Nebelkerze »Innovative Lösungen«

Die Forderung nach »innovativen Lösungen« ist meist nur eine Nebelkerze um so weitermachen zu können, wie bisher.

Immer wieder hört man seitens der Politik, insbesondere von Verkehrsministern, die Forderung nach »innovativen Lösungen« anstelle von Verboten. Man sollte nicht einfach »ideologisch verblendet« das Autofahren verbieten. Vielmehr mit Innovationen Anreize schaffen.

Aber was heißt das jetzt konkret? Fangen wir mal mit dem autonom fahrenden Auto an. Das ist also ein Gerät so groß wie ein aktuelles Auto, mit der dann eine Person ans Ziel gefahren werden kann ohne selbst zu lenken. Das klingt großartig. Und das tut es, weil es nur weitere Vorteile bietet ohne irgendeinen Nachteil für die Kundschaft zu haben.

Die Vorteile des autonomen Autos liegen auf der Hand:

  • Man kann viel längere Strecken fahren, weil man sich die Zeit mit interessanten Dingen vertreiben kann. Man kann ein Buch lesen, eine Serie schauen oder gar parallel arbeiten.
  • Selbst wenn man selbst nicht mehr fahrtüchtig ist, kann das Auto einen nach Hause fahren. Man kann also zum einen auch mit dem Auto zum Bierfest fahren und viel trinken, zum anderen kann man auch noch im hohen Alter in einer autoabhängigen Siedlung wohnen ohne abgehängt zu werden.
  • Man muss seine Kinder nicht mehr selbst zu Freizeitaktivitäten fahren, das Auto kann das dann einfach erledigen.

Welche Nachteile hat so ein Teil denn?

  • Es ist wahrscheinlich deutlich teurer als ein normales Auto. Zumindest in der Anfangszeit.
  • Haftungsfragen sind noch immer nicht geklärt. Für Leute außerhalb des Autos wird es vielleicht unsicherer.
  • Die Umgebung muss möglicherweise aufgeräumt werden, damit sich autonome Autos darin zurechtfinden können.

Das klingt insgesamt so, als wäre das autonome Auto wirklich die Zukunft. Ich finde nicht. Für mich ist es nur ein Pflaster, damit wir die grundlegenden Probleme gar nicht erst angehen müssen:

  • Autoabhängigkeit: Wie kann es überhaupt sein, dass Privatpersonen vom Auto abhängig sind? Warum gibt es keine sicheren Radwege? Warum sind die Ziele nicht so nah, dass man sie mit dem Fahrrad erreichen kann? Warum gibt es keinen Bus oder Straßenbahn in der Nähe? Durch das Auto haben wir erst so einen großen Bewegungsradius erlangt und somit die lokale Versorgung zerstört. Fragt mal ältere Leute, die hatten in ihrem Heimatdorf meist mehr als einen Bäcker. Und heute gibt es in diesen Dörfern so gut wie nichts mehr.
  • Lange Fahrtzeiten: Die langen Fahrtzeiten haben wir doch nur, weil wir lange Fahrtzeiten akzeptabel finden. Wären Leute nicht bereit für jedes Brötchen das Auto zu nutzen, würde sich ein Bäcker im Ort rentieren. Das Auto reduziert nicht die Fahrtzeit, die bleibt konstant. Das Auto erhöht aber die Geschwindigkeit und somit die Distanzen, die wir zurücklegen. Somit befeuert das Auto die Zersiedelung. Machen wir es uns im Auto bequemer, so steigen nur die Entfernungen und die Zersiedelung.
  • Kinder: Früher konnten sich ältere Kinder und Jugendliche eigenverantwortlich bewegen. Die Umgebung galt noch als sicherer, man traute den Kindern das zu. Heutzutage ist alles so voller Autoverkehr und man hat Angst um die Kinder. Man steckt die Kinder ins Auto um sie zu schütze und gefährdet so alle anderen Kinder.

