Sind Autonome Autos die Zukunft?

Aktuell geht es ja heiß her um den Ausbau des Radweges in der rechtsrheinischen Rheinaue. In diesem Rahmen kommen dann auch immer wieder Grundsatzdiskussionen auf. Mir wurde dieser Beitrag hier zugespielt:

Tut mir leid, ich bin anderer Meinung.

Die Verkehrswende ist falsch, da sie die Mobilität verringert und mittelfristig zu Bauverdichtung und engerem Wohnen führt, mit allen Nachteilen, wie Lärm, fehlende Frischluftschneisen, hohe Mieten, aufeinanderhockende Menschen.

Die Klimakrise beenden wir nicht mit Rikschas, sondern nur mit Lösungen, die die Welt annehmen kann. Das wird das elektrisch betriebene, mittelfristig autonom fahrende Auto sein, das dann auch keinen Parkraum mehr braucht. Wenn wir lieber Fahrräder bauen, dann wird das Geschäft den USA und China zugute kommen, die jetzt bereits Technologieführer sind.

Wer auf Radverkehr setzt, der setzt auf die Vergangenheit. Der Radverkehr bietet nicht die Mobilität, die eine moderne Industrienation braucht, und muss daher in jeder Verkehrsplanung nachrangig behandelt werden. Denn was wir jetzt merken: Jeder Ausbau des Radverkehrs ist mit massiven Einschränkungen für alle anderen verbunden. Autofahrer und ÖPNV werden ausgebremst. Fußgänger blockiert. Und jetzt soll auch noch ein Erholungsgebiet fallen.

Diese massiven Kosten und Einschränkungen für die Allgemeinheit ist der Radverkehr einfach nicht wert.

Da steckt meiner Meinung nach viel Potential für eine Diskussion drin. Ich glaube nämlich, dass diese Zukunftsvision in sich nicht tragbar ist, und letztlich Argumente für mehr Radverkehr liefert.

Bevölkerungsdichte

Den Zusammenhang zwischen Verkehrswende und Wohnungssituation und vor allem der Bevölkerungsdichte sehe ich auch. Zur Verdeutlichung kann man sich die Extreme anschauen.

Krasse Dichte haben wir zum Beispiel in Hong Kong, oder dem südlichen Manhattan. Dort ist die Dichte in Personen pro km² so groß, dass es nur noch mit Hochhäusern geht. Auch in Südkorea ist es in den Städten einfach undenkbar ein eigenes Haus zu haben. Man hat diverse Nachteile durch die Dichte, zum Beispiel hat man Nachbarn über und unter einem. Man hat auch keinen eigenen Garten, weil nicht jeder im Erdgeschoss wohnen kann. Dann hat man noch ein Problem mit Lärm und Verschmutzung. Gerade in den chinesischen Städten (ich war in Wuhan und Beijing) ist das ein riesiges Problem.

Die Dichte hat aber auch Vorteile. So gibt es in Manhattan in Laufreichweite immer ein Café, in das man sich setzen kann. Überall auf der Straße stehen Streetfood-Wagen. Es lohnt sich, eine U-Bahn zu betreiben. Es gibt genug Leute mit ausgefallenem Geschmack, dass sich ein veganer Burger-Laden, Boulderhalle, Kunstgalerie oder ähnliche Dinge jenseits der üblichen Ketten lohnen kann. Ohne die Dichte wären einfach nicht genug Kunden in der Reichweite.

Das andere Extrem habe ich ebenfalls in den USA kennengelernt. Meine Gastfamilie wohnte auf tausenden m² Grundstück, und die nächsten Nachbarn waren ein gutes Stück weg. Jede Familie hatte ein freistehendes Haus mit hunderten m² Wohnfläche und einer Einfahrt mit Platz für vier Autos. Dort war es immer super ruhig. Verschmutzung war auch keine wahrnehmbar, man wohne quasi im Grünen. Vögel waren das lauteste, was man gehört hatte. Auf eine gewisse Art ist das idyllisch. Platz ist auch viel da, man kann im Garten sitzen (außer wenn es draußen 45 °C sind).

