Verzweifelte Recruiter

Ich habe je ein Profil auf LinkedIn und Xing. Das war hilfreich um meinen ersten Job zu finden. Die Profile habe ich weiterhin, allerdings aktuell auf »nicht auf Suche« gestellt. Meine Profile enthalten meine aktuelle Beschäftigung, mein Studium und noch eine Liste an Schwerpunkten wie C++, Python, Datenanalyse und Hochleistungsrechnen. In jedem Fall nicht dabei ist Java, Web-Entwicklung oder Computeradministration als Kernfähigkeit. Ich habe diese Dinge zwar irgendwann einmal gemacht, aber nur an der Oberfläche gekratzt.

Das hält aber Recruiter nicht davon ab, mich zu diesen Bereichen anzuschreiben. In manchen Nachrichten spürt man die Verzweifelung, einen Kandidaten zu finden. Es gibt einmal die angestellten Recruiter, die für eine Firma Kandidaten suchen. Und dann gibt es die freien Recruiter, die gegen eine Erfolgsprovision Kandidaten an Firmen vermitteln. Die Provisionen sind in der Regel mehrere Tausend EUR, von daher lohnt sich jeder Erfolg deutlich. Um auf ein normales Gehalt zu kommen, müssen sie wahrscheinlich zwei bis fünf Kandidaten pro Monat vermitteln. Und da natürlich nur wenige überhaupt Interesse haben, nur wenige wirklich von den Firmen eingeladen werden, und wieder ein Bruchteil davon wirklich eine Anstellung bekommt, müssen sie ihr Netz sehr weit auswerfen. Das ist dann teilweise schon absurd, was ich an Zuschriften bekomme.

Der Job aus der Apple-Keynote

Einer hat mich angeschrieben und hatte eine Jobbeschreibung, die extrem vage war. Das konkreteste war das hier:

I'm currently working with a fantastic company who pride themselves on solving complex problems using programming languages as a tool.

Ich gehe davon aus, dass jede Firma, die an mir interessiert wäre, irgendwas mit Programmierung macht. Da ich viel Erfahrung mit Python, C++ und anderen Programmiersprachen habe, wäre es total bekloppt, mich nicht damit arbeiten zu lassen.

Dann kam noch dieser Absatz:

This company specialises in hiring BSc, MSc and PhD graduates, mainly in the fields Informatics, Mathematics and Physics, as such they have a collection of some of the brightest minds in Germany working for them.

Ich habe in Physik promoviert. Natürlich werde ich irgendwo arbeiten, bei dem meine Kollegen ebenfalls Akademiker sind. Es wäre total merkwürdig, wenn ich der einzige Doktor weit und breit wäre. Und es gibt ziemlich viele Absolventen mit Bachelor, Master, oder Promotion in Informatik, Mathematik und Physik. Wenn das schon die »hellsten Köpfe« sind, dann sagt das relativ wenig aus.

Und dann auch weiter wieder eine Selbstverständlichkeit:

They have a fantastic working environment that is built on continuous education and learning, problem-solving of the highest level and a collaborative working environment building endless opportunities for growth.

Selbst im öffentlichen Dienst werden die Leute heutzutage nicht mehr abgestellt, sondern da wird auch Personalentwicklung betrieben. Welche Firma im Bereich Technik kann es sich leisten, die Mitarbeiter*innen nicht weiterzuentwickeln?

Ich hätte dann einen Termin bei seinem Kollegen buchen können, um mehr über den Job zu erfahren. Aber das klang echt nach dubioser Zeitverschwendung.

Kernelentwickler

Dann bekam ich noch eine Nachricht, die wirklich total oberflächlich war:

Du hast Erfahrung mit Linux-Kernel Treibern? Ich habe einen Kunden, der dich sucht!

