Effektive Regeln in einem rechtsfreien Raum
Gerade im Straßenverkehr haben wir einen rechtsfreien Raum. Ich versuche nun gar nicht mehr diesen als etwas anders zu sehen und nehme es jetzt stoisch.
Kinder lernen Regeln nicht dadurch, dass sie Gesetze studieren. Sie machen einfach Dinge und werden dann gelobt oder ermahnt. Dadurch finden sie ganz intuitiv heraus, was sie dürfen und was nicht. Manchmal testen sie auch aus, womit sie noch durchkommen können.
Katzen machen das ähnlich. Wenn sie herausfinden, was sie nicht dürfen, machen sie das entweder heimlich trotzdem oder provozieren ganz offen damit.
Unter Erwachsenen sollte das eigentlich anders funktionieren. Wir einigen uns in einem demokratischen Prozess auf Regeln, nach denen wir gemeinsam leben wollen. Hierbei hilft die Einsicht, dass die eigenen Rechte die Pflichten der anderen sind. Danach halten wir uns an diese Regeln.
In der Realität sieht das aber ganz anders aus. Bei großen Straftaten scheint es zu klappen, ich habe bisher noch keinen Mord im Bekanntenkreis erlebt oder andere schwere Straftaten von dem Kaliber. Ordnungswidrigkeiten erlebe ich aber jeden einzelnen Tag im Straßenverkehr.
Warum sollten Menschen sich denn eigentlich an Gesetze halten? Manche Leute, wie ich, sind von ihrer Art her eher gesetzestreu. Auch kann man Bestrafung fürchten und sich daher an die Gesetze halten. Aber das trifft nicht auf alle Leute zu. Und die fragen sich dann, warum sie sich eigentlich an Regeln halten sollen.
Die Angst vor Bestrafung setzt voraus, dass es einerseits eine spürbare Strafe für das Vergehen gibt, zum anderen aber auch die realistische Chance erwischt zu werden. Wenn das nicht gegeben ist, gibt es auch keinen Grund vor einer Bestrafung Angst zu haben.
Im Kontext von Firmenkultur hörte ich diesen vielsagenden Satz:
Die Kultur wird bestimmt durch die schlimmsten Dinge, die man anstellen kann und damit durchkommt.
Nun betrachten wir das mal im Kontext des Straßenverkehrs, wie ist das da und was macht das mit der Kultur? Das schlimmste, was man dort machen kann, ist mit dem Auto jemanden totfahren. Welche Konsequenzen hat das? In der Pressemitteilung der Polizei wird schon etwas von »übersehen« und »tiefstehende Sonne« stehen. Vor Gericht wird es wahrscheinlich ähnliche Redebeiträge geben. Das ganze endet dann damit, dass der Autofahrer freigesprochen wird, er sei mit dem schlechten Gewissen ja genug gestraft. Außerdem bräuchte er seinen Führerschein ja, um zur Arbeit zu kommen. Für die Angehörigen der getöteten Person ist das dann alles sehr tragisch, muss aber unter Lebensrisiko verbucht werden.
Was sagt das jetzt über die Kultur aus? Es ist scheißegal, ob man eine zwei Tonnen schwere Maschine fahrlässig durch eine Stadt bewegt und dabei ungeschützte Menschen getötet werden. Vielmehr ist es so, dass insbesondere Kindern in der sogenannten Verkehrserziehung beigebracht wird auf die Autos zu achten. Sie müssen sich vor den Stärkeren selbst schützen, obwohl sie das effektiv nicht können.
Auch bezüglich Ordnungswidrigkeiten kommt man eigentlich mit so allem durch. Fahrtrichtungsanzeiger nicht benutzen (nicht blinken)? Kein Problem, machen doch ganz viele so. Auf Gehwegen parken? Machen auch alle so, die Verkehrsüberwachung der Stadt Bonn kontrolliert doch eh nicht außerhalb der inneren Stadt und erst recht nicht in Randzeiten. Man kann über Jahrzehnte in Wohngebieten die Gehwege zuparken, ohne dass es eine Konsequenz hat.