Was man allerdings nicht konnte, ist irgendwas unternehmen, ohne mit dem Auto erstmal 15 Minuten bis zur Kleinstadt (grob 5000 Einwohner*innen) zu fahren. Man fuhr auf einer Landstraße, die keinerlei Platz für Fußgänger*innen hatte. Dort fuhr auch niemand mit dem Fahrrad. Die paar Leute, die mit dem Fahrrad gefahren sind, haben ihr Mountainbike auf die Ladefläche des Pick-Ups gepackt, sind irgendwo in ein Mountainbike-Gebiet gefahren und haben sich dort ausgetobt. Und dann wieder mit dem Truck zurück nach hause.

Ich war 16 und 17, als ich dort war. Ich hatte keinen Führerschein, und auch kein Auto. Aufgrund der Gegebenheiten dort war ich »vom Auto abhängig«, in diesem Fall sogar noch von meinen Gasteltern. Die mussten aber natürlich auch arbeiten, sodass ich nachmittags meistens einfach nur im Haus saß. Der Schulbus kam morgens exakt einmal, und nach der Schule kam der auch nur einmal. Ich bin morgens gut 70 Minuten, nachmittags gut 30 Minuten mit dem Bus gefahren. Mit dem Auto waren es ungefähr 20 Minuten bis zur High School. Ich war auch der älteste im Schulbus. Alle anderen waren unter 15 und jünger, denn alle älteren hatten Führerschein und Auto. An AGs oder Sportteams konnte ich nicht teilnehmen, weil ich danach nicht mehr nach Hause gekommen wäre. Ich war in einer autofokussierten Welt, in dem das Auto die Freiheit bedeutet, und ich hatte kein Auto. Nie hatte ich so viel Fernsehen geschaut, wie zu der Zeit.

Durch die mangelnde Dichte gab es nichts in der Nähe des Hauses. Es war sogar so weit draußen, dass sich Charter Cable geweigert hat ein Coax-Kabel zu legen. Somit war die Internetverbindung auf 56k-Modem beschränkt. Das ganze blockierte dann das Festnetztelefon, das 2007/2008 durchaus noch genutzt wurde; Handy-Flatrates gab es noch nicht. Weil die Dichte so gering war, gab es noch nicht einmal Gehwege. Man war ohne Auto effektiv in der kleinen Stichstraße gefangen, die Landstraße war zu gefährlich zum Gehen.

Durch diese Erfahrungen bin ich durchaus für tendenziell mehr Dichte. Als ich noch in Endenich gewohnt habe, konnte ich fußläufig mehrere Cafés erreichen. Es gab einen Buchladen, einen Fahrradladen, zwei Bäckereien, mindestens drei Frisöre, viele Ärzte, drei Supermärkte, mehrere Lottoläden, Optiker, Restaurants, Escape-Room, Bioladen und noch viel mehr. Jetzt in Holzlar gibt es eine Ladenzeile mit zwei Apotheken, Gemüsehändler, Optiker, Metzgerei, Bäckerei. Zwei Hausärzte gibt es, einen Supermarkt, ein gutbürgerliches Wirtshaus und noch ein Café-Restaurant am Waldrand. Das war es dann aber auch schon. Hier haben die Leute aber viel mehr Parkplätze und viel mehr Autos. Die Dichte ist geringer. Und ich bin damit weniger glücklich.

Es ist schon richtig, ich hätte gerne einen Garten. Ich hätte auch gerne weniger Lärm. Das liegt aber zur Hälfte an dem ganzen Autoverkehr vor der Tür, zum anderen durch die ganzen Leichtflugzeuge vom Flugplatz Hangelar. Die Nachbarn sind relativ leise im Vergleich.