Must-Have's: Entwicklung von Linux-Kernel Treibern, Programmiersprache C, Bootloader & Root-File Systemen

Nice to Have: (Debian)-Paketmanagement und automatische Builds

Das war es. Ich habe schon »Linux« in meinem Profil angegeben, ich bin da aber Nutzer, und kein Entwickler. Ich habe noch nie etwas mit dem Kernel aktiv gemacht, der war halt immer da. Zwar kann ich in C programmieren, mag es aber überhaupt nicht. Und dann habe ich auch mal in Debian und Fedora Pakete erstellt, aber auch nur so nebenher.

Da hat jemand wohl nur nach »Linux« gesucht, alle angeschrieben und gehofft, dass sich schon irgendwer melden wird und ihm seine Provision verschafft. Am Ende ist aber Spam.

Scheinselbstständiger Nachhilfelehrer

Auch schön war diese Nachricht hier:

Hallo Martin, dein Studienhintergrund hat mein Interesse geweckt. Hättest du Lust als Tutor bei der neuen Nachhilfeplattform […] anzufangen (Verdienst: 21-30 €/ 90 min)? Schau mal rein und melde dich an: […]. Ich bin gerne für jegliche Fragen da! Grüße, […]

Ich weiß zwar nicht so ganz, warum man jemanden mit Promotion in Physik als Nachhilfelehrer sucht, aber gut. Ich habe ja durchaus während der Studienzeit Nachhilfe gegeben, aber inzwischen bin ich fertig mit dem Studium. Also habe ich zurückgeschrieben, dass das doch überhaupt nicht aufgeht.

Selbst wenn ich 40 Stunden pro Woche arbeite, was ja bei so einer Plattform gar nicht garantiert ist, komme ich gerade einmal bei 3300 EUR/Monat brutto heraus. Wahrscheinlich noch als Selbstständiger, der eigene KV und RV zahlen muss?

Das lohnt sich für mich überhaupt nicht. Vielleicht solltest du eher nach Studenten schauen, nicht nach Absolventen im Beruf.

Adminjob

Es scheint ein großer Bedarf an Administratoren für diverse Computersysteme zu geben. Ich habe zwar an während der Promotion einige Arbeitsplatzrechner im Institut administriert, jedoch nur so auf Aushilfsniveau. Das, was professionelle Administratoren machen, ist auf einer ganz anderen Größenordnung. Und außerdem kann ich dort nicht meine Stärken einsetzen. Es ist zwar auch ein Job mit Computern, aber nicht wirklich für mich passend.

Trotzdem bekomme ich immer wieder Nachrichten, wie diese:

aktuell arbeite ich für einen weltweit führenden Anbieter von IT-Services. Um in den kommenden Jahren die erfolgreiche Marktpositionierung auch weiter zu bestärken, wird ein Operations Command Centre (OCC) auf- und ausgebaut. Konkret suche ich für meinen Kunden mehrere System Administratoren mit den Schwerpunkten. (Windows/Unix)

Sie überwachen Windows- bzw. Unix-basierten Systeme und sammeln Sie Erfahrung in ITIL-Prozessen, ITSM-Tool-Betrieb und Monitoring-Tool-Betrieb Sie haben außerdem die Chance sich in Ihrem Fachgebiet im Rahmen von Zertifizierungen weiter zu qualifizieren.

Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, was diese Fachbegriffe bedeuten. Ich habe da nicht geantwortet, es erschien mir wieder einfach so Spam zu sein. Aber ich wurde dann nochmal angeschrieben:

Auf diesem Wege möchte ich Ihnen ein paar Stichpunkte an die Hand geben, sodass Sie sich ein genaueres Bild zu den vielfältigen Aufgaben und Projekten machen können. Sie sind u.a. verantwortlich für:

  • Überwachung von UNIX-basierten Systemen
  • Überwachung von Schwellenwerten wie CPU-Auslastung, Festplattenplatz usw.
  • Bearbeitung der ARS-Queues

Auch hier sagt mir »ARS-Queue« auch wieder überhaupt nichts. Ich scheine also nicht die Zielgruppe zu sein. Und Schwellenwerte wie CPU-Auslastung überwachen klingt nach einer langweiligen Nagios-Installation. Aber da bin ich einfach nicht der richtige.

