Von Scheibenwelt-Verschwörern zu Differentialgeometrie

Pseudoargumente von Scheibenwelt-Verschwörern sind zum einen erheiternd, zum anderen bieten sie aber auch einen vielleicht greifbaren Einstieg in die Welt von Mannigfaltigkeiten und Differentialgeometrie.

Zuerst einmal das Video. Der Autor möchte in dem Video gar nicht zeigen, wie absurd die Argumente für eine Scheibenwelt sind. Vielmehr möchte er verstehen, warum Leute so einen Schwachsinn überhaupt denken. Schließlich müsste doch jeder mit halbwegs Verstand diese Argumente zerlegen können.

Die Motivation dieser Leute scheint der Wunsch nach einer einfach zu greifenden Welt zu sein. Ihnen ist im 19. Jahrhundert die Wissenschaft zu kompliziert, zu indirekt, zu abstrakt geworden. Sie wollen Experimente haben, bei denen sie direkt das Ergebnis sehen wollen.

Und so war ein Experiment eine Wasserwaage mit in ein Flugzeug zu nehmen. Wäre die Erde wirklich rund, so müsste das Flugzeug mit der Zeit mit der Nase nach unten gehen, um der Krümmung zu folgen. Einer der Spinner im Video zeigte einen Globus und ein Spielzeugflugzeug um zu demonstrieren, dass das Flugzeug den Südpol ja auf dem Kopf stehend überfliegen müsste. Und Flugzeuge könnten doch nicht auf dem Kopf fliegen!

Wenn man dieses Experiment durchführt, so zeigt die Wasserwage im Reiseflug immer waagerecht an. Damit halten die Spinner es für bewiesen an, dass das Flugzeug immer exakt gerade fliegt und die Erde eine Scheibe sein muss.

Zum einen können Kampfflugzeuge durchaus auf dem Kopf stehend fliegen, aber darum geht es hier nicht. Es geht hier um die Annahme, dass man nicht geradeaus fliegen kann, wenn die Erde eine Kugel ist. Und diese Annahme stimmt nicht.

Karten für Mannigfaltigkeiten

In der Mathematik gibt es das Konzept der Mannifaltigkeiten. Die werden über einen Atlas von Karten definiert, die von einem »normalen Raum« auf die Mannigfaltigkeit abbilden. Dabei gibt es noch ein paar technische Details, die Karten müssen offene Mengen sein. Das ignoriere ich hier einmal, weil es an der grundlegenden Idee nichts ändert.

Eine Kugel ist auch eine Mannigfaltigkeit. Sie hat eine zweidimensionale Oberfläche. Sie ist aber auch eingebettet in einen dreidimensionalen Raum, daher nehmen wir sie eher als dreidimensionales Objekt und nicht als eine zweidimensionale Oberfläche wahr. Diese Intuition steht uns etwas im Weg dabei die Mannigfaltigkeit ohne den Einbettungsraum zu sehen.

Schauen wir uns einmal die Weltkugel mit den Längen- und Breitengraden an. Damit haben wir schon eine Karte gewählt, weil wir ein Koordinatensystem gewählt haben. Nun können wir die Kugel »abrollen«. Das können wir aber auch verschiedene Varianten machen.

Im folgenden Bild habe ich eine Kugel mit den Linien dargestellt, sowie verschiedene Arten das auf eine ebene Fläche abzurollen. Das erste ist die Mercator-Projektion, bei der die Längen- und Breitengrade senkrechte Linien werden. Das hat zum Problem, dass sie bei Nord- und Südpol sehr verzerrt. Die Antarktis wird da sehr breit, Russland und Grönland werden auch übermäßig breit.

Das zweite ist der Versuch eine Hammer-Aitov-Projektion zu zeichnen. Diese erhält die Rechtwinkligkeit zwischen den Längen- und Breitengraden an ihren Kreuzungspunkten, außerdem erhält sie lokal die Fläche. Somit erscheinen die Länder anders verzerrt, ihre relativen Größen sind aber vergleichbar.

Das letzte ist ein Kompromiss, das die Welt auf gewisse Weisen verzerrt.

Keine dieser Darstellungen ist »die Richtige«, alles sind mögliche Karten der Erde. Und alle diese Darstellungen haben ihre Nachteile. Es gibt also gute Gründe, warum man je nach Anwendungszweck verschiedene Karten bevorzugen würde. Man könnte auch eine eigene Karte vom Südpol anfertigen. Die restliche Welt wäre dann sehr merkwürdig dargestellt, dafür wäre es am Südpol hilfreich.

Raumkrümmung

Aber warum ist das eigentlich so alles so kompliziert? Warum kann man die Kugel nicht einfach abrollen? Das liegt an der Raumkrümmung. Das ist ein großes Wort, das meist in Wissenschaftssendungen zur allgemeinen Relativitätstheorie vorkommt. Dort wird es leider häufig mit einer Gummimatte und Stahlkugeln für die Planeten dargestellt. Diese Darstellung nutzt wieder einen Einbettungsraum und ist meiner Meinung nach verwirrend. Sie bietet ein Scheinverständnis, was aber falsch ist.

