Die Befürworter der unzureichenden Rechtsdurchsetzung

Es gibt einerseits den »rechtsfreien Raum«, den Raum mit mangelnder Rechtsdurchsetzung, andererseits dessen ganzen Befürworter. Versucht man ihren Argumenten zu folgen, wird es schnell sehr merkwürdig und inkonsistent.

Aktuell kursiert durch die sozialen Medien ein Video vom einem jungen Mann, der sich selbst Anzeigenhauptmeister nennt und illegal geparkte Autos anzeigt. Im Video erklärt er sein Vorgehen und dass er gegen Behinderungen vorgehen möchte. Ich finde es sehr legitim Gehwege zur Nutzung durch Gehende freihalten zu wollen. Weil, wie im Artikel zum rechtsfreien Raum beschrieben, die zuständigen Ordnungsämter und die Landespolizei ihre hoheitliche Aufgabe nicht im angemessenen Umfang wahrnehmen, herrscht effektiv ein rechtsfreier Raum im Straßenverkehr. Und dieses Vakuum ruft dann Leute auf den Plan, die diese Lücke gerne schließen möchte.

Weiter findet man dann ganz viele Kommentare zu diesem Video in sozialen Netzwerken, die Leute arbeiten sich da regelrecht dran ab. Interessanterweise sind viele der Kommentare direkt unter der Gürtellinie, man hat wohl keine besseren Argumente. Und auch insbesondere die Vehemenz, mit der diese Kommentare vorgetragen werden, deuten auf richtig tiefe Emotionen hin.

Es fängt damit an, dass sich die Leute über sein Erscheinungsbild lustig machen. Ja, er sieht aus wie ein junger Erwachsener, der einfach noch nicht so reif aussieht wie jemand mit vierzig. Das ist okay. Er kleidet sich auch bewusst auffällig in orangener Reflexkleidung, das kann man im Straßenverkehr durchaus machen, andere Berufsgruppen machen das ja auch. Es wirkt in dem Kontext etwas übertrieben, allerdings macht er das auch für ein Video. Es geht ihm also durchaus um eine gewisse Signalwirkung.

Die Aussagen, die ihm Reife oder Alter absprechen, wollen ja letztlich nur sagen: »Bleib' zuhause, dir fehlen Attribute, die du dir auch nicht erarbeiten kannst. Wir wollen dich nicht.« Das ist keine sinnvolle Kritik am Verhalten, es ist der Versuch die Person wegzudrücken. Und das hat man nur nötig, wenn man das Verhalten nicht so wirklich kritisieren kann.

Andere kommen da direkt mit dem Nazivergleich: »Nur mit solchen Leuten, die Regeln ohne Verstand befolgen, waren Konzentrationslager möglich!« Puh, da hat jemand aber alle Register gezogen. Es ist im Kern zwar korrekt, dass es wohl durchaus befehlstreue und ergebene Leute brauchte, diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit umzusetzen. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass jene Leute da nicht auch irgendwie ein bisschen von überzeugt waren. Zumindest soweit, dass sie davon für sich Vorteile erhofft haben.

Allerdings müsste man, wenn man diese Argumentationslinie verfolgt, noch ganz andere Vergleiche ziehen. Das Befolgen von Regeln soll also dazu führen, dass in naher Zukunft wieder Konzentrationslager entstehen. Das alleine reicht aber nicht, es bräuchte auch noch den politischen Willen dies zu tun und dann auch noch einen Befehl, dies umzusetzen. Das haben wir beides nicht.

Unsere Gesellschaft funktioniert nur durch Regeln. Wir haben die Polizei als Institution, die Regeln notfalls mit Gewalt durchsetzt. Damit wären doch alle Polizisten automatisch Nazis? Weil es eine Polizei gibt, würden die Polizisten dann übermorgen wieder Naziverbrechen begehen? Das ist doch ziemlich bekloppt.

Diese ganzen lautstarken Kritiker von Vorgehen gegen behindert geparkte Autos wollen beim Parken nichts von Regeln wissen. Sie befürworten den rechtsfreien Raum. Und Leute, die dort einfach nur die demokratisch beschlossenen Gesetze und Verordnungen angewandt wissen wollen, sind für sie Nazi-Mitläufer. Dabei sind es doch gerade die Nazis, die anderen Menschen die Rechte genommen haben, sie aus der Gesellschaft ausgeschlossen und vernichtet haben. Das Eintreten für den Rechtsstaat ist für mich die entgegengesetzte Richtung zu Nazis. Faschistische Staaten, egal ob rechts oder links, zeichnen sich ja gerade dadurch aus, dass sie ein Unrechtsstaat sind.

