Zu viele Autos oder zu wenig Parkplätze?

Um uns herum gibt es viele Systeme, die in ihrem Platz begrenzt sind. Ein einfaches Wasserglas ist ein gutes Beispiel. Da geht eine bestimmte Menge Wasser rein, und irgendwann ist es voll. Mit der Oberflächenspannung kann man noch ein bisschen mehr reinfüllen, als die Seiten eigentlich hergeben, aber dann ist auch Schluss. Ein einzelner Tropfen mehr, und es läuft über.

Schon unterhalb der maximalen Füllhöhe wird das Glas schwer zu tragen, die meisten Leute füllen es also nicht bis zum Maximum. Je nach Person und Situation wird ein Glas unterschiedlich hoch befüllt. Und die Person kann sich das meist selbst aussuchen. Teilweise füllt ein Gastgeber das Glas zu voll, und der Gast muss dann damit leben. In den meisten Fällen hat man aber selbst in der Hand, wie voll das Glas wird. Und jeder hat eine Grenze, ab der es nicht mehr voller werden soll.

Etwas anders sieht es bei Systemen aus, in denen der Platz mit mehreren Personen geteilt wird. Das kann eine gemeinsame Wohnung sein. Dort möchten alle Bewohner ihre Möbel unterstellen, und es soll noch Platz zum Gehen sein. Nimmt sich einer der Bewohner zu viel Platz, werden andere Bewohner wahrscheinlich irgendwann etwas sagen. Auch hier verstehen die Beteiligten, dass es irgendwann genug ist. Und dass weniger Möbel manchmal mehr Lebensqualität bedeutet. Bevor man sich neue Möbel kauft, schaut man also erst, ob sie überhaupt in die Wohnung passen. Und wenn kein Platz ist, trennt man sich entweder von anderen Möbeln oder kauft erst gar keine neuen Stücke.

Früher war in der »Reichsgaragenordnung« festgelegt, dass jeder Wohneinheit ein Garagenplatz zur Verfügung stellen muss. Zusätzlich konnte man nur ein Auto anmelden, wenn man auch einen Stellplatz hatte. Somit war die Anzahl der Autos auch begrenzt, und die Autos standen nicht im öffentlichen Raum herum. Die Straßen waren also zur Fortbewegung da, nicht zum Lagern von Fahrzeugen im Privatbesitz. [spiegel.de]

Das hat sich dann nach dem Krieg verändert. Man konnte auch ohne Stellplatz ein Auto anmelden. Dies hat die Abwägung für die Leute natürlich drastisch verändert. Parkplätze am Rand der Fahrbahn gab es sehr viele, und jeder konnte sein Auto einfach dort abstellen. Niemand hat auf den Kauf eines Autos verzichtet, weil er keine Garage hat. Dies war natürlich genau so gewollt, damit alle Leute ein Auto kaufen und die Wirtschaft läuft.

Das war alles vor meiner Zeit. Inzwischen haben wir sehr viele Autos. In Bonn gibt es viele Wohnstraßen, in denen die Autos wirklich jeden legalen Stellplatz beanspruchen. Dies ist meinem Empfinden nach der Punkt, an dem man eben kein weiteres Auto in dieser Strase kaufen kann. So einfach ist es leider nicht. Im öffentlichen Raum im Straßenverkehr ist der Platz zwar auch begrenzt, man teilt ihn sich aber mit vielen anderen Leuten. Fremden Leuten, die man in der Regel nicht kennt. Wenn man also ein Fahrzeug irgendwo abstellt, dann belegt man öffentlichen Raum. Da die Anzahl der Personen aber so groß ist, ist das ganze eher abstrakt und statistisch zu betrachten. Und hier kommt dann das Problem rein: Jede dieser Personen hat eine andere Vorstellung von »zu viel«. Das Abwägen für die Entscheidung ein Auto anzuschaffen ist recht entkoppelt von der Einschätzung, ob es im öffentlichen Raum noch genug Platz dafür gibt.

