Der Widerspruch zwischen Quantitätstheorie und Bitcoin

Aus der Quantitätstheorie des Geldes und der intrinsisch limitierten Menge an Bitcoins ergeben sich für mich ein paar Widersprüche.

Vorweg der Hinweis, dass ich Physiker bin und zwar Formeln lesen kann, Ökonomie allerdings nicht mein Schwerpunkt ist. Ich habe ein paar Bücher gelesen, kann aber auch nicht immer alle ökonomischen Theorien klar auseinanderhalten. Daher bitte diesen Blogeintrag eher als Anstoß zu nehmen weiter zu recherchieren.

Als ich jünger war, wusste ich nicht, woher das Geld kam. Es war einfach da, man bekam es als Taschengeld von den Eltern. Und wenn man dann hörte, dass die Zentralbank »neues Geld druckt«, entwertet das das Geld, was man schon hat. Von daher ist es etwas, was einem zuerst suspekt vorkommt.

Historisch gab es diverse Währungen mit Golddeckung. Da wurden letztlich die Papierscheine ausgestellt mit dem Versprechen sie immer gegen eine feste Menge Gold eintauschen zu können. Das klingt gut, schließlich ist die Goldmenge mehr oder weniger begrenzt und »die Politik« kann nicht einfach mehr Geld drucken und eine Entwertung des Geldes vornehmen.

Ein analoges Versprechen gibt es beim Bitcoin, der als »digitales Gold« bezeichnet wird. Durch die Art, wie er definiert ist, ist die Gesamtmenge an Bitcoin begrenzt. Egal wie viel Arbeit man in das »Mining« steckt, man wird nie mehr als die Maximalmenge bekommen können. Somit ist es wie Gold, da haben wir auf dem Planeten auch eine feste Menge.

Zuerst verspricht das Wertstabilität, Seriosität und mag erstmal als gute Idee erscheinen.

Entstehung des Geldes

Wir sollen uns aber einmal anschauen, wie eigentlich Geld entsteht. Das kann man in »The Production of Money«1 schön nachlesen. Die Zentralbank druckt zwar Banknoten, aber EUR-Banknoten sind nur ein Bruchteil dessen, was man als Geldmenge bezeichnet. Das meiste Geld wird privat erzeugt! Geld entsteht, wenn eine Firma oder Person zu einer (privatwirtschaftlichen) Bankfiliale geht und sich dort einen Kredit geben lässt. Die Bank schreibt dem Konto einfach Geld zu, dann ist es erschaffen. Die Zentralbank hat damit nicht direkt etwas zu tun.

Solange die Kund*innen dann nur Geschäfte innerhalb der Bank abwickeln, verlässt dieses virtuelle »Buchgeld« nie die Bank, es muss nie real werden. Erst wenn man es am Geldautomaten abhebt, wird es zu Zentralbankgeld, das man in den Händen halten kann. Überweist man es zu einer anderen Bank, so ist es dort auch nur Buchgeld, die herausgebende Bank muss das entsprechend in den Bilanzen mit der anderen Bank nachhalten.

Damit die Banken nicht einfach unendlich viel Geld erschaffen und das System außer Kontrolle gerät (zumindest nicht ständig), muss ein gewisser Anteil des erzeugten Buchgeldes bei der Zentralbank als Kredit genommen werden. Ist dieser Anteil 10 %, so kann die Bank nur das zehnfache an Geld erschaffen, was sie sich von der Zentralbank leiht. Dadurch, dass sie dort Zinsen bezahlen muss, entstehen für die Bank reale Kosten.

Wenn die Zentralbank die Leitzinsen erhöht, dann müssen die Banken für ihren Anteil mehr Geld bezahlen. Das geben sie dann an die Kund*innen weiter. Und ist es für Leute zu teuer sich einen Kredit zu holen, tun sie es nicht. Dadurch entsteht weniger Geld.

Die im Umlauf befindliche Geldmenge hängt also letztlich nur davon ab, ob Leute Kredite nehmen wollen. Die Zentralbank steuert die Geldmenge nur indirekt dadurch, wie sie den Leitzins gestaltet und somit die Zinsen der Privatbanken beeinflusst und damit den Leuten Kredite attraktiv oder unattraktiv werden lässt.

