Geplante Umweltspur am Hermann-Wandersleb-Ring

Kürzlich wurde vom Rat der Stadt Bonn beschlossen, dass am Hermann-Wandersleb-Ring eine Umweltspur eingerichtet werden soll. Das bedeutet konkret, dass die Straße mit aktuell vier Fahrstreifen für den MIV zwei exklusiv für Busse und Radfahrende bekommt, der MIV hat dann nur noch je einen Fahrstreifen pro Richtung. Konkret ging es in der ersten Version der Idee von dem Abschnitt zwischen Provintialstraße und Auf dem Hügel:

Bei dieser Idee bin ich sehr zwiegespalten. Einerseits ist es ein Projekt, das dem Radverkehr mehr Platz gibt, jedoch nimmt es den Autofahrenden auch ziemlich viel Platz auf einer wichtigen West-Ost-Achse. Ich versuche mal ein paar Gedanken einzubringen.

Einordnung als Auto-Verbindung

Zuerst interessant ist vielleicht die Frage, der diese Verbindung überhaupt nutzt.

Verbindung Lengsdorf und Weststadt

Früher gab es den Hermann-Wandersleb-Ring noch nicht. Da wurde der Verkehr einmal quer durch Endenich geführt. In der folgenden Karte habe ich das in Gelb markiert. Autofahrende von Lengsdorf Richtung Weststadt haben dann häufig die Autobahn genommen (rote Pfeile). In die Rückrichtung ist das nicht mehr möglich, fährt man am Endenicher Ei auf, so muss man auch direkt zur Reuterstraße abfahren.

Eine Reduktion der MIV-Fahrstreifen könnte also dazu führen, dass die Autobahn in der Richtung von Lengsdorf zur Weststadt wieder mehr genutzt wird. In die andere Richtung geht dies nicht, da würden Leute dann entweder schon in Tannenbusch auffahren müssen oder fahren quer durch Endenich. Das ist aber derart unattraktiv, dass das wohl niemand machen würde. Man hat nämlich die Verbindungen zwischen dem Wohngebiet und den umliegenden Straßen an den meisten Stellen gekappt. Aufgrund von Einbahnstraßen ist das folgende die einzige Verbindung um die geplanten Umweltspuren zu umfahren. Die roten Pfeile sind Einbahnstraßen, die Route ist gelb markiert.

Das würde wohl niemand machen, auch wenn sich durch die Umweltspuren dort der MIV stauen würde.

Ortsteile im Westen

Für die Ortsteile im Westen ist die orange B 56 die wichtige Verbindung in zur Weststadt. Verkehr aus diesen Teilen wird am Ende wahrscheinlich an dem Experiment vorbeikommen.

Eventuell verlagert sich der Verkehr auf den Konrad-Adenauer-Damm und die A 565.

Vergrößert man das Einzugsgebiet noch weiter, so könnte man anstelle der B 56 auch die A 61 und dann die A 565 nehmen.

Jetzt ist die A 61 aber in dem Abschnitt aber gesperrt. Personen, die bisher aus zum Beispiel Morenhoven über die Autobahn gefahren sind, fahren aktuell über die B 56. Dadurch ist mehr MIV an einer Stelle, an der die Anzahl Fahrstreifen halbiert werden sollen.

Einordnung als Bus-Verbindung

Mir ist nicht ganz klar, ob es bei der Umweltspur eher um den Bus- oder den Radverkehr geht. Man kann sich dort anschauen, wie viele Buslinien dort fahren, das sind tagsüber acht Stück. Die 606, 607, 608, 609, 631, 632, 800, 845 fahren dort abschnittsweise, bis zu sechs Linien gleichzeitig. Nachts fahren dort die N2 und N6. Die Anbindung in die Innenstadt ist von der Haltestelle Euskirchener Straße schon echt premium, da fährt im Mittel alle fünf Minuten ein Bus.

