Faktor-V-Mutation und SARS-CoV-2-Impfung

Es gab viel Wirbel um die Sinusvenenthrombosen (SVT), die durch die SARS-CoV-2-Impfungen ausgelöst worden sind. Dabei war der Impfstoff von AstraZeneca besonders auffällig. Da die jüngeren Leute ein eher geringes Risiko haben, mit COVID-19 in die Intensivstation zu müssen, hatte man daher den Impfstoff von AstraZeneca eher für die älteren Leute vorgesehen, weil dort die Risikoabwägung (Thrombose gegen Intensivstation) wieder aufging. Die jüngeren Leute sollten lieber auf einen mRNA-Impfstoff warten.

Nun wollten dann die älteren Leute auch lieber mRNA-Impfstoffe und haben die Vektor-Impfstoffe abgelehnt. Mir war das eigentlich egal, ich hätte jeden zugelassenen Impfstoff gerne genommen. Aber das war gar nicht so einfach. Ich hatte eine Hausarztpraxis in Niederkassel gefunden, die auch für externe Impfungen mit AstraZeneca-Impfstoff angeboten haben. Mir wollten sie das jedoch nicht geben, aufgrund meiner heterozygoten Faktor-V-Leiden-Mutation.

Das ist eine Erbkrankheit, die durch eine Gerinnungsstörung zu einem erhöhten Risiko für Thrombosen führt. Als das damals beim Durchtesten aufgefallen ist, hat man mir ein bisschen etwas dazu erzählt. Mein Risiko einer Thrombose durch langes Sitzen sei erhöht. Vor Flugreisen sollte ich daher Acetylsalicylsäure (ASS) nehmen, um die Blutgerinnung zu reduzieren. Ansonsten soll ich mir da aber keine Sorgen machen.

Ich habe versucht für mich einen Überblick darüber zu gewinnen. Denn wenn das Risiko einer SVT deutlich unter dem Risiko eines schweren COVID-19-Verlaufs liegt, würde das trotzdem noch sinnvoll sein. Und so habe ich ein bisschen im Internet gelesen und erfahren, dass der Thrombosemechanismus bei der Impfung wohl unabhängig von der Faktor-V-Mutation ist. So richtig verstanden, warum das ist, habe ich aber auch nicht. Jedenfalls habe ich für mich mitgenommen, dass ich jeden der zugelassenen Impfstoffe nehmen würde.

Aufgrund des erhöhten Thromboserisikos ist es aber wenig überraschend, dass sie in dieser Hausarztpraxis lieber das Risiko nicht eingehen wollten mir einen Impfstoff zu geben, der bezüglich Thrombosen im Verruf steht. Die Meinung von Ärzten hat da am meisten Gewicht, in einem online gefundenen Artikel kann ja auch etwas falsches oder veraltetes stehen.

Später bekam ich ein Impfangebot für den Impfstoff von Johnson & Johnson bei meiner Hausärztin. Ich habe wegen Faktor-V-Leiden nachgefragt und das Angebot wurde zurückgezogen. Ich sollte auf einen mRNA-Impfstoff warten. Das habe ich dann auch gemacht, bis ich irgendwann im Impfzentrum eine Impfung mit dem Impfstoff von Biontech und Pfizer bekommen habe.

Dort habe ich dem Arzt natürlich von der Mutation erzählt. Er sagte, dass ich lieber noch die nächsten Tage je 100 mg ASS nehmen sollte. Weil ich keine mehr im Rucksack hatte, bin ich noch in die nächste Apotheke rein und wollte ASS kaufen. Der Apotheker sagte mir, dass das nicht bringen würde. Der Thrombosemechanismus der Impfungen sei unabhängig von der Faktor-V-Leiden Mutation. Und ASS würde nicht gegen SVT helfen. Ich habe dann trotzdem ASS genommen, weil es mir wahrscheinlich nicht schaden wird.

Recherche

Aber erhöht die Mutation wirklich das Risiko für die Thrombosen vom Impfstoff? Was ist der Mechanismus zwischen beiden Sorten für Thrombosen und wie schützt ASS gegen das eine, aber nicht gegen das andere?

Ich bin medizinischer Laie und kann das nicht so wirklich einsortieren. Ich kann auch die Fachliteratur nicht so wirklich verstehen. Daher versuche ich einmal zusammenzutragen, was ich finden konnte.

Netdoktor

Auf Netdoktor habe ich ein bisschen mehr dazu gefunden. Die Mutation fürt zu einer »APC-Resistenz«. APC ist das aktivierte Protein C

Auch schreiben sie, dass die Thrombosen sich eben nicht an Herz und Gehirn bilden, sondern vorwiegend in den Beinen:

Bisher gibt es nicht ausreichend Beweise dafür, dass das Faktor-V-Leiden auch zur Blutgerinnselbildung in arteriellen Gefäßen führt. Die APC-Resistenz steigert also nicht die Häufigkeit von Blutgerinnseln in den Herzkranzgefäßen (-> Herzinfarkt) und in den Gehirngefäßen (-> Schlaganfall)

Und zum Wirkmechanismus schreiben sie das hier:

Die Blutgerinnung ist ein sehr komplexer Vorgang. Hauptbestandteil der Blutgerinnung sind die sogenannten Gerinnungsfaktoren. Dabei handelt sich um verschiedene Eiweiße, die im Zusammenspiel sicherstellen, dass das Blut verklumpt. Einer davon ist der in der Leber gebildete Faktor V.

