Vermeintlich harmlose Verstöße im Straßenverkehr

»Radfahrer fahren immer über rot« hört man immer wieder, dagegen gilt »Autofahrer parken ständig auf Gehwegen«. Ein Versuch Perspektive darein zu bringen.

Unser Rechtssystem teilt Gesetzesbrüche in Ordnungswidrigkeiten und Straftaten ein. Erstere sind weniger schlimm als zweitere und werden mit geringeren Strafen belegt. Als Sanktionen haben wir Bußgelder, Führerscheinentzug, Sozialstunden und Haftstrafen. Richter sprechen Urteile anhand von Gesetzen, in jenen steht das empfohlene Strafmaß.

In der Bevölkerung gibt es ganz andere subjektive Einteilungen. Zwischen »schlimm« und »nicht schlimm«, »Kavaliersdelikt« und »Sünden« bis »Verbrechen«. Die Sprache ist da ziemlich entlarvend.

So gibt es »Temposünder«. Das sind Leute, die mit dem Auto zu schnell fahren. Diese Formulierung bagatellisiert überhöhte Geschwindigkeit. Denn solange nichts passiert, passiert nichts. Wenn aber doch etwas passiert, dann passiert aufgrund der überhöhten Geschwindigkeit deutlich mehr als sonst passiert wäre. Das scheint nicht so ganz klar zu sein. Unter Autofahrenden ist schneller als erlaubt fahren ganz normal. Das hat auch so Euphemismen wie »im Verkehr mitschwimmen«, also wie alle anderen auch 55 km/h bei erlaubten 50 km/h fahren.

Jene Autofahrenden sind dann aber auch ziemlich groß darin die ganzen schweren Verbrechen der Radfahrenden zu benennen. Schließlich fahren die ständig über rot, quer über irgendwelche Straßen und würden sich generell nicht an die Regeln halten.

An Regeln muss man sich halten. Es liegt nicht im Ermessen einzelner Personen zu bestimmen, wann man sich selbst an die Regeln halten muss und wann nicht.

Ich finde allerdings gerade im Straßenverkehr muss man sich überlegen, warum es diese Regeln eigentlich gibt. Und feststellen, dass gleiche Regeln für Rad- und Autoverkehr wenig Sinn ergeben.

Fangen wir mit roten Ampeln an. Was passiert, wenn man über eine rote Ampel fährt? Sowohl mit Fahrrad als auch Auto kann es einem passieren, dass man mit quer fahrenden Autos, Fahrrädern oder Fußgängern kollidiert. In einer Kollision mit zwei Autos kann es bei 50 km/h durchaus Schwerverletzte oder auch Tote geben. Fährt man einen querenden Radfahrer an, so ist der wahrscheinlich danach tot. Fußgänger ebenso. Begeht man den Rotlichtverstoß allerdings mit dem Fahrrad, so ist die Wahrscheinlichkeit jemand anderes zu verletzten relativ gering. Das eigene Risiko ist allerdings sehr hoch.

Wenn also ein Radfahrer bei Rot über eine Kreuzung fährt, ist das leichtsinnig und gefährlich für die Person selbst. Für die anderen Personen im Straßenverkehr ist die Gefahr zwar ebenfalls da, aber wohl nicht so extrem. Fährt man mit dem Auto über Rot, so ist das wahrscheinlich grob fahrlässig und kann zu großen Schäden bei anderen führen. Je nach Auto sind die eigenen Verletzungen eher überschaubar.

Ich will nicht sagen, dass Rotlichtverstöße durch Radfahrer okay wären. Aber sie haben eine andere Qualität.

Zu hohe Geschwindigkeit ist ebenfalls etwas, was unterschiedliche Qualitäten hat. Wenn ich auf der Fahrbahn mit dem Fahrrad zu schnell fahre, freut das eigentlich die Autofahrenden. Wenn ich das auf einem geteilten Geh- und Radweg mache, gefährde ich damit Fußgänger. Das ist nicht okay. Wenn ich mit dem Fahrrad eine Person anfahre, dann kann die sich durchaus Knochen brechen. Gerade ältere Leute können sich da viel verletzten. Fahre ich mit dem Auto zu schnell und kann nicht mehr rechtzeitig abbremsen, ist das Verletzungspotential aber deutlich größer.

Die ganzen Parkverstöße sind mit einem Auto ziemlich massiv. Man schränkt die nutzbare Breite eines Gehweges ein, man kann sich dagegen nicht wehren. Die egoistisch abgestellten E-Tretroller kann man immerhin noch wegtragen. Bei Autos nennt man es »Parksünde«, bei den Tretrollern ist es aber dann die »Vermüllung der Gehwege«.

Immerhin ist bei Autofahrenden klar, dass man nicht einfach auf dem Gehweg fährt. Das ist unter vielen Radfahrenden nicht so ganz klar. Da werden dann auch schon einmal Fußgänger gefährdet. Da sollte man deutlich sensibler sein. Das ist zwar technisch nur eine Ordnungswidrigkeit, kann aber durchaus gefährlich werden.

Fahren ohne Licht ist etwas, das wohl Autofahrer bei Radfahrern deutlich schlimmer bewerten, als andere Radfahrer. Ich finde das richtig gefährlich. Ja, Autofahrer haben die Pflicht sorgfältig zu schauen. Aber sie können nachts auch keine dunklen Radfahrer sehen, das ist Physik. Von daher sollte man eine sinnvolle Beleuchtung und die vorgeschriebenen Reflektoren haben. Blinklichter aber bitte nicht, die stören und man kann mit ihnen auch nur schwer Entfernung und Geschwindigkeit abschätzen.

Wenn man also Verstöße in »schlimm« und »nicht schlimm« unterteilt, muss man immer das Gefährdungspotenzial berücksichtigen. Und auch überlegen, wie es in einem Fall mit anderen Verkehrsmitteln aussieht. Dann ist etwas, was womöglich nicht schlimm ist, plötzlich doch schlimm.