Mit dem Bus steht man dort im gleichen Stau wie der MIV auch. Durch eine Umweltspur kann sich hier das ganze durchaus entzerren. Der Effekt ist aber limitiert, weil die ganzen Zubringerstraßen weniger Fahrstreifen haben. Die Rochusstraße hat nur zwei Fahrstreifen, und die Provinzialstraße hat vier. Gerade wenn man die B 56 nach Westen betrachtet, wird das wohl nicht wirklich viel bringen. Dort stehen die Busse dann auch im Stau, wie bisher auch. Und sollte sich der MIV auf dem Hermann-Wandersleb-Ring dann durch den Zufluss von Provinzialstraße und Rochusstraße stauen, dann stehen die Busse dort noch länger im Stau. Ob die freie Fahrt auf dem Hermann-Wandersleb-Ring das ausgleicht, kann ich nicht einschätzen.

Einordnung als Rad-Verbindung

Da ich fünf Jahre in der Monschauer Straße gewohnt habe, kenne ich die Ecke sehr gut, und bin auch in alle Richtungen mit dem Fahrrad unterwegs gewesen. Mein Ziel war meist die Uni in Poppelsdorf, und da bin ich dann meist über den Flodelingsweg gefahren. Wenn ich aber in die Weststadt wollte, so hatte ich zwei Varianten, die ich gefahren bin.

Einmal bin ich mitten durch Endenich gefahren. Dort wird man in der Regel nicht kapp überholt. Die Euskirchener Straße ist jedoch links und rechts mit geparkten Autos voll, da fährt man nicht so gerne nah am Rand. Durch Gegenverkehr wird es dann schon manchmal eher knapp. Die Ladenzeile in Endenich hat Kopfsteinpflaster, das macht keinen Spaß. Außerdem sind dort zwar zwei Reihen Parkplätze, jedoch nur ein Fahrstreifen. Die Buslinien 606 und 607 halten dort mehrfach, sodass ich da regelmäßig mit dem Fahrrad hinter dem Bus warten musste. Hinter Endenich muss man dann aber auf die B 56, die nur über das Ei einen baulich getrennten Radweg hat. Danach hat man einen Schutzstreifen.

Die andere Route ist tiefer durch Endenich und das Musikerviertel in der Weststadt zu fahren. Das ist auch ziemlich angenehm zu fahren, man umgeht die B 56 so komplett.

In beiden Fällen hätte mir die Umweltspur entlang des Hermann-Wandersleb-Rings aber nichts genützt.

Rochusstraße

Einzig wenn man von der Rochusstraße oder Provinzialstraße kommt, mag das nett sein. Das Problem hier ist aktuell das Ende der Rochusstraße. Dort ist die aktuell sinnvolle Route diese hier.

Man sieht unten links schon die merkwürdige Kreuzung. Das liegt daran, dass entlang der Rochusstraße der Radweg für beide Fahrtrichtungen auf der Nordseite ist. Man muss also immer die vier Spuren des Hermann-Wandersleb-Ringes kreuzen. Und weil die Ausfahrt vom Bürokomplex auch signalisiert ist, muss man zweimal warten. Die Ampelphasen sind direkt hintereinander. Richtung Westen ist das voll okay, Richtung Osten muss man fast zwei komplette Ampeldurchläufe warten, es ist richtig nervig.

Durch die Umweltspur hätte man es Richtung Westen angenehmer, Richtung Osten wird das an dieser Ampel keine Verbesserung bedeuten.

Anbindung am Ostende

Das östliche Ende der Umweltspuren wird für Radfahrende auch nicht sonderlich toll werden. Die erste Planung sah die Umweltspur nur bis Auf dem Hügel vor. Bis zum Endenicher Ei war man dann wieder auf der normalen Fahrbahn, immerhin ohne Schutzstreifen. Und nach dem Endenicher Ei wäre es dann wieder mit Schutzstreifen maximal schlecht.

Die Überlegung, die B 56 in der Weststadt fahren zu müssen, ist schon derart ernüchternd, dass ich die Umweltspur auf dem Hermann-Wandersleb-Ring das nicht unbedingt ausgleicht. Wäre das bis zum Wittelsbacherring geführt, sähe das ganz anders aus.