Bei der Faktor-V-Leiden-Mutation ist die Struktur des betroffenen Eiweißes aufgrund der genetischen Fehlinformation minimal verändert. Das hat aber Konsequenzen: Normalerweise verhindert der Gegenspieler des Faktor V, das aktivierte Protein C (APC), eine übermäßige Blutgerinnung. Aufgrund der leicht veränderten Struktur des Faktor V, kann das APC den Faktor V nicht mehr hemmen. Man sagt auch, der Faktor V wäre „resistent“. Daher wird die Erkrankung auch als „APC-Resistenz“ bezeichnet.

Das ist ganz interessant, aber hat mir bezüglich meiner Frage überhaupt nicht geholfen.

ZKT Tübingen

In einem Dokument der ZKT Tübigen gGmbH sind ein paar interessante Zahlen zu den relativen Häufigkeiten der Thrombosen genannt:

  • Basisrisiko für eine Thrombose sind pro Jahr 1 bis 2 pro 1000 Menschen, also 0,001 bis 0,002 pro Jahr.
  • Bei einer COVID-19-Impfung geben sie es als 1 bis 2 Menschen pro 250.000 Menschen, also 0.000004 bis 0.000008.
  • Bei einer Infektion mit COVID-19 und einem Verlauf ohne stationärem Aufenthalt ist es ungefähr 1 %, also 0,01.
  • Das Risiko einer SVT beziffern sie auf 0.000002 bis 0.000004, also nochmal geringer als generell eine Thrombose bei der Impfung.

Daraus kann man mitnehmen, dass für Menschen ohne Faktor-V-Leiden Mutation das Risiko einer Thrombose schon im Restrisiko einer normalen Thrombose untergeht. Und wenn die Wahrscheinlichkeit sich an COVID-19 zu erkranken nicht zu vernachlässigen ist, dann ist das Risiko für eine Thrombose dort auch schon höher.

Nicht klar wird, wie groß das Risiko für eine SVT für normale Menschen ist. Die könnte verschwindend gering sein, sodass das Risiko durch die Impfung größer ist. Und normale Thrombosen sind nicht unbedingt tödlich.

Sie schreiben aber, dass Faktor-V-Leiden kein Ausschluss für eine Impfung sein soll:

Bei Menschen mit einer leicht erhöhten Neigung zu Blutgerinnseln (wie bei Nachweis des Faktor V Leiden) wird die Neigung durch Applikation des COVID-19 Impfstoffes nicht deutlich erhöht.

Hämophiliezentrum Münster

Auf der Webseite des Hämophiliezentrum Münster gibt es eine Unterseite bezüglich SVT-Risiko. Dort schreibt Herr Dr. Richter:

Nach den gegenwärtigen Erkenntnissen sind die Hirnvenenthrombosen nach Gabe des Astra-Impfstoffes auf eine spezielle immunologische Reaktion zurückzuführen, die traditionellen Thrombose-Risikofaktoren (z.B. Faktor V Leiden- bzw. Prothrombin-Mutation, Lipoprotein-Erhöhung) scheinen damit nicht in Zusammenhang zu stehen. Demnach wird hierdurch eine Kontraindikation gegen die Impfung mit dem Astra-Impfstoff wahrscheinlich auch nicht begründet.

Medizin-Studentin und Amboss-Videos

Ich habe dann mal im Bekanntenkreis nachgefragt, und eine Medizinstudentin hat mir die Grundzüge der Blutgerinnung erklärt. Vor allem hat sie mir noch ein paar Erklärvideos empfohlen, die ich mir dann angeschaut habe.

Zuerst gibt es Arterien und Venen. Erste transportieren das Blut vom Herzen zu den Organen, die anderen von den Organen wieder zum Herzen. In den Arterien herrscht eher hoher Druck, in den Venen eher niedriger.

Dann gibt es das primäre und das sekundäre System für die Blutgerinnung. Das primäre System umfasst die Anlagerung von Thrombozyten, das sekundäre System umfasst das Verkleben dieser Zellen zu großeren Blöcken. Die verschiedenen »Klebstoffe« nennt man Gerinnungsfaktoren, da gibt es ungefähr 10 Stück von. Einer davon ist Faktor-V.

Die Mutation sorgt dafür, dass jener Faktor etwas übereifrig arbeitet. Dadurch wird manchmal verklebt, obwohl das gar nicht gewollt war. Da es im sekundären System ist, passiert das hauptsächlich bei niedrigem Druck und geringen Fließgeschwindigkeiten. Wenn man also lange Zeit starr sitzt, wie zum Beispiel bei einer Flugreise, dann kann sich dort eine Thrombose bilden.

ASS ist aber ein Thrombozytenaggregationshemmer, der blockiert irreversibel den COX-1 Rezeptor der Thrombozyten blockiert. Dadurch produzieren diese weniger TXA₂, was zu weniger Vasokonstriktion (dem Verengen von Arterien) führt. Das ist etwas, das im arteriellen System wichtig ist, nicht im venösen System in dem die Faktor-V-Mutation wirkt.

Also scheint mir nach dieser Recherche der Apotheker Recht zu haben: Die Faktor-V-Mutation lässt sich nicht durch ASS ausgleichen.

Zweite Impfung

Bei der zweiten Impfung habe ich die Ärztin dann gefragt, wie sich das so verhält. Und sie hat meine Schlussfolgerung bestätigt, ASS zu nehmen würde nichts bringen. Ich soll mich einfach immer mal wieder bewegen und nicht ewig lange starr sitzen. Aber das macht man Zuhause ja eh nicht. Damit wäre das Rätsel dann gelöst.