In der Schule wurde gesagt, dass die Innenwinkelsumme in einem Dreieck immer 180° sind. Und das gilt auch, zumindest in Räumen ohne Krümmung. Die Erdoberfläche ist aber ein gekrümmter zweidimensionaler Raum. Auf ihr kann man ein Dreieck mit Innenwinkelsumme 270° konstruieren, ein Dreieck mit drei rechten Winkeln:

Das Dreieck geht vom Nordpol bis zum Äquator und dort noch einen Viertelumfang am Äquator entlang. Dann zurück zum Nordpol. Schon haben wir drei rechte Winkel.

Tangentialebenen

An jedem Punkt einer Mannigfaltigkeit kann man eine glatte Ebene anlegen und erhält so eine Tangentialebene. Die Tangentialebene zu jedem Punkt ist anders. Anschaulich sieht das wie folgt aus:

Im Bild haben wir an zwei verschiedenen Punkten eine Tangentialebene. Die Ebene selbst ist flach. Und wenn wir nicht weit vom Mittelpunkt weg sind, dann ist die glatte Ebene eine ganz annehmbare Annäherung an die Kugel. Wir kennen das aus dem Alltag. Wir stellen uns unsere Stadt nicht auf einer Kugeloberfläche vor, vielmehr stellen wir sie uns auf einer Ebene ohne Krümmung vor (Berge und Täler mal außen vor).

In jeder dieser Tangentialebene kann man ein lokales Koordinatensystem definieren, was für diese Stelle dann nützlich ist. Machen wir das für ein Flugzeug, so erhalten wir ein x-y-z Koordinatensystem für das Flugzeug an den zwei Stellen:

Dieses Koordinatensystem ergibt jeweils lokal Sinn, schließlich würden wir »oben«, also die z-Richtung, immer vom Erdkern weg definieren. Schauen wir uns aber beide z-Richtungen an, so sind die nicht die gleichen.

Hier können wir auch schon das Problem mit der Wasserwaage erkennen. Die zeigt nämlich letztlich an, wo im lokalen Koordinatensystem die z-Richtung ist. Und aufgrund der kugelsymmetrischen Schwerkraft der Erde bleibt diese Richtung immer vom Erdkern weg. Somit fliegt das Flugzeug immer geradeaus, beschreibt aber im 3D-Raum trotzdem einen Kreisbogen. In gekrümmten Räumen ist geradeaus nicht unbedingt eine gerade Linie.

Paralleltransport

Wir können uns auch noch anschauen was passiert, wenn wir Dinge aus zwei verschiedenen Koordinatensystemen vergleichen wollen. Nehmen wir hier ein zweidimensionales x-y Koordinatensystem. Im linken System haben wir einen Vektor v, im rechten einen Vektor v'. Die Systeme sind zueinander verdreht.

Wenn man nun den Vektor v' vom rechten in das linke System kopiert, so erhält er dort ganz andere Koordinaten. Schaut man sich die Differenz zwischen den Vektoren an, so wirkt sie sehr groß.

Korrekterweise müsste man aber den Vektor auch entsprechend zurückdrehen, wenn man von dem rechten in das linke System geht. Also eigentlich müsste das so aussehen:

Nun sind die Vektoren sinnvoll vergleichbar.

Wir haben also den Vektor vom einen Koordinatensystem ins andere transportiert. Dabei dürfen wir natürlich nicht einfach irgendwie drehen, sondern eben so, dass die Vektoren parallel transportiert werden.

Auf einer Kugel sieht das wie folgt aus: Wir stehen auf dem Nordpol und schauen nach halblinks. Das ist Pfeil (1). Dann laufen wir zum Äquator, ohne uns zu drehen. Wir enden dann am Equator und schauen nach unten. Das ist Pfeil (2). Nun laufen wir am Äquator ein viertel Erdumfang, ohne die Blickrichtung zu ändern. Wir kommen bei Pfeil (3) an. Zuletzt laufen wir rückwärts hoch zum Äquator. Dann haben wir Pfeil (4) und schauen nach halbrechts.

Das ist ziemlich merkwürdig. Wenn man das auf einer geraden Ebene macht, zum Beispiel im Zimmer, schaut man am Ende in die gleiche Richtung wie zum Start. Hier in dem Experiment haben wir uns nie direkt gedreht, haben uns aber trotzdem um eine Vierteldrehung gedreht. Auch das ist ein Effekt der Raumkrümmung. Je größer die Umlaufene Fläche ist, desto größer ist die Abweichung zur Startblickrichtung.

Fazit

Diese ganzen Scheibenwelt-Verschwörungen sind Quatsch. Wenn man aber erklären möchte, warum sie nicht stimmen, kann man viele interessante mathematische und physikalische Dinge nutzen. Und die Mannigfaltigkeiten und Differentialgeometrie ist eine davon.