Um diese Probleme zu lösen, müsste man aber einige Dinge grundlegend verändern:

  • Endlose reine Wohngebiete mit Einfamilienhäusern gehen aufgrund der niedrigen Bevölkerungsdichte ohne Auto einfach nicht.
  • Innerhalb der Städte müssen wir den Autoverkehr zurückdrängen und mehr Platz für Fahrrad und öffentlichen Nahverkehr schaffen. Die restlichen Handwerkerautos passen auch auf einen Fahrstreifen pro Richtung.
  • Anstelle mit dem Auto zum Stadtrand zu fahren und dort im Laden auf der ehemals grünen Wiese zu kaufen müssen wir uns mit etwas weniger Auswahl in den lokalen Läden zufriedengeben.
  • Dezentrales Arbeiten für jene Berufe, in denen es geht. Chef*innen, die nur aus reiner Geltungssucht die Leute ins Büro holen wollen, erzeugen unnötigen Pendelverkehr. Man kann sich ja noch immer im Büro treffen um den persönlichen Kontakt zu den Kolleg*innen zu pflegen. Aber das muss nicht jeden einzelnen Tag sein.

Das autonome Auto ist also eine Nebelkerze mit der wir die Probleme des Autos nicht lösen können. Es reduziert aber die Schmerzen mit dem aktuellen System indem wir die Dosis erhöhen.

Viel schlimmer ist aber, dass der Ausblick auf das autonome Auto gedankliche und wirtschaftliche Ressourcen bindet. Es verspricht eine gewisse Bequemlichkeit: Wir müssen die aktuellen Probleme gar nicht angehen weil wir in der Zukunft irgendwann eine Lösung haben werden.

Kernfusion

Das gleiche Denkmuster sieht man auch mit der Kernkraft in den Varianten Kernspaltung und Kernfusion. An sich ist Kernspaltung eine prima Sache, man kann da ziemlich viel Energie rausholen. Das Problem sind halt Unfälle und der Müll. Und die Gesamtkosten. Aber wenn man die Nachteile verdrängt, dann hat es nur Vorteile!

Wir als Gesellschaft brauchen Energie in zwei Formen: elektrischer Strom und Wärme. Man kann die beiden Formen ineinander umwandeln, allerdings entstehen immer Umwandlungsverluste. Da es aber auch immer Transportverluste gibt, ergeben sich teilweise interessante Methoden der effizienten Nutzung.

Der klassische Weg, den wir bisher für beides haben, sieht wie folgt aus. Für die Erzeugung von Wärme nehmen wir fossile Energieträger wie Erdgas oder Heizöl und betreiben damit Heizungen zuhause. In der Industrie nimmt man in der Stahlherstellung Kohle, weil die sehr heiß wird. Für Strom haben wir ebenfalls fossile Brennstoffe wie Braunkohle oder Erdgas verbrannt und damit eine Dampfturbine betrieben um Strom zu erzeugen. Kernspaltung funktioniert genauso, letztlich kocht man mit dem radioaktiven Kram Wasser und betreibt dann auch eine Dampfturbine.

Die Rohrleitungen zu den Häusern und Betrieben sind dann Stromkabel und Erdgasleitungen, an manchen Orten kommt auch ein Tanklaster mit Heizöl vorbei. Das ist der gängige Weg.

Nun haben wir in einigen Häusern elektrische Durchlauferhitzer. Die ziehen dann so 18 kW elektrische Leistung und erhitzen damit das Wasser. Somit brauchen wir dafür kein Erdgas mehr. Und wir können auch elektrisch Heizen, entweder mit Nachtspeicheröfen (ineffizient) oder einer Wärmepumpe (effizient).

Um auf einen elektrischen Durchlauferhitzer umzustellen, muss man aber das Badezimmer renovieren. Das geht noch einigermaßen einfach. Aber ein Haus auf eine Wärmepumpe umzustellen ist aufgrund der geringeren Vorlauftemperatur schwer. Man muss dann entweder größere Heizkörper oder besser Fußbodenheizung installieren. Außerdem muss das Haus gedämmt werden, damit man mit vertretbarer elektrischer Leistung das Haus gewärmt bekommt. Das ist viel Arbeit.