In letzter Zeit kauft die Zentralbank auch gegen ihre ursprünglichen Prinzipien direkt Staatsanleihen, dadurch entsteht dann auch Geld.

Geldmenge und Wirtschaftswachstum

Bei der Lektüre von »Macroeconomics«2 bin ich noch auf ein sehr interessantes Konzept gestoßen: Die Quantitätstheorie des Geldes gibt den Zusammenhang zwischen Geldmenge $M$, Geldumlaufgeschwindigkeit $V$, Preisniveau $P$ und dem Handesvolumen $Y$: $$M \cdot V = P \cdot Y \,. $$

Gehen wir diese Begriffe einmal durch. Die Geldmenge $M$ kann man sich vorstellen als die Gesamtmenge EUR, die auf allen Giro- und Tagesgeldkonten ist und das für den täglichen Handel bewegt wird. Es gibt noch weitere Definitionen, bei denen man nur die Girokonten zählt, oder am anderen Ende auch noch schnell verkäufliche Investitionen wie Anleihen mitzählt. Wie exakt man das rechnet ist für meine Gedanken nicht so wichtig.

Die Geldumlaufgeschwindigkeit $V$ ist das abstrakteste Konzept und letztlich definiert die Formel diese. Sie besagt, wie schnell die komplette Geldmenge einen Umlauf macht. Wenn wir uns eine Privatperson vorstellen, die jeden Monat Gehalt bekommt und dieses vollständig ausgibt, dann hat diese Person eine Umlaufgeschwindigkeit von einem Monat. Firmen bezahlen ihre Rechnungen auch mit Zahlungszielen von mehreren Wochen. Sie geben auch nicht immer das ganze Geld aus. Dieser Zyklus lässt sich nur schwer beschleunigen, Verbraucher*innen bekommen schließlich nur einmal im Monat Gehalt. Schaut man in den Wikipedia-Artikel dazu, findet man Geschwindigkeiten von 1 bis 7 Umläufe pro Jahr, je nach dem, was man sich so anschaut. Diese Zahl kann sich verändern, man kann sie aber auch als einigermaßen Konstant annehmen, ich erwarte keine Sprünge um Größenordnungen.

Dann haben wir das Handesvolumen $Y$. Das gibt an, wie viele Waren pro Jahr gehandelt werden. Und zwar in Einheiten der Waren, also zum Beispiel Kilogram Mehl. Das Preisniveau $P$ gibt an, wie viel die Waren allgemein kosten, zum Beispiel das Kilogram Mehl. Zusammen ist $P \cdot Y$ damit das Handelsvolumen in Geldeinheiten. Wenn mehr Waren gehandelt werden, steigt $Y$. Werden die Waren einfach nur teurer, steigt $P$. In jedem Fall steigt das Produkt $P \cdot Y$.

Zusammen sagt die Gleichung dann das aus: Die Menge an Geld, die jedes Jahr umläuft entspricht dem Gesamtwert der Waren, die jedes Jahr gehandelt werden.

Nun nehmen wir einmal an, dass die Geschwindigkeit $V$ konstant ist. Und wir führen jetzt eine Fixierung der Geldmenge ein indem wir alle Waren in Bitcoin handeln. Somit sind in der Gleichung $M$ und $V$ konstant. Damit wird auch das Produkt $P \cdot Y$ fixiert. Bei gleicher Handelsmenge $Y$ ist dann auch das Preisniveau $P$ konstant, alles ist konstant.

Man kann im Hinblick auf den Klimawandel nun durchaus ein Ende des Wachstums wollen. Allerdings haben wir aktuell ein Wirtschaftssystem, das auf immer mehr Wachstum setzt, um stabil zu bleiben. In »Wohlstand ohne Wachstum«3 ist schön beschrieben wie eine Hoffnung das Wirtschaftswachstum ohne zusätzlichen Ressourcenverbrauch ist. Man wird immer effizienter und kann daher wachsen ohne mehr zu brauchen. Schaut man sich aber das Jevons-Paradoxon an, geht das bisher nicht auf.

