Küchen-Psychogramm eines Außendienstleisters

Die Tage war ich mit dem Fahrrad unterwegs und sah einen Außendienstmitarbeiter eines Industrieunternehmens mit einem großen Handwerkerwagen auf dem Radweg stehen. Ich habe neben dem Auto angehalten, und durch die geschlossenen Fenster auf den Radweg gestikuliert. Der Fahrer ließ das Fenster herunter, und drückte mir diesen Satz rein:

Wenn du einen Führerschein hättest, wüsstest du: Autos mit rot-weißen Streifen dürfen alles.

Dann machte er das Fenster wieder zu und grinste dabei ganz überlegen. Für ihn war die Unterhaltung damit dann beendet. Er schaute wieder auf sein Klemmbrett und ignorierte mich.

Das ganze hat mich natürlich ziemlich aufgeregt, aber ich habe das vor Ort nicht weiter verfolgt. Vielmehr habe ich darüber nachgedacht, wie viel eigentlich in diesem Satz drinsteckt. Das möchte ich hier mit Küchenpsychologie einmal auseinandernehmen.

Führerschein

Es fängt mit dem Führerschein an. »Wenn du einen Führerschein hättest«, sagte er. Darin steckt die Überzeugung, dass ich keinen Führerschein hätte. Das stimmt nicht, ich habe Führerschein Klassen A und B, also für Motorrad und PKW. Irgendwie muss er aber die Annahme getroffen haben, und das wahrscheinlichste wird mein Fahrrad sein.

Wenn jemand bei vielleicht 4 °C mit dem Fahrrad unterwegs ist, und derjenige Trekkingkleidung und Sturmhaube trägt, dann wird der wohl häufiger mit dem Fahrrad unterwegs sein. Der Teil ist ja auch korrekt.

Aber daraus zu schließen, dass ich mit dem Fahrrad fahren muss, deutet an, dass ich keine Alternativen hätte. Würde ich keinen Führerschein haben, so könnte ich noch mit dem Bus fahren. Aber dann hätten wir diese Begegnung nicht gehabt. Und wenn ich einen Führerschein habe, könnte ich auch mit dem Auto fahren. Und wenn man mit dem Auto fahren könnte, so wird man das in dessen Welt wahrscheinlich auch immer tun. Das Fahrrad wird man in seiner Welt nur dann nutzen, wenn man nicht mit dem Auto fahren kann.

Das Auto ist also dem Fahrrad in jedem Belang klar überlegen. Jemand, der ein Auto und Führerschein hat, der würde niemals freiwillig darauf verzichten und das Fahrrad nehmen. Dass das Fahrrad auf kurzen Strecken, oder bei Wegen in die Innenstadt dem Auto überlegen sein könnte, das scheint in seiner Bewertung keinen Einfluss zu haben.

Was ist denn mit Leuten, die zwar einen Führerschein, aber kein Auto haben? Die könnten ja auch mit dem Fahrrad unterwegs sein. Aber wenn Radfahrer in seiner Wahrnehmung keine Führerscheine haben, so haben alle Leute mit Führerschein ein Auto. Niemand würde freiwillig auf ein Auto verzichten, wenn er es fahren darf.

Und das bringt dann noch die nächste Annahme aus dem Ableism: Jeder kann sich ein Auto leisten, und jeder kann ein Auto bedienen. Vielleicht verdient er so gut, dass er und alle seine Bekannten sich ein Auto leisten können. Oder er verdient wenig, und gibt trotzdem alles für ein Auto aus. Vielleicht wohnt er auch auch außerhalb, und ist dann auf das Auto angewiesen, weil es dort keine Alternativen gibt.

Sonderrechte im Führerscheinunterricht

Als nächstes der Teilsatz »dann wüsstest du«. Dieser Teilsatz trieft auch wieder vor Arroganz. Autofahrer seien etwas besseres, sie wüssten mehr über den Straßenverkehr, als die anderen. Ich wage zu behaupten, dass ich die StVO besser kenne als der durchschnittliche Autofahrer. Viele Autofahrer wissen nicht, was eine Fahrradstraße genau ist. Sie wissen auch nicht, wo man nicht parken darf. Trotzdem hält sich der Herr hier für den König des gesamten Straßenverkehrs.

Und genau diese Überheblichkeit und Ignoranz führt dann dazu, dass man in einer Fahrradstraße überholt wird. Dabei wird man am besten auch noch angehupt, weil man es wagt, nebeneinander zu fahren. Oder Autofahrer*innen parken auf dem Gehweg und fühlen sich noch im Recht.

Wie viele Leute können ihre Fahrtrichtung an einer abknickenden Vorfahrtsstraße richtig anzeigen? Wenn man es so beobachtet, sind es in der Tat die wenigsten.