Die Parkplätze im öffentlichen Raum sind nicht fest zugeteilt. Somit kann man gar nicht genau sagen, wie viele Plätze noch frei sind. Abends kommt es häufig zu einem Reise-nach-Jerusalem, bei dem die Pendler dann ihre Autos der Reihe nach auf die Stellplätze stellen. Wer zu spät kommt, hat Pech. Derjenige kann sein Auto aber nicht in Luft auflösen, es muss irgendwo geparkt werden. Es ist der überzählige Tropfen im Wasserglas. Ich würde sagen, dass der Tropfen zu viel ist. Jemand anders wird sagen, dass das Glas zu klein ist. Und so werden überall im Stadtgebiet auf Kosten anderer neue illegale Parkplätze geschaffen.

Beim Glas ist die Lenkwirkung direkt: Macht man es zu voll, bekleckert man sich. Bei den Autos im öffentlichen Raum ist es viel indirekter. Wenn später ein Radfahrer an dieser Stelle vorbeikommt, muss er ausweichen. Es gibt keine Möglichkeit in diesem Moment den Autofahrer zu konfrontieren und ihn davon zu überzeugen, dass sein Auto dort nicht stehen darf. Das einzige könnte ein Bußgeld für diese Ordnungswidrigkeit sein, was jedoch sehr unwahrscheinlich ist. Das Ordnungsamt kontrolliert nicht flächendeckend und schon gar nicht außerhalb der normalen Arbeitszeiten. Manchmal reichen Bürger Privatanzeigen ein, wenn sie sich besonders behindert gefühlt haben. Der Druck auf den einzelnen ist also sehr gering und unterliegt klar dem Vorteil der eigenen Mobilität.

Es ist also ein klassisches Gefangenendilemma. Wenn ich mir kein Auto kaufe, werden die Gehwege davon auch nicht spürbar leerer. Ich habe aber dann kein Auto, und deutlich weniger Auto-Mobilität. Wenn ich mir ein Auto kaufe und es auf den Gehweg stelle, habe ich ganz viele Vorteile, die Nachteile für die anderen verändern sich fast nicht. Bleibt der Rahmen genau so, lohnt sich für jeden einzelnen der Autokauf.

Autofahrer beschweren sich gerne über den »Parkdruck«. Die Autos der anderen nehmen nämlich den Platz weg, auf dem man das eigene Auto gerne abstellen würde. Gleichzeitig ist aber auch irgendwie klar, dass man schlecht den anderen Autofahrern ihre Parkplätze verbieten kann. Somit ist die angestrebte Lösung immer, dass es mehr legalen Parkraum gibt. Leider gibt die Stadt hier viel zu oft nach.

Vielleicht wird so die Absurdität offensichtlich:

  • Es gibt nicht zu viele Autos, es gibt zu wenig Parkplätze.
  • Es gibt nicht zu viel CO₂, es gibt zu wenig Atmosphäre.
  • Ich habe nicht zu viel Bauchspeck, ich habe zu wenig Gürtel.

Ein Beispiel kann ich am Kollegienweg geben. Dort weiß ich zwar nicht sicher, ob es da einen kausalen Zusammenhang gibt, die Korrelation ist aber bedenklich. Da standen immer wieder Fahrzeuge illegal auf dem Gehweg. Es sind also überzählige Autos, deren Halter keinen eigenen Stellplatz haben. Und wegen »Parkdruck« werden sie auf dem Gehweg abgestellt. Auf Kosten von Leuten, die dort zu Fuß gehen. Dort hatte ich mich beim Ordnungsamt beschwert, dass der Gehweg zugeparkt ist. Fast drei Monate später stand dort das Schild (Zeichen 315), das das Parken auf dem Gehweg erlaubt. Mein Fazit war: Bonn tut etwas gegen das Falschparken, indem es dies legalisiert.