Zudem wäre das eine extreme Änderung in unserer Weltwirtschaft. Es wäre also nicht nur Bitcoin als Zahlungsmittel, es wäre auch das Ende des Kapitalismus in der heutigen Form.

Schauen wir uns einmal an, was passiert, wenn Handelsmenge $Y$ steigt. Dann muss das Preisniveau $P$ sinken, weil es einfach nicht genug Geld gibt, um alle Waren zu bezahlen. Die Preise müssen gesenkt werden, wir haben eine Deflation. Und die ist gefährlich, weil Leute dann auf fallende Preise wetten und Waren erst später kaufen. Aber wenn alle erst morgen kaufen wollen, kauft niemand mehr heute. Die Wirtschaft bricht zusammen, muss Leute entlassen und Löhne kürzen. Das Geld fehlt, um die Waren zu kaufen. Es ist eine gefährliche Abwärtsspirale im heutigen System.

Wenn man also eine Deflation vermeiden möchte und eine sanfte Inflation haben möchte, dann muss man die Geldmenge $M$ proportional mit dem Handelsvolumen $Y$ entwickeln. So kann bei konstanter Umlaufgeschwindigkeit $V$ das Preisniveau $P$ fast konstant wachsen.

In jener Schule der Makroökonomie, die letztlich alles mit der Geldmenge steuern möchte, kann man sogar die Überlegung anstellen die Geldmenge zu Erhöhen um das Handelsvolumen zu steigern. Man muss nur vorsichtig sein, dass die zusätzliche Geldmenge nicht im Preisniveau absorbiert wird.

Bitcoin

Bei Bitcoin haben wir das zusätzliche Problem, dass die verfügbare Geldmenge beständig schrumpft. Viele Leute werden Bitcoin aus dem Umlauf herausnehmen, weil sie auf steigende Kurse wetten. Außerdem gehen immer wieder Wallets verloren, sodass diese Bitcoin ebenfalls für immer verloren sind. Die Geldmenge $M$ wird also langfristig beständig schrumpfen.

Wenn sich $M$ reduziert und $V$ mehr oder weniger bleibt, dann muss $P \cdot Y$ schrumpfen. Und entweder schrumpft nur $P$ mit fatalen Folgen für $Y$, oder auch $Y$ schrumpft.

Fazit

Würden wir alles mit Bitcoin abwickeln, bräuchten ein Wirtschaftssystem, das grundsätzlich auf Deflation und/oder schrumpfende Wirtschaft ausgelegt ist. Ich kann mir das gerade nicht vorstellen.

Insgesamt hat Bitcoin viele Hürden genommen um eine nützliche Asset-Klasse zu werden: Es gibt für Privatpersonen die Möglichkeit das ganze über Wallets zu kaufen. Institutionelle Anleger können Bitcoin über diverse Exchange Traded Notes (ETNs) kaufen. Und in El Salvador hat man Bitcoin als Nationalwährung eingeführt, allerdings mit höchstens mäßigem Erfolg. Damit sind für mich die wichtigsten Hürden genommen um daraus ein Zahlungsmittel zu machen, auf dem man eine Wirtschaft aufbauen könnte.

Passiert ist es trotzdem nicht. Und ich halte das grundlegende Problem, dass es nicht nur ein Zahlungsmittel ist, sondern durch die Deckelung der Geldmenge auch ein grundsätzlich anderes Wirtschaftssystem erzwingt. Und da die meisten großen Währungen die Golddeckung aufgegeben haben um die Wirtschaft wachsen zu lassen, sehe ich uns da nicht mehr hin zurückkehren.


  1. Pettifor, A. The Production of Money: How to Break the Power of Bankers. (Verso, 2017). 

  2. Froyen, R. T. Macroeconomics: Theories and Policies. (Pearson, 2009). 

  3. Jackson, T. Wohlstand ohne Wachstum: Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt. (oekom, 2011).