Radfahren lehrt vorausschauendes Autofahren

Die Tage war ich erkältet und musste aber mal wieder einkaufen. Um mich zu schonen habe ich das Auto genommen. Für den Schutz der anderen trug ich FFP-2-Maske, klar. Auch wenn noch nicht mal mehr SARS-CoV-2 eine besondere Krankheit ist und man selbst damit ohne Maske hätte einkaufen können, muss man sich ja nicht manierenlos aufführen.

Auf dem Weg zum und vom Supermarkt habe ich allerdings mal wieder genug Autofahrpraxis gehabt, um damit einen Blogeintrag zu füllen. Es erscheint mir so absurd: Ich fahre nur selten mit dem Auto, glaube aber besser zu fahren als ein Großteil der anderen Autofahrer*innen. Wahrscheinlich ist das nur diese typische Selbstüberschätzung, kombiniert mit einem Rest von alt-jugendlichem Leichtsinn. Zumal meine Bewertung von »gut Autofahren« ja ganz andere Kriterien hat, als andere. Für mich ist »gut« ausgezeichnet durch Rücksicht auf schwächere Personen, Ressourcensparen und nicht trödeln, in dieser Reihenfolge. Andere Leute mögen eher nur auf die Zeit achten, andere auf eine möglichst sportliche Fahrweise. Auch daher hat man immer einen Bias zur eigenen Fahrweise.

Jedoch ist mir eine Sache aufgefallen, deren Ursprung ich benennen kann. Und zwar ist es das vorausschauende Fahren, insbesondere was den Energieeinsatz angeht. Mit dem Fahrrad muss ich die komplette Bewegungsenergie aus Muskelkraft einbringen. Das ist anstrengend, kostet mich direkt Energie in Form von Nahrung. Ich merke sofort, wenn ich mich anstrengen muss. Mein Körper versucht das zu vermeiden und ich nutze den Verstand um möglichst faul zu sein. Das ist die Strategie, die unser Überleben gesichert hat. Nur wenige Leute verballern ihre Körperenergie unnötig, meist sind das Kinder. Erwachsene sind meist ziemlich energiesparend mit ihrer Körperkraft.

Wenn ich also mit dem Fahrrad fahre und sehe vor mir die Leute bremsen, dann höre ich sofort auf zu treten und lasse mich nur noch rollen. Auch wenn ich die Fußgängerampel rot werden sehe, lasse ich rollen. Die »große« Ampel wird in unter zehn Sekunden auch rot werden, von daher brauche ich jetzt nicht noch zur Ampel zu sprinten. Mit der Zeit habe ich gelernt diese Signale viel früher zu lesen und immer weiter nach vorne zu schauen. Am Ende spart das ziemlich viel Kraft, die ich nicht erst in die Pedale stecke um sie direkt darauf in den Bremsen in Wärme umzuwandeln.

Fahre ich mit dem Auto, mache ich das ähnlich. Ich schalte früh in den nächsten Gang hoch und lasse früh rollen. Dank Schubabschaltung wird dann auch sofort kein Benzin mehr verbrannt. So kann ich dann ohne weiteren Treibstoffverbrauch an der Ampel ankommen. Der Leerlauf verbraucht mangels Start-Stopp-System dann wieder Benzin, aber das ist dann einfach so. Wird die Ampel grün, die nächste ist allerdings noch rot, dann fahre ich nur behutsam an.

Leute, die wohl ständig mit dem Auto fahren, tun das häufig nicht. Die halten dann drauf und bremsen direkt wieder. Gerade die Leute mit den besonders leistungsstarken Autos drücken teilweise kräftig aufs Gas, fahren auf das vorfahrende Auto auf, und bremsen direkt. So schwer kann das eigentlich nicht sein, und die Person vor einem fährt ja nicht schneller, weil man von hinten drängelt. Es ist reine Treibstoffverschwendung, so zu fahren. Aber es tut nicht weg, das Auto hat die Leistung.

Mein Auto ist mit 60 kW wirklich nicht üppig ausgestattet. Ich fahre immer mal wieder mit einem Auto mit 135 kW, das ist schon eine andere Klasse. Auch 215 kW bin ich schon gefahren, ich weiß also grob, was da noch alles geht. Meine Eltern haben mir von früher erzählt, wie sie mit der »Ente« gefahren sind. Die hatte irgendwo zwischen 7 und 21 kW Leistung und entsprechend musste man Überholmanöver sehr gut planen oder einfach erst gar nicht daran denken. Gefahren wurde damals wohl auch entsprechend vorausschauend, weil es nicht anders ging. Das hat man heute nicht mehr unbedingt nötig.

Der große Unterschied zwischen mir und anderen Autofahrer*innen mag vielleicht sein, dass ich das Auto als Mobilitätsprothese sehe und sozusagen dankbar bin mir die externe Energie zu eigen machen zu dürfen. Mir ist auch bewusst wie das Freilassen dieser Energie zum Klimawandel beiträgt. Am Ende habe ich sie an der Tankstelle auch bezahlt. Dementsprechend gehe ich damit behutsam um. Wenn ich also stark beschleunige kostet mich das zwar nicht direkt körperliche Kraft, allerdings ist die Verbindung im Kopf stark eingeprägt und ich spüre direkt abstrakte Kosten.

Vielleicht ist das genau jene Sache, die Leuten im Auto fehlt. So beschreibt es zumindest Knoflacher1: Man pendelt sich bei einer Bewegung ein, bei der das Verhältnis aus Vorankommen und Energieverbrauch stimmig ist. Daher haben wir Menschen auch zwei charakteristische Geschwindigkeiten, das Gehen und das Laufen. Alles darüber hinaus ist so anstrengend, dass es sich nicht mehr lohnt. Im Auto können wir aber das Vorankommen ins unvorstellbare erhöhen, ohne dass sich der direkte körperliche Energieverbrauch erhöht. Das optimale Verhältnis ist erst dann erreicht wenn die Konzentration aufgrund der hohen Geschwindigkeit zu sehr gefordert ist. Dank der langweilig gestalteten Autobahn ist das aber bei 250 km/h noch immer nicht ganz der Fall. Und somit hat man bei jeder Geschwindigkeit das Gefühl, noch schneller sein zu können.

Wenn sich die Kostenfunktion im Kopf erst einmal daran gewöhnt hat, dann optimiert man natürlich. Und so ist es egal, wie viel Treibstoff man verbraucht. Man will möglichst schnell vorankommen. Bei mir ist die Kostenfunktion vom Fahrrad aber so drin, dass ich mit dem Auto 30 km/h für eine ziemlich gute Geschwindigkeit halte. Ich muss mich dann schon fast zwingen auf 50 km/h zu beschleunigen, weil ich mit dem Fahrrad 45 km/h nur im Sprint halten könnte.

Wenn diese Theorie also zutrifft, dann kann Radfahren durchaus auch das vorausschauende Autofahren lehren.


  1. Knoflacher, H. Virus Auto: Die Geschichte einer Zerstörung. (2009).