Denn woher kommt denn der Lärm und die Verschmutzung in den Städten? Es ist meist der Autoverkehr. Schwerindustrie haben wir in der Regel keine in den Städten. Ohne Autoverkehr könnten Städte leise und sauber sein. Das haben wir alle im April 2020 erlebt, als die Leute plötzlich alle zuhause waren. Es war einfach ruhig, und die Luft war auch ein bisschen besser. Und höhere Dichte ermöglicht weniger Autoverkehr, höhere Dichte kann also sauberer und leiser sein, wenn man es möchte. Die Niederländer machen es vor, insbesondere in Delft1.

Mietpreise

In der Stadt sind die Mietpreise in der Tat höher als am Stadtrand. Daher wohnen wir auch am Stadtrand. Es gibt einfach weniger Platz in der Mitte. Innerhalb eines Radius $r$ gibt es die Fläche $A = \pi r^2$. Das bedeutet einfach, dass das Platzangebot mit einer Verdoppelung vom Zentrumsabstand viermal so groß ist. Und wo viermal so viel Angebot ist, ist der Preis entsprechend geringer. Der Markt sollte hier die Wohnungen so verteilen, dass jeder so zentral wohnt, wie es ihm das wert ist. Ob der Markt gerade so funktioniert, bezweifele ich allerdings. Aber das ist eine andere Sache.

Die Preise für Eigentumswohnungen in der Stadt sind aktuell auf einem Niveau, den man früher nur von Häusern kannte. Und dann muss man sich fragen, ob man für das Geld wirklich nur in einer Wohnung mit Nachbarn wohnen möchte. Da kann ich schon verstehen, dass man darüber nachdenkt weiter nach draußen zu ziehen. Das hat dann aber auch seinen Preis, nur anders.

Das autonome Auto

Die Person, von der diese Meinung stammt, sieht die Lösung der Klimakrise akzeptablen Lösungen:

Die Klimakrise beenden wir nicht mit Rikschas, sondern nur mit Lösungen, die die Welt annehmen kann.

Diesen Satz finde ich schon sehr merkwürdig. Rikschas sind diese Taxi-Fahrräder, und die stehen gar nicht im Mittelpunkt. Es geht bei der Verkehrswende darum, dass Personen sich ihre Mobilität frei aussuchen können. Menschen sollten zu Fuß gehen, mit dem Bus oder Bahn fahren, oder das Fahrrad nehmen können. Und bei Bedarf soll es durchaus noch das Auto sein. Nur eben nicht mehr immer für alle.

Es braucht Lösungen, die die Welt annehmen kann. Was heißt das denn? Wer ist die Welt? Alte weiße Männer? Oder wirklich alle Menschen auf diesem Planeten? Wer akzeptiert das, die Personen per Volksabstimmung, als mündige Verbraucher im Laden oder Regierungen? Ich nehme mal die mündigen Verbraucher. Ein Verbraucher entscheidet sich ja immer im Kontext des Angebotes. Und wenn das Auto massiv subventioniert wird, und dafür viele Straßen gebaut werden, dann ist das rational häufig die beste Wahl.

Mit der Prämisse zu starten, dass das Auto die beste Wahl sei, unterschlägt aber Änderungen des Rahmens. In den Niederlanden zum Beispiel würden die Leute in Städten eben nicht das Auto wählen. Sie entscheiden sich für einen Mix aus Fußverkehr, Radverkehr und öffentlichen Verkehr. Man hat dort politisch gewollt den Rahmen verändert. Und die Leute dort nehmen das an.

Von daher ist der Satz irgendwie ein Zirkelschluss und damit eine Nullaussage. Der Person scheint es allerdings klar auf das Auto zu führen:

Das wird das elektrisch betriebene, mittelfristig autonom fahrende Auto sein, das dann auch keinen Parkraum mehr braucht.

Dass Autos elektrisch betrieben werden, ist jetzt gesetzt. Wasserstoff ist dort erledigt, und der Verbrennungsmotor wird von einigen Herstellern schon gar nicht mehr weiterentwickelt. Soweit okay.

Autonomes Fahren wird auch kommen, es ist nur noch eine Frage der Zeit. Die Komplexität des Straßenverkehrs macht es enorm schwer, aber die Hersteller und Kund*innen haben sich das jetzt in den Kopf gesetzt.