Mir erscheint der verbleibende Gehweg allerdings zu schmal dafür. Die Sozialliberalen haben netterweise eine Anfrage an die Stadtverwaltung zu dem Thema gestellt. In der Antwort steht unter anderem dieses:

In der Verwaltungsvorschrift zum Verkehrszeichen 315 steht folgender Text:

Zu Zeichen 315 Parken auf Gehwegen: Das Parken auf Gehwegen darf nur zugelassen werden, wenn genügend Platz für den unbehinderten Verkehr von Fußgängern gegebenenfalls mit Kinderwagen oder Rollstuhlfahrern auch im Begegnungsverkehr bleibt, die Gehwege und die darunter liegenden Leitungen durch die parkenden Fahrzeuge nicht beschädigt werden können und der Zugang zu Leitungen nicht beeinträchtigt werden kann.

Genaue Maße sind also nicht angegeben. Nach den Richtlinien über die Anlage von Straßen aus dem Jahre 2006 (RASt06) sollen bei Neubauten von Verkehrsflächen bestimmte Mindestmaße verwirklicht werden. Unabhängig von den dort genannten Maßen versucht die Verwaltung im Rahmen der Abwägung aller Verkehrsinteressen die Wünsche nach Parkraum ebenso zu berücksichtigen, wie die Wünsche nach einer behinderungsfreien Nutzung der Gehwege. Bei der Entscheidung wird also der Parkdruck sowie die Menge des Fußgängerverkehrs geprüft und gegeneinander abgewogen. Die Gerichte erkennen beim Parken auf Gehwegen eine Behinderung bei einer Unterschreitung von einem Meter Restgehwegbreite an. Daher wird dieses Maß nicht unterschritten. — bonn.de

Wenn es also zu viele Autos gibt, werden die Flächen für das Parken erhöht. Das führt zu einer kurzzeitigen Entspannung. Aber die Abwägung für jeden Einzelnen wird dann wieder zu Gunsten einer Neuanschaffung verändert. Es werden mehr Autos angeschafft, die dann alle auf dem Gehweg abgestellt werden. Danach sind die Autos da, und das Gehwegparken kann nicht mehr abgeschafft werden. Der Raum für die Fußgänger ist auf absehbare Zeit verloren.

Die 100 cm, die die Stadt anerkennt, sind mitnichten genug »für den unbehinderten Verkehr von Fußgängern gegebenenfalls mit Kinderwagen oder Rollstuhlfahrern auch im Begegnungsverkehr«. Schaut man sich das obige Bild an, wird das durchaus knapp. Man muss sich in die Hecke quetschen und an dem Verteilerkasten warten. Zu Fuß gehen wurde hier einfach weniger Priorität eingeräumt als kostenlose Stellplätze für die Autos.

Und an Stellen, an denen nicht wie im obigen Bild das Parken per Zeichen 315 explizit erlaubt ist, wird das Gehwegparken geduldet. Dies konnte man sehr eindrucksvoll in einer Anfrage an die Kommunalverwaltung sehen. Es wurde gefragt, warum das Gehwegparken geduldet wird und ob es dafür eine Dienstanweisung gibt.

In der Antwort wurde auf das Opportunitätsprinzip und das »pflichtgemäße Ermessen« hingewiesen. Zudem wurde dies hier geschrieben:

Parkt jemand sein Fahrzeug auf dem Gehweg, kann demnach z. B. von einer Ahndung abgesehen werden, wenn für Fußgänger ausreichend Platz verbleibt, um nicht auf die Straße ausweichen zu müssen, Parkraum in Wohngebieten sehr knapp bemessen ist, keine Grundstückszufahrten blockiert werden und Rettungswagen, Feuerwehrfahrzeuge und die Müllabfuhr durchfahren kann und generell kein anderer Verkehrsteilnehmer behindert oder gar gefährdet wird.

