Als ich dort beobachtet hatte, lief es noch einigermaßen sinnvoll. Die Situationen waren aber trotzdem nicht ungefährlich, falls die Personen nach allen Vorschriften gefahren sind. Haben sie sich schon früher links der Baken eingeordnet oder sind einfach rechts an der Baustelle vorbeigefahren, war es deutlich besser.

Der Verweis der Stadt auf die StVO erscheint mir einfach zu kurzsichtig und realitätsfern. Natürlich sind in der StVO irgendwie alle Fahrzeuge gleichberechtigt. In der Realität ist es aber nicht so. Sich darauf zurückzuziehen ist faul und ignorant.

Mit der Argumentationslinie könnte man auch mal in Grundgesetz Artikel 3 schauen. Dort findet man das hier:

Männer und Frauen sind gleichberechtigt.

Top, Mission erledigt, wir können nach Hause gehen! Wir müssen nichts mehr tun, alles läuft perfekt.

Aber nicht so schnell. Da ist noch ein weiterer Satz:

Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

Man hat also gesehen, dass es nicht reicht das ganze nur in ein Gesetz zu schreiben. Man muss aktiv etwas tun. Genau das fordern wir als Radentscheid.

Was könnte man denn besser machen?

Die aktuelle Form der Baustelle muss das Optimum für die Stadtverwaltung darstellen, andernfalls hätten sie die Baustelle anders organisiert. Meckern ist natürlich immer einfach, was hätte man denn konkret besser machen können?

Ich finde die Baken total bekloppt. An anderen Stellen bekommen wir immer wieder erzählt, dass bauliche Trennung wegen der Feuerwehr nicht gehen würde. Und jetzt stehen da plötzlich Baken, die für die Feuerwehr ein Hindernis darstellen können. Das erschließt sich mir nicht ganz. Was soll damit bezweckt werden? Soll der Radverkehr ganz rechts gehalten werden, damit er erst kurz vor der Baustelle sehen kann, wo er bleibt?

Ich hätte da erst gar keine Baken installiert. Vielmehr hätte ich Radverkehr möglichst frühzeitig zum Autoverkehr gemischt, damit das nicht erst im Kreuzungsbereich passiert. Vielleicht wäre es sinnvoll gewesen den Radfahrstreifen mit Baken abzutrennen und so den Radverkehr nach links zu leiten.

Oder man hätte den Radverkehr mit Schildern rechts um die Baustelle herum leiten sollen. So hätte zum Beispiel unter das Zeichen Radweg noch das Zeichen 513-20 gepackt:

Vielleicht ist das aber nicht zulässig. Man hätte auch ein nicht-amtliches Schild aufstellen können, was man aber erstmal herstellen müsste. Das ist bei einer ungeplanten Baustelle auch nicht möglich.

Könnte man etwas mehr Arbeit investieren, so hätte man mit gelben Linien noch eine klare Einfädelung für den Radverkehr bauen können. Man hätte den Radfahrstreifen klar nach links verschwenken können. So wäre auch für den Autoverkehr ersichtlich gewesen, dass da Radverkehr kommt.

Die beste Idee hat natürlich die FDP. Die haben einfach vorgeschlagen einen Tunnel unter das Koblenzer Tor zu machen. Laut deren Antrag sollte der Tunnel sogar direkt bis zum Bertha-von-Suttner-Platz gehen. Somit würde diese Kreuzung dort entfallen, der Radverkehr hätte gar keinen Autoverkehr um sich herum. Sieht man einmal von der U-Bahn, den unterirdischen Versorgungsleitungen um das Koblenzer Tor, den absurden Kosten und der Unterführung auf Höhe der Oper ab und ignoriert noch die geplante Einstreifigkeit (pro Richtung) der Adenauerallee, dann ist das bestimmt eine ganz tolle Idee.

Im Antrag findet sich noch das hier:

und der Bereich würde erheblich an Aufenthaltsqualität gewinnen.

Mit weniger Autos würde die Stadt mehr Aufenthaltswert gewinnen. Schön, dass die FDP da nun auch dabei ist.

Fazit

Mir scheint diese Baustelle wieder eines von vielen Beispielen zu sein, bei denen der Radverkehr eben nicht mitgedacht worden ist. Einen wirklichen Hebel gibt es allerdings nicht. Und somit werden wohl auch noch in Zukunft Baustellen für den Radverkehr nicht gerade angenehm angelegt werden.