Mein großes Problem mit dem autonomen Fahren ist, dass es das konstante Reisezeitbudget außer Kraft setzen könnte. Seit länger Zeit ist die Zeit, die Menschen pro Tag in Mobilität stecken, ungefähr gleich geblieben. In Verkehrssystemen wird regelmäßig die Geschwindigkeit erhöht (Autobahnausbau), um »Zeit zu sparen«. Diese gesparte Zeit wird allerdings nur in längere Strecken investiert, schreibt Knoflacher.2

Wird zum Beispiel ein Ort an die Autobahn angebunden, verringert sich die Reisezeit in die nächste Mittelstadt so sehr, dass man auch dort noch schnell etwas kaufen kann. Die Läden im Ort bekommen nicht mehr genug Nachfrage und können sich nicht mehr lange halten. Danach muss man in die nächste Mittelstadt, weil es nur noch dort diese Läden gibt. Durch die erhöhte Reichweite treten auch viel mehr Geschäfte in Konkurrenz zueinander. Dadurch steigt der Konkurrenzdruck, und es können nur noch die großen Läden überleben. Eine Vielfalt im Angebot geht zurück.

Die Reisezeit ist aber begrenzt, weil sie eher lästig ist. Beim Autofahren muss man selbst fahren und sich konzentrieren. Man kann Podcasts hören, aber so richtig Fernsehen schauen kann man nicht. Das könnte man in der Bahn, dort muss man aber umsteigen, Teilstrecken zu Fuß zurücklegen. Im autonomen Auto, das dann wirklich ein rollendes Wohnzimmer wäre, gäbe es viel Entertainment. Und so könnte ich mir vorstellen, dass man mehr Zeit darin verbringen wird. Man man zum Beispiel die abendliche Fernsehserie im Auto schauen kann, so macht einem eine längere Rückfahrt nicht mehr so viel aus, wie vorher. Dadurch könnte die Zeit, die Menschen pro Tag in Mobilität stecken, steigen. Und damit die Zersiedelung nochmal ein ganz neues Ausmaß erreichen.

Zudem könnte das autonome Auto auch als Taxi für Jugendliche eingesetzt werden. Dadurch müssen die Eltern nicht mehr fahren, und Wohnen weiter draußen wird auch attraktiver. In Momenten, in denen mich die Stadt nervt, überlege ich ins Nirgendwo zu ziehen. Man bräuchte dann ein Auto, aber dann wäre das halt so. In meiner Verzweiflung erscheint das nicht direkt wie eine schlechte Idee. Sobald ich aber daran denke, dass ich dann grob 20 Jahre lang Kinder überall hinfahren müsste, weil sie sich nicht autonom bewegen können, habe ich definitiv keine Lust mehr darauf. Das autonome Auto könnte diese Abwägung nochmal erheblich verändern.

Parkraum

Dann ist da noch der Halbsatz mit dem Parkraum. Den finde ich auch äußerst Problematisch. Wie soll das denn konkret gehen, dass ein Auto plötzlich keinen Parkraum mehr braucht? Entweder ist das autonome Auto konstant in Fahrt, oder aber es parkt außerhalb, wo auch immer das sein soll. Beides ist gefährlicher Quatsch.

Angenommen, die Autos sind konstant in Bewegung. Die Menschen sind das aber nicht. Sehr viele sind vormittags in der Schule oder auf der Arbeit. Wenn sie aber mit dem autonomen Auto dorthin fahren, dann muss es genug Autos geben, um in Spitzenzeiten alle mitzunehmen. In den Nebenzeiten müssen die Autos irgendwo hin. Aber wohin? Fahren die dann im Kreis?

Außerdem müssten sich dann Leute Autos teilen, die wären dann eher öffentlicher Verkehr als eigene Autos. Und dann hat man die gleichen Probleme mit Vandalismus und Dreck, die jene Leute aktuell schon davon abhalten mit dem Bus oder der Straßenbahn zu fahren. Von daher glaube ich nicht, dass sie das Auto nicht mehr ihr Eigentum nennen wollen.