Es geht für mich also nur darum, dass Privilegien nicht eingeschränkt werden sollen. Und weil die Leute irgendwo wissen, dass das alles nicht erlaubt ist, kommen sie mit derartig niederen Argumenten. Auf mich wirken solche Schreihälse, die anderen zumuten ihren Kinderwagen über die Fahrbahn um ihr Auto herumzuschieben, ein bisschen wie die damaligen Befürworter von gewissen später geänderten Gesetzen.

Ich finde es immer wieder befremdlich, dass die Vergewaltigung in der Ehe erst in meinen Lebzeiten strafbar wurde. Und was haben die Männer damals wohl gegen diese Strafbarkeit protestiert! Teilweise auch mit haarsträubenden Argumenten, wie etwa einer Diskreditierung Opfern »echter« Vergewaltigungen. Wenn ich über diese alten Diskussionen lese, spüre ich auch diese Vehemenz, diese Angriffe unterhalb der Gürtellinie. Denn an sich ist klar: Sich über das Selbstbestimmungsrecht der Frauen zu setzen ist moralisch nicht begründbar. Also versucht man es mit irgendwelchen Hilfskonstrukten, um daraus Ansprüche abzuleiten.

Atmen wir einmal durch und stellen uns einen schmalen Gehweg vor und ein Auto, was darauf geparkt ist. Man kommt auf der Häuserseite nicht mehr mit einem Kinderwagen durch. Eine Person mit Kinderwagen muss diesen auf die Fahrbahn schieben und dann links am geparkten Auto vorbei. Dabei setzt sie sich der Gefahr auf der Fahrbahn aus. Vielleicht wird sie von jemandem in einem Auto noch angehupt. Ist das die Art des Zusammenlebens, die wir wollen? Und falls ja, wer spricht dann?

Es gibt da einige Begriffe für. Die »Autonormativität«, also die Weltsicht, dass das Auto normal ist und alle anderen Mobilitätsformen untergeordnet sind. Das schließt aber alle Leute aus, die sich kein Auto leisten wollen oder können, nicht Auto fahren wollen, können oder dürfen. Und davon gibt es eine Menge. Zudem schädigen die Abgase, der Feinstaub (auch von Autoreifen von Elektroautos) und der Lärm (insbesondere das Reifenabrollgeräusch) die Leute. Aber diese krankmachende Wirkung landet bei anderen, den schwächeren.

Dann haben wir noch die »Petromaskulinität«, die Verknüpfung von Benzin und Männlichkeit. Als Teenager habe ich Need for Speed Underground gespielt. Männer (und einzelne männliche auftretende Frauen) fahren in fetten Autos Rennen, während an der Startlinie immer leicht bekleidete Frauen dekorativ mit Arsch und Brüsten wackeln. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich einmal daraus gekommen bin und so etwas inzwischen einfach nur noch sexistisch und eher armselig finde. Es ist eine Welt, in der Männer und Frauen klare Rollen haben, und zwar mit einem deutlichen Machtgefälle. Das Auto gehört hier als Verlängerung der Männlichkeit klar dazu.

Und wenn man die Städte von Männern um das Auto planen lässt, dann haben wir eben eine Umgebung, wie wir sie aktuell haben. Frauen und Kinder haben es in dieser Welt schwer. Frauen mit Kinderwagen müssen um von Männern geparkten Autos herumschieben. Dabei ist es doch deren Schuld, dass sie nicht einfach auch wie die Männer mit dem Auto fahren und ihr Auto irgendwo parken. Entsprechend sieht man derartiges Verhalten nun von beiden Geschlechtern. Aber im Kern ist doch die Frage: Warum nehmen wir nicht alle Rücksicht auf Leute mit Kinderwagen?

Im Straßenverkehr gilt klar die Regel, dass die Schwachen auf die Starken Rücksicht nehmen. Erwachsene müssen einen Führerschein machen, Autofahren ist grundsätzlich verboten. Da müssen sie aber nie wieder eine Nachschulung oder gar weitere Prüfung machen. Der Sehtest im Alter von 17 Jahren reicht aus. Die Kinder bekommen aber ein »Verkehrserziehung« genanntes Überlebenstraining, damit sie sich selbst schützen können und nicht von der Blechlawine erfasst werden.

Würde man Kinder fragen, wie für sie eine lebenswerte Umgebung aussehen würde, dann sähe die Welt wahrscheinlich mehr aus wie ein Spielplatz als wie die aktuelle Rennstrecke. Aber man fragt sie ja nicht, die Antwort würde einem nicht gefallen.

Und so haben wir ein System, das die Starken bevorzugt. Man kann sich einfach ein fettes Auto kaufen und dann gehört zu den Starken. Alle Versuche, diese Persönlichkeitsprothesen einzuschränken sind ein Angriff auf das ungefestigte Selbstwertgefühl. Und somit muss man dann diese Leute fertig machen, damit man wieder seinen Platz hat. Daher ist da auch argumentativ nichts zu machen. Es ist ein großes kulturelles Problem, das uns leider noch sehr lange begleiten wird.