Keine Lust mehr auf Nachrichten
Ich fühle mich akut überfordert von der Negativität der Nachrichten und lege einmal eine Erholungspause davon ein. Aber eigentlich dürfte das nicht sein.
Nachrichten Lesen erachte ich als eine Bürgerpflicht. Man soll sich informieren und eine Meinung bilden. Nur so kann man dann beim Wählen, einer weiteren Bürgerpflicht, eine fundierte Entscheidung treffen. Ohne Leser ist der Journalismus nicht die vierte Gewalt im Staat.
Vorträge sind immer dann interessant und befriedigend, wenn sie Probleme und direkt dazu die Lösung präsentieren. Insbesondere wenn das auf der gleichen Folie passiert hat man den Eindruck einer kompetenten Person zuzuhören. Die Person scheint die Sachen unter Kontrolle zu haben. Zur Wissenschaft gehört natürlich auch das Nichtwissen und das Bewusstmachen von Wissenslücken um dann in weiterer Forschungsarbeit daran anzuknüpfen. Das macht man dann zum Schluss im Ausblick.
Nun haben wir als Gesellschaft große Probleme vor denen wir stehen. Sei es der Klimawandel, soziale Ungleichheit, Invasion der Ukraine, hohe Inflation, Fachkräftemangel, Integration von Vertriebenen. Diese Probleme haben teilweise gar keine Lösung oder zumindest keine einfache Lösung. Es gibt aber durchaus Dinge, die man machen kann um die Probleme zu reduzieren. Und definitiv gibt es Dinge, die man lassen könnte, um die Probleme nicht zu verstärken.
Schaue ich pflichtgemäß in die Nachrichten, so sehe ich aktuell viele negative Meldungen. Das ist an sich normal, schließlich passieren positive Dinge viel kleinschrittiger als negative. Pinker schreibt1 sinngemäß dass eine nur alle 50 Jahre erscheinende Zeitung hauptsächlich positive Dinge enthalten würde: Gestiegener Wohlstand, höhere Lebenserwartung, tendenziell weniger Kriege und so weiter. Tagesaktuelle Nachrichten sind einfach anders.
An sich wären die Meldungen über katastrophale Ereignisse in Ordnung, wenn nicht gleichzeitig Dinge unternommen würden um die Probleme noch weiter anzuheizen. Einerseits häufen sich die Meldungen über Flutkatastrophen, andererseits haben wir einen Verkehrsminister der schlicht aus parteitaktischen Gründen noch nicht einmal ein Tempolimit einführen möchte. Der Umstieg auf Elektroautos ist nicht leicht und hat viele Probleme, aber diese Nebelkerzen wie E-Fuels oder Kernkraft verschleppen eine notwenige Diskussion über längst verfügbare Lösungstechnologien nur. Das Tempolimit ist für mich eine politische Bankrotterklärung.
Eine weitere Bürgerpflicht sehe ich darin mich zu engagieren, versuchen die Welt und Gesellschaft besser zu machen. Was das genau bedeutet ist natürlich subjektiv und ist im Detail diskutabel. Wenn ich aber sehe, wie systematisch Staatenlenker gegen meine Zukunft agieren verliere ich das Interesse diese Dinge zu verfolgen.
In den Nachrichten lese ich über Vertreter von eigentlich respektablen Parteien wie sie die von Russlands Propaganda geschaffenen Keile2 aufgreifen und noch tiefer in die Gesellschaft treiben. Natürlich gibt es immer wieder Personen, die für solche Dinge empfänglich sind. Aufgabe der vernünftigen Leute ist aber diese Angriffe auf unsere Demokratie, unser Zusammenleben und Art zu Leben erkennen und sich entschieden dagegen stellen. Aber nein, man erhofft sich vom Fischen am rechten Rand Wähler zu gewinnen. Neben der Flugblatt-Affaire, bei der der Umgang damit letztlich nur der AfD geholfen hat, kam dann auch noch die Stimmen für einen AfD-Antrag gegen die dahin geduldete Minderheitsregierung. Ich lese das und frage mich, ob eigentlich alle bekloppt sind.
Um den Bogen zu den wissenschaftlichen Vorträgen zu schlagen: Die Nachrichten präsentieren also Probleme (Überschwemmungen, Klima) und die Lösungen (Energiewende, Verkehrswende, Heizwende). Aber anstelle dass man dann davon liest wie Exekutive und Legislative diese Lösungen implementieren, liest man letztlich nur von irgendwelchen Ausreden oder Trotzreaktionen.
Ich will keineswegs eine Klimadiktatur oder einen Klimaschutzfaschismus. Es braucht dringend den demokratischen Prozess um die Details der Implementierung zu klären. Es kann aber nicht sein, dass wir ernsthaft über die grundsätzliche Notwendigkeit von Maßnahmen debattieren und »ich will aber nicht« eine legitime Position ist.
Durch meine eigene Aktivität werde ich nie so viel erreichen können wie einzelne Sturköpfe mit dem Verhindern eines Tempolimits blockieren können. Aufgeben ist keine Option für mich, allerdings muss man seine Kräfte auch regenerieren. Das hat von Bronswijk schön beschrieben3 mit dem »Aktivisten-Burn-Out«. Der andere Aspekt ist die Politikverdrossenheit, die auch immer wieder diskutiert wird. Es ist schwer zu verstehen warum die Politik nicht das umsetzt, was sie umsetzen müsste. Sich dann aber an irgendwelchen irrelevanten Kleinigkeiten abarbeitet und so Kräfte der Politiker als auch der Bevölkerung bindet.
Von daher gönne ich mir jetzt einmal ein bisschen Auszeit von tagesaktuellen Nachrichten und lese lieber Bücher die einen größeren Zeitraum umspannen können. Dadurch fühlt es sich hoffentlich nicht mehr so schmerzhaft an, was gerade alles sehenden Auges gemacht wird. Mal schauen, wann ich wieder Nachrichten lesen mag.