Die Autos in Privateigentum könnten auch außerhalb parken. Dann müssen die Autos erstmal dorthin fahren. Ich stelle mir so gigantische Parkhäuser am Stadtrand vor, die eine eigene Autobahnauffahrt haben. Das ganze so ein bisschen dystopisch wie die Roboter-Schrottplätze im Film »I Robot«. Die Autos fahren dann dort hin und werden automatisch aufgeladen. Nur dann fahren sie leer dort hin. Denn kein Mensch möchte im Auto sitzen, während das in einem verlassenen Gebiet aufgeladen wird. Die durchschnittliche Anzahl Passagiere könnte also den aktuellen ungefähr 1,2 sogar auf unter 1,0 gehen. Damit haben wir noch viel mehr Autoverkehr als jetzt schon, und das wird noch viel mehr Straßenkapazität brauchen.

Es ist schon wahr, dass die autonomen Autos nicht mehr unbedingt vor der Haustür stehen müssen. Aber warum ist das wichtig? Das ist doch nur wichtig, wenn die Bevölkerungsdichte so groß ist, dass Parkplätze wichtigen Lebensraum verschwenden. Die Person hier scheint aber keine Dichte zu mögen. Und wenn man schon ein freistehendes Einfamilienhaus hat, dann ist der Parkplatz für das Auto auch nicht mehr das Problem. Das erscheint mir ziemlich inkonsistent.

In einer Stadt, die durch den Wegfall von Parkplätzen plötzlich genug Platz für Fuß- und Radverkehr bietet, braucht es aber gar keine Unmengen an autonomen Autos mehr. Das kann man sich dann im Einzelfall holen, wenn man aufs Land fahren möchte. Damit sind die autonomen Autos aber gar nicht mehr das Hauptverkehrsmittel. Auch das entspricht nicht dem Bild, das ich mir aus der Meinungsäußerung bilde.

China

Dann noch die Sorge nach der Wettbewerbsfähigkeit:

Wenn wir lieber Fahrräder bauen, dann wird das Geschäft den USA und China zugute kommen, die jetzt bereits Technologieführer sind.

Ich finde es schon ziemlich ironisch, wie sich die Deutschen immer über US-amerikanische Autos lustig haben, jedoch jetzt Tesla Motors total angesagt ist. Selbst wenn in Deutschland jetzt total auf das E-Auto gesetzt wird, ist Tesla Motors weiterhin weit voraus. Die Chinesen sind auch kräftig dabei.

Bei Fahrrädern ist mir nicht so recht klar, wer da welchen Markt hat. Mein Fahrrad stammt von einer Firma aus Bonn, die meisten Komponenten sind aber japanische Shimano-Komponenten. Die Konkurrenz, SRAM, sitzt in den USA. Irgendwie sind wir da jetzt auch nicht gerade führend.

Warum genau wäre es eigentlich ein Problem, wenn Deutschland jetzt nicht der Technologieführer in einer Technologie ist, die unsere Städte weniger lebenswert macht? Mit der Rüstungsindustrie sind wir doch schon in genau so einer Sparte ziemlich führend und freuen uns daran, dass die anderen das von uns kaufen. Wir könnten natürlich Autos an die anderen Staaten verkaufen, die den Schuss noch nicht gehört haben. Bei der Solarindustrie haben wir es ja auch geschafft die Produktion nach China zu verlagern. Die Automobilindustrie ist bei weitem nicht der größte Arbeitgeber in Deutschland. Es wird aber immer so getan, als würden die ganz alleine den Laden am Laufen halten.

Die Autohersteller selbst sehen aber auch beim individuellen Besitz der Autos nicht die Zukunft. Sie investieren daher in Fahrdienstleistungen, Daimler und BMW haben ihre Car-Sharing-Angebote auch schon zusammengelegt. Sie wollen sich in der Zukunft mehr als Mobilitätsdienstleister sehen. Auch das zeigt, dass eine Wende bevorsteht.

Mehr Platz für das Auto

Weiter geht es in der Aussage:

Wer auf Radverkehr setzt, der setzt auf die Vergangenheit.