Das Auto darf

Dann sagte er noch, dass das »Auto alles darf«. Nicht der Fahrer, sondern das Auto. Diese Denkweise spürt man immer wieder. Sei es die Pressemeldungen der Polizei, die »Transporter erfasst Radfahrerin« schreiben, als wäre der Transporter autonom gefahren. Oder wenn man beim Auschecken im Hotel gefragt wird, »wo man denn stehe?« Gemeint ist das Auto der Person, die Person steht schließlich vor dem Tresen der Rezeption.

Ist das Auto erstmal sprachlich als eigener Akteur etabliert, so ist es nicht weit, bis das Auto eigene Rechte bekommt. Und entsprechend bekommt das Auto ein Recht auf hinreichende Geschwindigkeitsentfaltung, das Recht auf kostenlose Parkplätze in der Nähe von Wohnung, Arbeit und Geschäften. Das Recht auf grüne Wellen, das Recht auf Fahrbahnen ohne Schlaglöcher. Dabei nimmt Lebensraum für Autos den Menschen und vor allem Kindern den Lebensraum weg. Das sehen die Leute aber nicht mehr, schließlich sehen sie die Welt aus der Perspektive ihres Autos.

Irgendwie sind besonders Männer auf einmal sehr empathisch, wenn es um die Bedürfnisse ihres Autos geht. Haben sie sonst doch häufiger das Problem die Gefühle und Bedürfnisse der anderen nicht so recht spüren zu können, so schaffen sie es beim Auto sehr gut. Sie sprechen als der Anwalt ihres Autos, vergessen dabei aber anscheinend sich und ihre Mitmenschen.

Alles dürfen

Der Fahrer behauptet, dass die rot-weißen Aufkleber zu Allem berechtigen. Die besagten Sonderrechte für Fahrzeuge mit rot-weißen Aufklebern sind in StVO § 35 definiert. Dort werden einige Sonderrechte definiert. Die meisten sind für Polizei, Bundeswehr, Rettungsdienst und so weiter.

Zu den rot-weißen Markierungen steht in Absatz 6:

Fahrzeuge, die dem Bau, der Unterhaltung oder Reinigung der Straßen und Anlagen im Straßenraum oder der Müllabfuhr dienen und durch weiß-rot-weiße Warneinrichtungen gekennzeichnet sind, dürfen auf allen Straßen und Straßenteilen und auf jeder Straßenseite in jeder Richtung zu allen Zeiten fahren und halten, soweit ihr Einsatz dies erfordert, zur Reinigung der Gehwege jedoch nur, wenn die zulässige Gesamtmasse bis zu 2,8 t beträgt. Dasselbe gilt auch für Fahrzeuge zur Reinigung der Gehwege, deren zulässige Gesamtmasse 3,5 t nicht übersteigt und deren Reifeninnendruck nicht mehr als 3 bar beträgt. Dabei ist sicherzustellen, dass keine Beschädigung der Gehwege und der darunter liegenden Versorgungsleitungen erfolgen kann. Personen, die hierbei eingesetzt sind oder Straßen oder in deren Raum befindliche Anlagen zu beaufsichtigen haben, müssen bei ihrer Arbeit außerhalb von Gehwegen und Absperrungen auffällige Warnkleidung tragen.

Dies scheint mir hier vielleicht gegeben zu sein. Die Firma kümmert sich um Armaturen, Ventile, Hausanschlüsse, Hydranten. Das könnte irgendwie mit Unterhalt der Straße zusammenhängen.

Und in Absatz 8 werden diese Rechte dann noch etwas eingeschränkt:

Die Sonderrechte dürfen nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden.

Von daher müsste man eben auch schauen, ob man sich dort irgendwie anders hätte hinstellen können. Und das wäre wohl möglich gewesen, glaube ich.

Mir ist nicht ganz klar, ob dieses Fahrzeug wirklich zu den Sonderrechten gehört. Es könnte auch sein, dass die Firma das einfach nur aufgeklebt hat, ohne daraus Sonderrechte ableiten zu können. Gerade wenn die Fahrzeugen in Industriegebieten unterwegs sind, kann zusätzliche Markierung nicht schaden. Aber das bedeutet nicht direkt, dass man diese Fahrzeuge überall hinstellen kann.

Und dann berechtigen diese Aufkleber bestimmt nicht zu Allem. Mit Blaulicht und Martinshorn dürfen Fahrer*innen von Einsatzfahrzeugen in der Tat eine Menge. Aber auch die dürfen nicht einfach alles. Jemand mit ein paar Aufklebern auf dem Auto darf bei weitem nicht so viel, wie jemand mit Rettungswagen im Einsatz. Aber in der Überheblichkeit eines Autofahrers wäre diese Differenzierung nur eine Ablenkung von seiner Überlegenheit.