Hellseherin der Gehaltsvorstellung

Mit das absurdeste war jedoch die Personalerin, die meine Gehaltsvorstellungen anscheinend aus ihrer Glaskugel lesen konnte:

Du bringst unter anderem umfangreiche Kenntnisse in Java und Spring mit - In deinem aktuellen Unternehmen bist Du nun seit über 3 Monaten tätig. Deine Gehaltsvorstellung habe ich natürlich auch berücksichtigt.

Ich selbst bin Personalberaterin in der Softwareentwicklung mit der Spezialisierung Java im Großraum Düsseldorf/Köln. Auf dem ersten Blick könnte Dein Profil mit den genannten Technologien sehr gut auf interessante Positionen passen, welche ich aktuell vorliegen habe.

Nach drei Monaten schon wechseln? Klar, falls man sich in der Probezeit nicht wohl fühlt, könnte man das erwägen, dafür ist die ja da. Aber warum sollte man nach drei Monaten schon wechseln? Man ist doch noch nicht einmal annähernd eingearbeitet, hat sich so gerade mit den Kollegen bekannt gemacht und ein bisschen mit den Abläufen in der Firma. Da kann man doch noch gar nicht sagen, dass man schon alles gesehen hat und stagniert. Aber gut.

Dann weiß ich nicht, ob ich es schmeichelhaft finden sollte, »umfangreiche Kenntnisse in Java« zugeschrieben zu bekommen. Ich habe von 2007 bis 2012 ein bisschen was mit Java gemacht, ja. Und ich habe das Projekt wohl auch irgendwo bei LinkedIn angegeben. Aber das ist lange her. Und umfangreiche Kenntnisse würde ich das keinenfalls nennen. Es war einfach eine Station auf meiner Karriere als Programmierer. Es ist halt Spam, man soll selbst schauen, ob man passt.

Und das mit der Gehaltsvorstellung finde ich total absurd. Was soll das heißen? Woher will sie das wissen? Ich habe aus Spaß mal nachgefragt, wie hoch meine Gehaltsvorstellung denn so sei. Die Antwort darauf war ernüchternd:

wir haben von unseren Auftraggebern eine Budget erhalten, welches sich natürlich an Qualifikationen und Erfahrungen der Kandidaten richtet.

Aber wir könnten ja gerne mal telefonieren. Nein danke.

Ich in Fokus

Auch schön ist, wenn ich kalt angeschrieben werde. Das war dann ein Text, der wohl so an alle möglichen Leute ging:

wie du dir wahrscheinlich denken kannst, bin ich positiv auf dein LinkedIn-Profil gestoßen. […] Mein Fokus dabei bist du!

Und dann schrieb er noch ganz allgemein zu den Firmen, für die er sucht:

Java, Kubernetes, Angular, REST, das Spring-Framework und diverse Cloudumgebungen warten auf deine Fingerfertigkeit.

Bestimmt nette Jobs, aber das hat überhaupt nichts mit dem zu tun, was ich gemacht habe. Immerhin weiß ich bei diesen Stichwörtern, was sie bedeuten. Das ist zwar alles so mit Computern, aber ein Paralleluniversum. Und das sollte ein technischer Recruiter, der »mich im Fokus hat«, doch eigentlich wissen.

Fazit

LinkedIn und Xing sind wirklich eine Art umgekehrtes Tinder: Attraktive Frauen schreiben pickelige Nerds an, und letztere antworten noch nicht einmal. Die gleichen Muster, die Männer auf Tinder an den Tag legen, kommen auch hier. So bekommt man ganz generische Nachrichten, ein weit aufgespanntes Netz, bei dem hoffentlich irgendein Programmierer antwortet. Die Verzweifelung ist greifbar, und durch die ganzen Anfragen haben die Programmierer dann auch wenig Interesse zu antworten.