Gut, das Konzept Fahrrad ist älter als das Konzept Auto. Aber so richtig klar, warum das jetzt schlecht sein soll, verstehe ich aus dem Satz nicht. Mir scheint da aber eine eventuell blinde Fortschrittsgläubigkeit durchzuscheinen. Das Auto ist modern, also ist es besser. Die Zukunft ist voller Asphalt, autonomen Autos, die über den Stau fliegen können. Oder so. Ich frage mich, ob das die gleichen Leute sind, die bei »der Jugend von Heute« immer so skeptisch sind.

Der Radverkehr ist angeblich unzureichend:

Der Radverkehr bietet nicht die Mobilität, die eine moderne Industrienation braucht, und muss daher in jeder Verkehrsplanung nachrangig behandelt werden.

Das stimmt aktuell sogar. Die meisten Städte sind so gebaut, dass man mit dem Fahrrad nicht hinreichend mobil ist. Die Radinfrastruktur ist zu schlecht, als dass man komfortabel längere Stecken fahren könnte. Es gibt keine Radschnellwege, die einen entlang wichtiger Achsen zügig voranbringen. Bonn hat aber mit den Autobahnen 565 und 59 und den Bundesstraßen 56, 42 und 9 sehr gute Achsen für den Autoverkehr. Von daher ist in der Tat das Auto aktuell besser gestellt. Das ganze ist so krass, dass wir auch ein Auto gekauft haben.

Daraus aber abzuleiten, dass man noch mehr das Auto fördern sollte, finde ich falsch. Gerade deshalb sollte man den Radverkehr mehr fördern. Auf der Kurzstrecke ist das Fahrrad effizienter als der Autoverkehr, wenn man es lassen würde. Mit Blick in die Niederlande hat die Person hier Ursache und Wirkung etwas vermischt.

Dem Radverkehr ist jedenfalls kein Platz zu geben:

Denn was wir jetzt merken: Jeder Ausbau des Radverkehrs ist mit massiven Einschränkungen für alle anderen verbunden. Autofahrer und ÖPNV werden ausgebremst. Fußgänger blockiert.

Dieses »massiv« finde ich amüsant. Wenn irgendwo ein Radweg neben einer Landstraße gebaut wird, freuen sich Autofahrer*innen in der Regel, weil sie dann ungestört 100 km/h fahren können. Damit hätte ich schon einen Ausbau für den Radverkehr gefunden, der mindestens eine andere Gruppe nicht einschränkt. Warum das Autoverkehr und ÖPNV ausbremst, ist mir nicht klar.

Auch innerorts könnten baulich getrennte Radwege zu einer Entflechtung der Verkehrsarten führen und damit sogar den Autoverkehr flüssiger werden lassen. Wahrscheinlich sind Umwidmungen von Fahrstreifen zu Radstreifen gemeint, wie die »Pop-Up Radstreifen« in Berlin. In der Tat schränkt das den Autoverkehr ein. Und bei gleichbleibender Verteilung von Rad- und Autoverkehr wird der Autoverkehr dann langsamer werden. Die Frage ist nur, ob irgendwann einige Autofahrer*innen auf das Fahrrad umsteigen, weil sie jetzt einen sicheren Weg haben. Autofahrer*innen bedrängen häufig Radfahrer*innen, und wollen dann selbst nicht mit dem Fahrrad fahren, weil das ja so gefährlich ist. Sobald aber geschützter Raum dafür da ist, trauen sich mehr Leute auf das Fahrrad. Und ein Radstreifen mit 3 m Breite kann viel mehr Personen pro Zeiteinheit transportieren als ein entsprechender Fahrstreifen für den Autoverkehr. Wenn also hinreichend viele Leute umsteigen, so steigt die Kapazität der gesamten Straße, der Autoverkehr wird also flüssiger.

