Freemium, Sitzheizung im Abo und Variantenmanagement

Ein Autohersteller bietet die Sitzheizung im Abo an. Das hat zu viel Aufregung geführt. Ich versuche das einmal mit Freemium und Variantenmanagement einzuordnen.

In meiner Kindheit gab es noch DVDs. Auf denen musste man sich immer so bekloppte Raubmordkopier-Hinweise anschauen. Insbesondere »you wouldn't steal a car« mit dem Zusatz »downloading is stealing«. Zusammengesetzt kann man also sagen, dass ein Auto herunterladen Diebstahl wäre.

Nun bietet ein Autohersteller aber genau das an. Man kauft das Auto, muss die Nutzung der Sitzheizung aber noch online abonnieren und »herunterladen«. Hä, die Sitzheizung ist doch schon längst im Auto drin; warum soll ich dann noch extra bezahlen? Es wirkt wie die reine Abzocke.

Ich finde es auch Abzocke, aber ganz so einfach ist es nicht. Wenn man die Sitzheizung nachträglich gegen einen Festbetrag freischalten könnte, fände ich das tatsächlich in Ordnung. Ich muss mal ein bisschen ausholen.

Wir haben uns daran gewöhnt, dass viele digitale Güter mit Werbung bezahlt werden oder diverse Stufen haben. So gibt es viele Nachrichtenseiten in einer kostenlosen Variante mit Werbung und Tracking und einer kostenpflichtigen Variante ohne. Streaming-Dienste haben verschiedene Modelle, bei denen man unterschiedliche Bildqualitäten und Anzahl gleichzeitiger Streams haben kann. Bei Google Drive sind die ersten 15 GB Speicherplatz kostenlos, danach muss man für mehr bezahlen. Bei Strava ist vieles kostenlos, die Anzeige der Herzfrequenzzonen ist allerdings nur im kostenpflichtigen Abo erhältlich.

Diese Art Abos erscheint uns normal. Zumindest haben wir uns damit abgefunden. Jedenfalls ist das auch ziemlich willkürlich. Wenn ich eine Software beziehe wie Windows XP Home oder Windows XP Professional, dann bekomme ich letztlich das gleiche Zeug ausgeliefert. Nur durch den Lizenzschlüssel entscheidet sich, welche Funktionen aktiviert sind. Die Einschränkungen für das günstigere Produkt sind willkürlich gewählt. Warum sind bei Google Drive 15 GB kostenlos und nicht 14 oder 16? Es ist eine runde Zahl, die für das Marketing gut ist. Bei Dropbox gibt es 2 GB kostenlos. Die haben ein ganz anderes Geschäftsmodell.

Ist es jetzt »Abzocke«, dass man bei Dropbox nur 2 GB kostenlos bekommt, bei Google Drive aber 15 GB? Bei Dropbox ist das kleinste Paket dann 2 TB, kostet aktuell 9,99 EUR/Monat. Bei Google Drive kostet es exakt das gleiche, jedoch gibt es noch kleinere Pakete mit 100 GB oder 200 GB. Warum hat Dropbox kein kleineres Paket im Angebot?

Wenn wir ehrlich sind, dann kostet beide Firmen der Speicherplatz ungefähr gleich viel. Die haben Rechenzentren und müssen halt Hardware dafür kaufen. Dazu entwickeln sie noch die Software. Die Gehälter der Entwickler*innen erzeugen Fixkosten. Und der ganze Netzwerkverkehr wird gar nicht abgerechnet. Wenn man seine Daten also wenig bewegt, nutzt man das Angebot gar nicht so gut aus.

Hat man ein bisschen Wissen über die andere Seite, erscheinen diese Angebote einfach willkürlich. Sie werden hauptsächlich durch Marketing entwickelt und sind von der Technik recht losgelöst. Es gibt keinen technischen Grund, warum man bei Netflix die 4k-Videoqualität nur bekommt, wenn man vier gleichzeitige Streams bucht. Das hat man sich so ausgesucht, damit man die Leute möglichst in ein höherwertiges Paket bekommt.

Die Software, die da ausgeliefert wird, ist immer die gleiche. Man kann sich also schon fragen, warum da einzelne Features nicht freigeschaltet werden, wenn sie doch schon da sind.

Kommen wir zurück zu den Autos. Habt ihr auch schon einmal bei einem Premiumhersteller im Konfigurator gespielt und mal ein absurd teures Auto zusammengestellt? Da kommen die merkwürdigsten Dinge zusammen. So kann man teilweise die Sitzheizung nur bekommen, wenn man die Lenkradheizung auch mitnimmt. Die LED-Scheinwerfer gibt es nur, wenn man noch andere Dinge mitnimmt. Den Abstandsregeltempomat gibt es nur in Kombination mit der Einparkhilfe. Warum eigentlich?

So ein Auto besteht aus absurd vielen Teilen. Würde man alles mit allem kombinierbar machen, so müsste man die genauen Kosten für jedes Teil durchrechnen. Man müsste sich bei jedem Teil einzeln überlegen, zu welchem Preis man das anbietet. Die Entwicklungskosten muss man auf die verkauften Zahlen umlegen. Aber der Verkaufspreis steuert auch die Nachfrage. Das macht es ziemlich kompliziert einerseits.

Andererseits müssen dann Leute im Werk das Auto auch so zusammenbauen. Würde man alle Kombinationen anbieten, so hätte man ziemlich viel Chaos in der Fertigungsstraße. Man muss Sitze mit Lederbezug lagern, Sitze in Rot, Sitze mit Sitzheizung, Sitze mit Lüftung. Das braucht ein ganz großes Lager. Aber stellen wir uns mal vor, wir bauen einfach in jeden Sitz eine Heizung ein. Das sind nur ein paar Heizdrähte. Man kann schauen, wie viel eine Heizdecke kostet, das ist nicht so wahnsinnig viel. Der Hersteller zahlt zwar ein bisschen extra bei jenen Autos, die ohne Heizung bestellt werden, allerdings hat er auch weniger Lagerkosten. Das kann durchaus aufgehen.

Bei Computerchips macht man es anders. Man versucht immer das Topmodell herzustellen. Das klappt aber nicht immer. Und dann zerstört man kontrolliert so lange Teile davon, bis man beim nächst kleineren Modell angekommen ist. Also will man einen Prozessor mit 20 Kernen herstellen, und einer ist kaputt, zerstört man noch weitere 7 um es dann als 12-Kern-CPU zu verkaufen. Man hat dann die Chipfläche von dem 20-Kern-Prozessor, kann aber nur die 12 nutzen, für die man letztlich bezahlt hat. Hier machen Chiphersteller effektiv mit dem Ausschuss noch Umsatz.

Ist die Hardware für das Auto günstig im Vergleich zu der Komplexität von Lagerung und Variantenmanagement, ergibt das durchaus Sinn. Und ab da ist dann das Produkt »Auto« etwas, was man per Software definieren kann. Und sobald man das hat, kann man auch das Abomodell nutzen. Das ist für Firmen attraktiv, sie bekommen so kontinuierliche Einnahmen und können kontinuierliche Kosten wie Gehälter und Mieten davon zahlen.

Für Endkunden ist das allerdings nicht ersichtlich. Sie haben die Sitzheizung doch schon gekauft und sollen jetzt erneut zur Kasse gebeten werden. Da hätte ich auch ein Problem mit. Aber das Freischalten für einen Festbetrag fände ich durchaus nachvollziehbar.