Perspektiven

Ich tue mich schwer damit, hier die richtige Perspektive zu finden. Generell bin ich voll dafür, dem MIV Platz zu nehmen. Dieser hat einen enormen direkten und indirekten Flächenfraß. So braucht es für das Auto keine minimale Bevölkerungsdichte um zu funktionieren. Jeder verschwendet seine Lebenszeit im eigenen Auto und muss für sich bei der Wohnortwahl abwägen, ob sich das Gesamtbild aus Fahrtkosten, Fahrtzeit und Wohnungskosten lohnt. Bei Bus und Bahn sieht das anders aus, hier braucht es eine gewisse Dichte, damit die Auslastung stimmt. Das geht aber nur, wenn die Bevölkerung dichter wohnt, idealer in Wohnungen oder schmalen Reihenhäusern.

Es gibt generell den Konflikt zwischen denen, die sich das Wohnen in der Stadt nicht leisten können (oder wollen) und mit dem Auto einpendeln und jenen, die sich das Wohnen in der Stadt leisten können (und wollen) und von den Pendlern genervt sind. Dies ließe sich nur lösen, wenn die Stadt überall die gleiche Dichte hätte, also Richtung der Stadt der 15 Minuten, die starke Ortskerne hat (wie Endenich und Duisdorf), und den Leuten wenig Grund gibt bis ins Zentrum zu fahren. Die höhere Reichweite der Leute hat allerdings auch Großkonzerne wie Telekom, DHL und Deutsche Welle ermöglicht, deren Mitarbeitende eben lange Strecken einpendeln. Dank Dienstwagen und Tankkarte sind auch alle Kosten externalisiert.

Nicht alle Vororte von Bonn sind gut mit den öffentlichen Verkehrsmitteln angebunden. Meckenheim und Rheinbach sind gut mit der S 23 angebunden, die kleinen Dörfer vor Rheinbach aber nicht. Ich würde behaupten, dass wenn die Einpendelnden aus Volmershoven und Witterschlick mit der S-Bahn kommen würden, ein einspuriger Hermann-Wandesleb-Ring dann genug Kapazität für die Pendler aus Flerzheim hat.

Ich glaube, dass Leute erst dann vom Auto wegkommen, wenn die Alternativen besser sind. Das kann man dadurch erreichen, dass das Auto unattraktiver wird (Push) und die Alternativen attraktiver werden (Pull). Die S 23 wurde kürzlich so ausgebaut, dass sie auch in Duisdorf hält, und sie fährt jetzt wieder komplett bis Euskirchen durch. Das wäre also durchaus machbar. Mit dem eigenen Auto ist es aktuell eben schneller als mit der Bahn. Und wenn man nicht gerade in der Nähe einer Bahnstation wohnt, dann braucht man mit der Bahn deutlich länger. Aber wenn man in der Nähe der Bahn wohnt, dann sollte die Bahn eigentlich ganz attraktiv sein können.

Die Busse werden teilweise nicht genommen, weil sie ja im Stau stehen. Da könne man ja dann auch direkt mit dem Auto fahren. Dass diese Denkweise erst den Stau erzeugt, gibt aber leider keinen Ausweg. Für jeden Einzelnen ist der Umstieg auf den Bus nicht sinnvoll, erst wenn eine kritische Masse erreicht ist. Das muss aber forciert werden.

Indem man beim Hermann-Wandersleb-Ring die Kapazität für den MIV senkt und für Bus und Fahrrad steigert, wird Autofahren unattraktiver. Die lauten Gegner des Experimentes führen an, dass die Stadt dann noch mehr im Stau versinken würde. Sie würden weiterhin mit dem Auto fahren, die Stadt würde schon sehen, was sie davon hat. Ich verstehe das so, dass das Leute sind, die außerhalb der Stadtgrenzen wohnen und jeden Tag mit dem Auto zu ihrem Arbeitsplatz in der Stadt fahren. Sie sehen es gar nicht als Möglichkeit, nicht mit dem Auto zu fahren. Letztlich wollen sie die Stadt erpressen, so würden sie dann halt länger im Stau stehen und alles vollstinken. Man sollte sie lieber auf vielen Fahrspuren in Ruhe fahren lassen, dann seien sie auch schneller wieder raus.