Man kann sogar Leute bedrohen und nötigen, es hat keine Konsequenzen. Leute einschüchtern, die ein falsch geparktes Auto fotografieren, ist ganz normal. Radfahrer schneiden und nötigen auf vermeintlichen Radwegen zu fahren erlebe ich auch immer wieder. Beleidigungen sind zwar in der Theorie strafrechtlich relevant, allerdings ist das effektiv nicht verfolgbar.
Selbst wenn man derartige Dinge anzeigt und Strafantrag stellt, so kommt am Ende nichts heraus. Das Verfahren wird wegen angeblich mangelndem öffentlichen Interesse eingestellt. Es bliebe ja der Weg über das Zivilrecht.
Wir haben also eine Kultur, in der schlicht das Recht des Stärkeren gilt. Und das ist zwischen Auto- und Fahrradfahrern immer derjenige mit dem Auto. Zwischen Autofahrern ist es die Person mit dem größeren Auto und weniger Hemmschwelle. Und das lernt man schon als Kind in der Verkehrserziehung: Stelle dich brav mit Warnweste an einen Fußgängerübergang (Zebrastreifen), halte devot deine Hand raus und warte, bis Autofahrer wirklich zum Stillstand gekommen sind, bevor du auch nur einen Fuß auf die heilige Fahrbahn setzt.
Ich habe versucht, es zu verändern. Ich habe versucht Autofahrer anzusprechen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Ich habe es über den Weg der Ordnungswidrigkeiten versucht und Leute angezeigt. Auch habe ich es über das Strafrecht versucht. Zuletzt habe ich es über die Verwaltung und das Verwaltungsrecht versucht. Dabei herausgekommen sind drei veränderte Beschilderungen und eine lächerlich minimal umprogrammierte Ampelschaltung. Man kann es ruhig zu »nichts« abrunden.
Es ist ein strukturelles Problem. Das Straßenverkehrsgesetz (StVG) bevorzugt massiv den Autoverkehr. Die StVO und ihre Verwaltungsvorschriften ebenfalls. In den Verwaltungen sind die hohen Posten mit Automenschen besetzt. Die wollen gar nichts ändern. Dass wir eine grüne Oberbürgermeisterin haben, stört die gar nicht, die sitzen das einfach aus. Die Ordnungskräfte haben einerseits nicht genug Kapazität, andererseits auch nicht die nötige Ausstattung um ihre Arbeit effektiv machen zu können. Das ist so gewollt.
Ich bin inzwischen an dem Punkt, dass ich es nicht mehr versuchen möchte zu verändern. Vielmehr versuche ich es stoisch zu sehen und die guten Seiten des Lebens zu genießen und die schlechten Seiten zu akzeptieren ohne mich daran abzuarbeiten. So stelle ich mir das Leben in einem komplett korrupten Ostblock-Staat vor. Überall ist Korruption, es ist unfair, man wird überall verarscht. Man kann das System aber nicht ändern, also spielt man das Spiel einfach mit und verbucht die Bestechungsgelder als Lebenshaltungskosten, Zölle oder »Steuern«. Was bringt es auch, sich daran abzuarbeiten?
Man soll ja die Veränderung sein, die man sehen will. Das habe ich die letzten Jahre wirklich versucht und viel Kraft und Zeit reingesteckt. Es ist letztlich nichts passiert. Es ist ein System, das viel größer ist als ich. Die einzelnen Akteure können eigentlich auch gar nichts dafür, dass sie so handeln, wie sie es tun. Das System bevorzugt deutlich ein gewisses Verhalten. Man kann sich nicht ewig und in jedem Aspekt gegen ein System stellen, so viel Kraft hat niemand.
Somit werde ich mich auf jene Dinge konzentrieren, bei denen ich etwas tun kann. Das ist vor allem im Privaten. Ich schreibe Blogartikel über Dinge, die ich interessant finde. Wahrscheinlich auch noch über Verkehrsthemen. Allerdings werde ich erstmal nicht mehr versuchen Dinge zu verändern.