Fahrräder seien wegen Mindestgeschwindigkeit zu Gast auf Fahrbahn

Bei manchen kurzen Gesprächen mit Autofahrern tun sich Abgründe auf. Es ist erschreckend, welche Ansichten Leute haben, die ein so schweres Gerät im Straßenraum bewegen dürfen.

Auf dem Weg zum Treffen des Radentscheides fuhr ich wie sonst auch die Siegburger Straße entlang. Die hat einen Gehweg, der zum Radfahren freigegeben ist. Allerdings ist der nicht sonderlich gut zu fahren, siehe den Blogartikel zur Radinfrastruktur an der Siegburger Straße. Weil es ein für den Radverkehr freigegebener Gehweg ist, kann ich dort fahren, muss aber nicht.

Seitdem es dort Tempo 30 gibt, ist das Fahren auf der Fahrbahn auch viel angenehmer. Das mache ich jetzt auch meistens. Der Großteil der Radfahrer fährt aber weiterhin auf dem Gehweg. Das war früher halt einmal ein Zweirichtungsradweg, das ist aber seit mindestens 2019 nicht mehr der Fall; davor war ich noch nie dort.

Kurz vor der Kreuzung mit Pützchen Chaussee und Gartenstraße hat mich noch jemand überholt. Ich fuhr so 24 km/h, die Person wohl so um 30 km/h. Kein Thema, es wurde genug Abstand gelassen. Danach überholte mich aber noch eine zweite Person, absichtlich eng. Das Auto erfüllte auch alle Klischees: VW Tiguan der R-Serie mit Spurverbreiterungsplatten. Das ist also ein Sport-SUV, das sich gut als Persönlichkeitsprothese eignet. Nach dem Überholvergang zog der Fahrer dann auch noch ganz weit nach rechts an den Fahrbahnrand, damit ich bloß nicht an der Ampel wieder nach vorne fahren kann.

An Ampeln darf man mit dem Fahrrad nämlich nach ganz vorne fahren, wenn der Autoverkehr steht oder zumindest sehr langsam ist. Der Fahrer hier schien das nicht zu wollen. Er stand dann mit mir an der Ampel. Wenn ich nach vorne gefahren wäre, hätte ich sein Überholen ja wieder zunichte gemacht. Da war schon klar zu spüren, dass diese Person kein Herz für Radfahrer hat.

Weil da aber der Gehweg für den Radverkehr freigegeben ist, bin ich da einfach draufgefahren und habe einmal an das Beifahrerfenster geklopft. Häufig lassen diese Art Leute erst gar nicht die Scheibe herunter, mit anderen ist kein Gespräch zu führen. Ich wies den Fahrer freundlich darauf hin, dass er mich schon sehr eng überholt hat. Er antwortete mit einer Frage, nämlich was das da eigentlich für ein Weg sei, ob das denn kein Radweg sei.

Hier sehe ich schon die erste wirklich gefährliche Denkweise. An der Widmung der Nebenanlage hängt ob ich auf der Fahrbahn fahren darf. Würde es sich um einen nutzungspflichtigen Radweg handeln, dürfte ich nicht mehr auf der Fahrbahn fahren. Fahre ich doch dort, dann ist das eine Ordnungswidrigkeit:

Sie benutzten nicht den vorhandenen Radweg (Zeichen <237/240/241>), obwohl dieser für Ihre Fahrtrichtung gekennzeichnet war. (Tatbestndsnummer 141446)

Das kostet 20 EUR. Mit Behinderung dann 25 EUR, mit Gefährdung 30 EUR und mit Unfall 35 EUR. Das ist also alles wunderbar geregelt.

Nun hat der Autofahrer mich aber absichtlich knapp überholt weil er annahm, dass ich nicht auf der Fahrbahn fahren darf. Er hat dies mit dem Ziel gemacht mich ein sehr unangenehmes Gefühl spüren zu lassen, mich zu gefährden. Es ist eine Machtdemonstration mit dem Zweck der Erziehung. Wenn Autofahrer das untereinander machen, sich gegenseitig mit 30 km/h schneiden, so kommt es maximal zu Blechschäden. Das ist ein bisschen wie beim Autoscooter: Man kann sich mit einer gewissen Geschwindigkeit rammen und das passt schon. Wenn man aber mit dem Auto einen Radfahrer touchiert, gibt das schon sehr unangenehme Verletzungen.