Das Problem ist aber auch hier wieder, dass viele Leute nicht umsteigen wollen. Immerhin ist diese Person hier fair und erwartet immerhin nicht von den anderen, dass sie umsteigen. Was passiert, wenn wir wirklich alle Personen in ein Auto setzen und durch die autonomen Autos auch noch Leerfahrten entstehen? Die Kapazität der vorhanden Straßen reicht bei weitem nicht aus. Setzen wir gedanklich 30 Leute aus einem Bus in jeweils einzelne Autos. Der benötigte Platz steigt massiv an. Damit das noch irgendwie machbar wäre, müssten ganze Häuserreihen abgerissen werden und durch mehr Fahrstreifen ersetzt werden. Die Wege würden länger. Eventuell gibt es dann irgendwann eine Singularität, und alles besteht nur noch aus Fahrbahnen.

Rheinaue

Gegen Ende kommt noch ein Seitenhieb auf die Rheinaue:

Und jetzt soll auch noch ein Erholungsgebiet fallen.

Das klingt so, als wären Terroristen an der Stadtgrenze, und Bonn könnte die Rheinaue nicht mehr weiter verteidigen. Aktuell sind die Wege dort so schmal, dass der Radverkehr dort immer wieder zu Konflikten führt, siehe die Fotostrecke. So richtig erholsam ist es dort nicht, schon gar nicht mit dem Fahrrad. Es ist aber eine wichtige Pendelstrecke, deren Mängel die Leute ins Auto und auf die B 42 und A 59 führt. Breitere Radwege entlasten den Autoverkehr, außerdem entspannen sie den Rad- und Fußverkehr dort. Die Rheinaue sollte eher erholsamer werden.

Aber irgendwie verstehe ich auch nicht, warum das so wichtig ist. Der Person scheint Dichte und Fußläufigkeit gar nicht wichtig zu sein. Vielmehr ist die gute Erreichbarkeit mit dem Auto wichtig. Man kann sich doch einfach ins Auto setzen und damit ins Grüne fahren, davon gibt es in der Umgebung genug. Da ist die Rheinaue doch total egal.

Kosten

Und natürlich dürfen auch die Kosten nicht fehlen:

Diese massiven Kosten und Einschränkungen für die Allgemeinheit ist der Radverkehr einfach nicht wert.

Die »massiven Kosten« sind wohl eine Sichtweise, in der die KFZ-Steuer alle Straßen bezahlt. Schaut man mal, so wurden die Kosten für den Radentscheid Bonn auf 63 Millionen EUR angesetzt. Hingegen werden in Berlin 700 Millionen EUR für 3,2 km Autobahn ausgegeben. Für das Geld, was eine massive Förderung des Radverkehrs in einer ganzen Stadt kostet, kann man ganze 320 m Stadtautobahn in Berlin bauen.

Man kann in den USA gut sehen, wie autofokussierte Städte aussehen. Interessanterweise können die Städte die ganzen Ausgaben für die nötige Infrastruktur bei niedriger Dichte gar nicht finanzieren.3

Fazit

Insgesamt sehe ich nicht, wie die autofokussierte Stadt wirklich funktionieren soll. Man sieht in den USA, das es nicht funktioniert und nicht finanzierbar ist. Dass gerade in den Städten, in denen die Verkehrswende praktiziert wird, die Mietpreise hoch sind, zeigt doch auch, dass die Menschen lieber so wohnen wollen. Würden sie das nicht wollen, so hätten sie wohl kaum Frau Hidalgo in Paris wieder zur Bürgermeisterin gewählt, oder die Bonner Frau Dörner.

Über vier Jahrzehnte autogerechte Stadt haben gezeigt, dass es nicht die Lösung ist. Wenn irgendwas nicht funktioniert, kann man immer noch versuchen die Dosis zu erhöhen. Aber auch da ist absehbar, dass das nicht aufgehen wird.


  1. Chris Bruntlett, Melissa Bruntlett. Curbing Traffic: The Human Case for Fewer Cars in our Lives (2021) 

  2. Hermann Knoflacher. Virus Auto: Die Geschichte einer Zerstörung (2009) 

  3. Charles L. Marohn Jr. Strong Towns: A Bottom-Up Revolution to Rebuild American Prosperity (2019)