Würde man dem immer wieder nachgeben, so würden wir immer weiter alles für den MIV ausbauen. Und man erntet dann immer nur noch mehr MIV, das kann man überall gut sehen. Von daher kann man den Stau abbauen, indem man weniger Fahrstreifen für den MIV zur Verfügung stellt. Ja, das wird Leute ärgern. Und das haben sie bestimmt nicht einbezogen, als sie ein Haus weit draußen gekauft haben. Ich hätte auch gerne 250 m² Haus mit 500 m² Garten. Aber ich wohne im Stadtgebiet und leide unter all dem Durchgangsverkehr, weil ich nicht Teil des Problems sein möchte. Vielleicht merken dann mehr Leute, dass sie entweder mit der Bahn fahren könnten, oder einige Tage von zuhause Arbeiten könnten, nicht zu Stoßzeiten fahren müssen, oder in manchen Fällen sogar umziehen. Diesen Prozess darf man nicht zu schnell machen, man darf die Rahmenbedingungen nicht über Nacht ändern. Aber wenn man das Verhalten der Menschen ändern möchte, dann muss man schrittweise die Umgebung verändern. In die andere Richtung hat es ja auch geklappt: Man hat fette Straßen gebaut und die Leute sind weiter ins Grüne gezogen, weil die Strecke zur Arbeit ja die gleiche Zeit in Anspruch nimmt. Nur durch Verlängerung der Fahrtzeiten kann man die Leute wieder zurück holen.

Renitenz

Auch wenn ich die sanfte und schrittweise Umstrukturierung der Umgebung für eine gute Sache halte, braucht es viel Fingerspitzengefühl dabei. Der geplante Radweg in der Rheinaue hat gezeigt, wie schnell ein falsches Framing zu Renitenz und am Ende Ablehnung führt. Bei diesem konkreten Projekt sehe ich das als große Gefahr, und zwar weil die Nachteile für den MIV so groß sind, die Vorteile für Bus- und Radverkehr allerdings nur marginal sind.

Für den Bus- und Radverkehr wird nur ein Teilstück deutlich besser, davor und dahinter bleibt es eher mau. Und gerade an den Übergängen wird es dann wieder Konflikte geben. Es könnte sogar sein, dass viele Radfahrende diese Strecke gar nicht richtig annehmen, weil sie nicht in ein Netz integriert ist.

Für die Autofahrenden wird jedoch ein Netz aus leistungsfähigen Straßen mit einem Nadelöhr versehen. Die B 56 wird mit der vierstreifigen Provinzialstraße verschmolzen, wird dann aber zweistreifig bleiben. Erst nach dem Endenicher Ei wird es wieder vier Fahrspuren geben. Dies sieht dann aus, wie eine Schikane.

Kommt beides zusammen, ist das Experiment zum Scheitern verurteilt. In der Auswertung werden dann die täglich durchfahrende Anzahl MIV und Radfahrende gegeneinander gestellt. Die Zahlen werden sich wohl eher nur wenig ändern, da es für Autofahrende keine Alternative gibt, und für Radfahrende die Strecke ohne Integration in ein Netz ist. Das Experiment wird dann als gescheitert erklärt, zurückgerollt und derartige Experimente werden in Zukunft nicht mehr unternommen.

Ausblick

Langfristig soll eine neue Straßenbahn, die Westbahn, entlang der B 56 geführt werden. Dann wird die ganze Straße nochmal neu aufgeteilt. Wenn durch dieses Experiment der Radverkehr den Fuß in der Tür hat, könnte die neue Aufteilung wirklich gut werden. Scheitert das Experiment jedoch, dann könnte die Aufteilung sehr unvorteilhaft für den Radverkehr werden.

Insgesamt ist mir noch immer nicht klar, ob ich dieses Experiment gut oder schlecht finden soll.