Aber was wäre, wenn wir hier eine einfache Lösung hätten? Ein Versprechen nichts ändern zu müssen und trotzdem CO₂-neutral zu werden? Das Versprechen hier ist mithilfe von Kernfusion beliebig viel günstige Energie zu erzeugen, mit der man dann synthetische Kohlenwasserstoffkraftstoffe herstellt. Diese kann man dann in einer Ölheizung nutzen. Wir können Methan oder Wasserstoff herstellen und das in Gasheizungen nutzen. Man muss am Haus nichts ändern. Sogar die Tankstelleninfrastruktur können wir genauso weiternutzen wie bisher auch.

Die großen Ölkonzerne müssen sich eigentlich gar nicht umstellen. Sie fördern das Öl jetzt allerdings nicht mehr aus dem Boden, vielmehr erzeugen sie es mit der Energie aus der Kooperation mit einem großen Kraftwerksbetreiber.

Das klingt erstmal attraktiv, zumindest wenn man Physik nach der 10. Klasse abgewählt hatte. Das Problem ist hier einfach der Wirkungsgrad. Eine Wärmepumpe hat einen Wirkungsgrad von 400 % bis 500 %. Ja, das geht. Sie schafft aus einer Einheit Strom vier bis fünf Einheiten Wärme in die Wohnung. Würden wir den Strom mit einer Elektroheizung in der Wohnung in Wärme umwandeln, so wäre der Wirkungsgrad annähernd 100 %.

Stellen wir allerdings E-Fuels künstlich her, so hat dieser Schritt einen Wirkungsgrad um 40 % (siehe Wikipedia-Eintrag). Der Wirkungsgrad bei der Verbrennung in einem Auto ist etwa 30 %, bei einer Heizung schaffen wir vielleicht 50 %.

Vergleichen wir E-Heizöl also mit einer Wärmepumpe, die mit dem gleichen Strom betrieben werden, haben wir einen Wirkungsgrad von 20 % gegenüber 400 %. Dieser Faktor 20 bedeutet, dass das Heizen mit E-Heizöl alleine von den Stromkosten her zwanzigmal so teuer sein wird, wie mit einer Wärmepumpe! Man kann nun die Kosten für den Umbau eines Hauses einerseits einrechnen, muss aber auch noch die ganzen Kosten für E-Fuel Transport und Betrieb der Raffinerie gegenrechnen. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass die Wärmepumpe langfristig nicht das günstigste ist.

Man kann jetzt aber versuchen den Joker zu spielen und behaupten, dass wir mit Kernkraft letztlich beliebig viel Energie erzeugen können. Wirkungsgrade interessieren uns nicht. Das ist an sich falsch, denn selbst wenn der Strompreis bei 0,01 EUR/kWh liegen würde, wäre ein Faktor 20 dann weiterhin spürbar.

Wenn die Lobbyist*innen allerdings den Politiker*innen erfolgreich verkaufen können, dass wir eine Faktor 20 schlechtere Technologie als Grundlage nutzen sollten, werden wir einen enormen Stromverbrauch haben. Wir bräuchten dann zwanzigmal so viele Windräder. Und wenn man sich dann anschaut, dass wir die zwanzigfache Fläche brauchen, so mag dann Kernfusion attraktiv scheinen. Wir bauen einfach einen Megareaktor, der ganz viel Strom erzeugen kann. Mit dem erzeugen wir die enormen Mengen E-Fuels, die wir brauchen um allen die Illusion zu geben nichts ändern zu müssen.

Die Herstellung von E-Fuels eignet sich auch als Grundlast, man kann damit also grundlastfähige Kraftwerke wie Kohle- oder Kernkraftwerke rechtfertigen.

Strom-Wärme-Kopplung

Auch hier brauchen wir keine innovativen Lösungen, es ist alles schon da. Wie eingangs erwähnt brauchen wir sowohl Strom als auch Wärme. Die Lösung ist das ganze zu koppeln.

