Fahrrad-Regeln aus der Nazizeit

Ein Blick in die »Zehn Pflichten für Radfahrer« aus dem Jahr 1938 zeigt ein Verständnis von Straßenverkehr auf, das wir größtenteils überwunden haben. Einzelne scheinen dem aber weiterhin anzuhängen.

Neulich schrieb ich über die erschreckende Aggressivität, die einige Autofahrende den Radfahrenden entgegenbringen. Man bekommt den Eindruck man wird eine Person zweiter Klasse, wenn man ein Fahrrad besteigt. Autofahrende sehen sich teilweise als Bereicherung der Gesellschaft, die Radfahrenden als Schmarotzer. Man spürt dies bei absichtlich knappen Überholmanövern einerseits, andererseits bei Diskussionsbeiträgen zu den ganzen Steuern, die Autofahrende zahlen und somit ach so viel für die Gemeinschaft tun würden.

In sozialen Medien wird immer wieder das folgende Bild herumgereicht. Es zeigt eine Bekanntmachung aus dem Jahr 1938 mit dem Titel »Zehn Pflichten für Radfahrer«. Weiter unten habe ich das noch abgetippt, man muss sich hier nicht mit der Frakturschrift abmühen, wenn man sie nicht lesen kann. Das hier ist das Bild:

Bekanntmachung mit Zehn Pflichten für Radfahrer

Bildquelle: Stadtmuseum Münster. Nutzung mit freundlicher Erlaubnis.

Das hier ist der Text auf dem Dokument:

Zehn Pflichten für Radfahrer

Verkehrsgemeinschaft ist ein Stück Volksgemeinschaft! Vergiss das nie! Präge dir ein und behalte gut und für immer:

  1. Scharf rechts am Rand der Fahrbahn fahren!
  2. Grundsätzlich nicht neben anderen Radfahrern fahren!
  3. Immer die Radwege benutzen!
  4. Die Lenkstange stets festhalten und die Füße auf den Pedalen lassen!
  5. Nur dann überholen, wenn genügend Platz ist und keine Gefahr besteht; nach links in weitem und nach rechts im engem Bogen einbiegen!
  6. Vor dem Einbiegen nach links die entgegenkommenden Fahrzeuge vorbeilassen! Rechtzeitig abwinken; vergiss nicht, dass deine Zeichen bei Dunkelheit oder Nebel schwer zu erkennen sind!
  7. Kraftfahrzeuge und Straßenbahnen vorfahren lassen, wenn du nicht auf gekennzeichneter Hauptstraße fährst!
  8. Dich nicht anhängen, kein Vieh führen und andere Fahrzeuge nur dann ziehen, wenn sie mit deinem Rad fest verbunden sind!
  9. Nur ein Erwachsener darf ein Kind mit bis zu sieben Jahren auf einem besonderen Sitz mitnehmen.
  10. Dein Fahrrad stets im verkehrssicheren Zustand halten!

Halte dich streng an diese Gebote! Wer sie übertritt, versündigt sich an der Gesundheit und am Wohlstand seines Volkes!

Das ganze stammt aus dem Jahr 1938, in dem auch der Grundstein für Wolfsburg gelegt und das Volkswagen-Werk gegründet wurde. Soweit ich die Geschichte verstanden hatte, wollte Hitler die Volkswirtschaft in Richtung Motorisierung lenken um dann die Werke entsprechend Kriegsfahrzeuge produzieren zu lassen. Daher wurde alles auf Motorisierung ausgerichtet.

Den Tonfall des Dokumentes finde ich gruselig und abstoßend. Es lädt auch nicht wirklich zum Radfahren ein. Für mich transportiert es das Gefühl von einer Gesellschaft (»Volksgemeinschaft«) einerseits und den Radfahrenden andererseits. Nur wenn Radfahrende sich tadellos verhalten, werden sie von der Gesellschaft geduldet.

Die ersten drei Regeln finde ich besonders furchtbar, diese gelten in der Form auch gar nicht mehr. Das »scharf rechts« gilt so nicht mehr, man soll einen angemessenen Abstand zum rechten Fahrbahnrand lassen. Die Polizei BN empfiehlt hier sogar einen Meter zu geparkten Autos. Man soll außerdem hinreichend Platz zum Rinnstein lassen.

Das Fahren nebeneinander ist inzwischen ebenfalls erlaubt, zumindest solange es den restlichen Verkehr nicht behindert. Aufgrund der vorgeschriebenen Überholabstände können auch einzelne Radfahrende nicht legal bei Gegenverkehr überholt werden. Daher kann man schon argumentieren, dass man auch nebeneinander fahren kann. In Fahrradstraßen ist es auch explizit erlaubt.

Und 1997 wurde die allgemeine Radwegnutzungspflicht abgeschafft. Die dritte Regel hat sich also sehr lange noch gehalten. Viele Autofahrende haben das allerdings noch immer nicht mitbekommen, obwohl es inzwischen über 25 Jahre her ist. Entsprechend muss man sich da auch Kommentare anhören, wenn man nicht auf einem Gehweg fährt sondern es »wagt« (legal) auf der Fahrbahn zu fahren.

Die Verkehrsregeln, die wir heute haben, sind nicht mehr jene aus der Nazizeit. Einzelne Autofahrende scheinen aber noch immer die grobe Idee dieser Regeln im Kopf zu haben und sie mit ihrem Auto gegen die Radfahrenden durchsetzen zu wollen. Und ich hoffe, dass diese Art von Politik nicht wiederkommt.