Der Autofahrer hat also in Kauf genommen mich zu verletzten weil er (fälschlicherweise) annahm, dass ich gegen die Nutzungspflicht eines Radweges verstoßen hätte. Das ist ein Niveau von Überheblichkeit, Anmaßung und Selbstjustiz das in anderen Lebensbereichen hoffentlich undenkbar wäre. Entweder hatte der Fahrer wirklich keinerlei Vorstellung davon, wie gefährlich ein Unfall ohne Knautschzone ist oder er nimmt das eiskalt in Kauf. Beides ist furchtbar.

Ich erklärte dem Herren das Konzept von einem Gehweg mit Fahrradfreigabe. Ich könnte dort fahren, müsste aber Schrittgeschwindigkeit fahren, wenn dort Fußgänger sind. Dort sei ich nur zu Gast, müsste entsprechend auf der Fahrbahn fahren. Der Fahrer hatte noch eine weitere Regel in seiner Fantasie-Straßenverkehrsordnung: Die Mindestgeschwindigkeit auf der Fahrbahn. So erklärte er mir, dass ich auf der Fahrbahn auch nur zu Gast sei, weil ich schließlich nicht die Mindestgeschwindigkeit von 30 km/h erreichen könnte. Puh.

Diese runden Schilder mit weißem Hintergrund, roten Rand und schwarzen Zahlen sind Höchstgeschwindigkeiten. Mindestgeschwindigkeiten gibt es, aber nicht so wie in dessen Fantasie-StVO: Es gibt die Regel nach der Fahrzeuge auf der Autobahn baulich die Möglichkeit haben müssten mindestens 60 km/h zu erreichen. Damit werden Mofas ausgeschlossen, Fahrräder entsprechend auch. Auf Straßen mit mehreren Fahrstreifen pro Richtung gibt es teilweise Mindestgeschwindigkeiten auf den linken Fahrstreifen, das ist innerorts aber nicht der Fall. Das kann man ganz selten auf überortlichen Straßen finden, bei denen für die LKWs aufgrund der Steigung nur sehr langsam fahren können. Diese sollen dann alle rechts bleiben.

Nach StVO § 2 haben Fahrzeuge die Fahrbahn zu nutzen; Fahrräder sind nach StVZO Fahrzeuge. Somit haben Fahrräder die Fahrbahn zu nutzen, wenn es keinen Radweg gibt. Da es hier keinen gibt, bin ich auf der Fahrbahn genau richtig.

Die Ampel wurde dann grün, ich konnte alle Punkte unterbringen. Ob der Herr das verstanden hat, weiß ich nicht. Der und sein Sport-SUV sahen so aus, als wäre er ganz tief in der Wertewelt Auto eingebettet und die Radfahrer stören ihn nur bei der freien Entfaltung der im Benzin gespeicherten Energie.

Solche Situationen sind für mich leider Alltag. Wenn ich nur einen Idioten auf einer Strecke habe, ist das eine gute Quote. In solchen Gesprächen merke ich immer wieder, was für absurde Vorstellungen die Leute haben. Das lässt sich überhaupt nicht mit der StVO in Einklang bringen. Diese Leute haben einen Führerschein und es gibt keinerlei Kontrollen ob sie die Theorie noch im Ansatz behalten haben. Sie fahren nach gefühlter StVO.

Und nach dieser Fantasie-StVO ist es anscheinend legitim die körperliche Unversehrtheit von Radfahrern fahrlässig aufs Spiel zu setzen um sie nach dieser Fantasie-StVO zu erziehen.

Man müsste sich mal vorstellen, das passiere in anderen Lebensbereichen. Man denkt sich einfach Regeln aus, wie dass mir Leute in der Fußgängerzone aus dem Weg gehen müssten, alle müssten auf der rechten Hälfte der Wege gehen. Und wenn einer das nicht macht, dann würde ich den einfach mit einem Messer so ein bisschen in den Bauch piksen. Da passiert doch nichts bei!

Dann wäre aber wirklich was los. Da wäre dann bestimmt die Polizei da. Ich würde überrascht feststellen, dass Stichverletzung in den Bauchraum extrem gefährlich sind. Und zuletzt würde ich noch erklärt bekommen, dass man in der Fußgängerzone gar nicht scharf rechts gehen muss um mir Platz zu machen.

Ich will doch nur mit meinem Fahrrad meine Alltagsfahrten erledigen. Ich halte niemanden absichtlich auf, halte mich recht pedantisch an die Verkehrsregeln und nehme keinen Platz auf der Autobahn weg. Warum gefährdet man mich immer wieder?