Das Solarthermiekraftwerk ist so eine Kopplung. Man nutzt die Wärme der Sonne um ein Medium (Öl, Flüssigsalz) zu heizen. Braucht man Strom, so kann man die Wärme in Strom umwandeln. Benötigt man weniger Strom, so heizt sich das Öl weiter auf. Da im Medium die Energie gespeichert ist, kann man auch nachts daraus elektrischen Strom erzeugen. So ein Kraftwerk ist regelbar, weil wir die erzeugte Strommenge regulieren können.

Photovoltaik kann das nicht. Scheint die Sonne, liefern die Module elektrische Energie. Ist die Sonne weg, war es das direkt. Es braucht hier also ein externes Puffersystem wie einen Akku. Zwar kann man PV-Module relativ einfach auf Häusern anbringen, jedoch müssten sie in ein System mit Hausakku und Wärmepumpe integriert werden um richtig nützlich zu sein. Große PV- oder Wind-Installationen können dann einen großen zentralen Akku haben, das ist dann einfacher.

Die dort erzeugte Wärme kann auch direkt per Nah- oder Fernwärme an die Haushalte geliefert werden. Dadurch entfallen Umwandlungsverluste auf Kosten von Leistungsverlusten. Je nach Ausgestaltung kann das dann wieder Sinn ergeben.

Das ganze ist aber nicht einfach. Wir müssen einerseits weg von dem gedanklichen Konzept der Grundlast weg. Die Herstellung von E-Fuels für die wenigen Bereiche in denen sie notwendig sind (Luftfahrt, Notfallaggregate) kann immer mit überschüssigem Strom tagsüber hergestellt werden. Es gibt keinen Grund warum die Produktion immer konstant laufen muss. Wenn gerade mehr Sonne scheint, wird auch mehr E-Fuel erzeugt. Somit nimmt die E-Fuel-Produktion die Angebotsspitzen von PV und Wind raus. Über regelbare Kraftwerke und Hausakkus erzeugen wir auch noch nachts hinreichend Strom.

Das ganze ist aber eine vollwertige Energiewende, die wieder Arbeit erfordert. Sie erfordert ein neues Denken.

Fazit

Neues Denken ist aber schwer, zumindest wenn es um bestehende Strukturen geht. Die technischen Lösungen sind aber alle da. Wir haben innovative Solarthermiekraftwerke, wir haben innovative Wärmepumpen. Wir haben tolle Dämmmaterialien. Die Niederländer und Dänen haben tolle Radwege und zeigen wie fußläufige Städte funktionieren. Es ist alles da.

Deutsche Politiker*innen meinen mit »innovativen Lösungen« dann aber Quatsch wie ein Wasserfahrrad, das keines unserer Probleme löst. Oder präsentieren Flugtaxis, die auch nur ein »weiter so« ermöglichen sollen. Aber dafür kann man mal 12 Millionen EUR verballern, während für das Fahrrad noch 400 Millionen EUR verbleiben. Aber die 12 Millionen EUR sind noch wenig gegen die 370 Millionen EUR für Kernfusionsforschung. Da ist auch geplant das auf eine Milliarde EUR zu erhöhen. Das sind aber noch alles eher kleine Beträge, schließlich wird für einen Bauabschnitt einer Stadtautobahn aktuell 720 Millionen EUR veranschlagt. Man sieht hier ganz klar die Priorität von Dingen. Der eine Abschnitt der eine Stadtautobahn in der einen Stadt zuerst. Wo wären wir nur ohne das Auto? Und wie kämen wir dorthin?

Die Idee scheint also zu sein Geld in irgendwelche Fantasieprojekte zu stecken, die weder die grundlegenden strukturellen Probleme lösen können noch demnächst fertig sind. Das alles um den Wähler*innen das Gefühl zu geben keine unangenehmen Veränderungen durchleben zu müssen. Dabei sind die Lösungen längst da und billiger als die ganzen Nebelkerzen. Wir müssten uns nur trauen uns zuzumuten diese auch umzusetzen.