Der Wert der linearen Tagesschau

Lange hielt ich die Tagesschau um 20 Uhr für ein Relikt eines vergangenen Zeitalters. Inzwischen habe ich aber verstanden welchen Wert sie gerade angesichts von Reizüberflutung hat.

Wir Menschen als soziale Wesen wollen wissen, was um uns herum passiert. Früher hat man das aus der Zeitung erfahren, dann auch aus dem Fernsehen. Inzwischen kann man Nachrichten auf den Webseiten der Zeitungen bekommen. In sozialen Netzwerken ist die Geschwindigkeit noch höher.

Es mag erstmal verlockend erscheinen: immer schneller am Puls der Zeit, die Nachrichten direkt von der Quelle. Ohne langsame Redaktionen dazwischen, ohne Filter. Es bedient dann auch Urinstinkte. Schauen wir nach Nachrichten, wissen wir nicht, was es geben wird. Es hat also variable Belohnung, darauf fahren wir ab wie Glücksspiel.

Wenig überraschend kam ich in einen Modus, bei dem ich in freien Minuten erstmal eine Nachrichtenseite geöffnet habe um zu schauen, ob es etwas spannendes neues gibt. Das hat ein Ausmaß erreicht, das mir nicht gut tut.

Dazu kommt noch der Inhalt der Nachrichten. So viele schreckliche Dinge passieren in der Welt und ich kann nichts dagegen tun. Krieg, Klimawandel, Rechtsruck, Vulkanausbruch, Waldbrände. Es erdrückte mich beständig das neuste Leid zu sehen. Ich bekam Weltschmerz.

Dann versuchte ich es ohne Nachrichten. Drei Wochen habe ich keine Nachrichten angeschaut. Da war erstmal ein Loch, das ich füllen muss. Das haben ich mit Zeichnen und Lesen gefüllt. Wenn mir langweilig war, habe ich einfach angefangen und Skizzenbuch zu kritzeln. Das tat mir insgesamt schon gut.

Nach einigen Wochen kam aber das unangenehme Gefühl auf, nichts von der Welt mitzubekommen. In Isolation funktionieren wir Menschen auch nicht. Wir wollen etwas mitbekommen. Ich möchte also Nachrichten schauen, aber mit Maß. Psychologen raten zu einem bestimmten Zeitrahmen, den man sich für Nachrichten am Tag gibt.

Die tägliche Tagesschau um 20 Uhr geht zehn Minuten ohne Sportteil und Wetter. Die enthält die wichtigsten und größten Dinge. Sie enthält nicht alles, die behandelten Themen werden aber aus mehreren Perspektiven dargestellt. Außerdem geht sie nicht so schnell wie ein TikTok-Video. Man kann es entspannt schauen.

Ein weiterer Vorteil ist der feste Zeitraum, der Routine geben kann. Man hat damit einen Tagesablauf. Und vor allem kommt danach etwas anderes. Wenn man die Tagesschau und danach den Spielfilm schaut, ist man zwar informiert, suhlt sich aber nicht in den Nachrichten. Es erscheint mir eine gute Balance zu sein.

So habe ich jetzt auch angefangen meine Nachrichten zu konsumieren. Ich schaue einmal am Tag, aber nicht unbedingt zu einer ganz festen Uhrzeit, einfach die letzte Tagesschau von 20 Uhr. Oder vielleicht auch die 19 Uhr Nachrichten vom ZDF, so ganz habe ich nicht raus, welches der beiden ich lieber mag. Jedenfalls fühle ich mich dann informiert ohne das Gefühl der Überforderung. Die restliche Zeit nutze ich dann lieber zum Zeichnen, Lesen, Niederländisch lernen oder Blogartikel schreiben. Und damit geht es mir deutlich besser.