Es wird also vom Ordnungsamt der Stadt Bonn nicht sanktioniert, wenn man den Fußgängern den Platz wegnimmt, solange noch hinreichend Platz bleibt. Und aus der älteren Anfrage ist zu entnehmen, dass ein Meter als hinreichend angesehen wird. Auf dieser Breite kann man allerdings nicht nebeneinander gehen, man wird gezwungen im Entengang hinereinander zu laufen. Egal wie ein breit ein Fußweg angelegt worden ist, Fußgängern steht davon nur ein Meter fest zu.

Der Antragsteller hat noch einmal nachgehakt und zur Duldung in der Steinerstraße gefragt. Darauf antwortete die Stadtverwaltung:

[I]n dieser Anwohnerstraße wird nur auf Beschwerden über Parkverstöße reagiert, die es bis zu dieser damaligen Anfrage nicht gab und die seitdem auch nicht wieder vorgekommen sind. Da solche Anwohnerstraßen kein regelmäßiger Kontrollschwerpunkt des Stadtordnungsdienstes sind, wird dort das Gehwegparken faktisch geduldet, da sich die Anwohner arrangieren.

Vor und nach der Beschwerde gab es keine Beschwerde. Es hat sich also niemand wirklich beschwert! Das empfinde ich als blanken Hohn. Solange die Beschwerden nur Einzelfälle sind, werden sie ignoriert. Und es wird darauf verwiesen, dass sich die Anwohner arrangiert haben. Das ist ein ganz normaler Vorgang, wie viele Anwohner nutzen auch die Instrumente der Privatanzeige, Bürgerantrag, IFG-Anfrage oder beschweren sich über ihren Lokalpolitiker? Die meisten ärgern sich einfach, quetschen sich an den Autos vorbei und vergessen die Situation dann wieder.

Sollte es aufgrund von Beschwerden zu Kontrollen kommen, wird entsprechend der rechtlichen Regelungen und aufgrund der Erlasslage in jedem Einzelfall entschieden, ob für einen festzustellenden Parkverstoß tatsächlich eine Ahndung geboten ist.

Der Konjunktiv ist hier gut angebracht, weil das Ordnungsamt echt zum Jagen getragen werden muss. Meist erreicht man es telefonisch erst gar nicht. Und wenn doch, ist kein Personal da.

In solchen Straßen ist dann jeder legale und illegale Parkplatz belegt. Möchte nun jemand sein Auto ausladen, so gibt es keinen Parkplatz mehr dafür in der Nähe des Hauses. Somit parkt man dann einfach auf der Fahrbahn, der restliche Verkehr hat das Nachsehen. Der Fahrer des des schwarzen Autos rechts befährt gerade illegal den Gehweg, um vorbei zu kommen. Auf diesen Umstand angesprochen sah der Fahrer des Kastenwagens keine Schuld, und schließlich würde das ja (mit illegalem Befahren des Gehwegs) immer gut klappen.

In dieser Straße gehen die Fußgänger übringens auf der Fahrbahn. Der Gehweg ist viel zu schmal, und dann auch noch ständig zugeparkt. Ich kann sehr gut verstehen, dass man sich das nicht mehr geben möchte.

Die generelle Duldung führt auch dazu, dass jede Fläche als Parkplatz gesehen wird. Auf das Zeichen 315 wird nicht mehr explizit geachtet. Auch an Ecken wird geparkt.

Ich würde gerne durch die Stadt schlendern können und dabei nicht ständig auf dem Gehweg geparkten Autos ausweichen müssen. Zu zweit gehe ich nur ungerne durch die Straßen, dafür sind sie zu eng. Man geht hintereinander und kann sein Gespräch nicht mehr entspannt weiterführen. Schiebt man dann noch ein Fahrrad, ist alles zu spät. Bei einem Kinderwagen stelle ich mir das ähnlich vor, auf diese Zeit freue ich mich auch nicht unbedingt.

Wenn man versuchen würde, die Parkflächen zu reduzieren, so würde es wohl relativ schnell einen Aufstand geben. Die Städte und das Umland sind durch die autofokussierte Verkehrspolitik zu Orten geworden, an denen man auf das Auto angewiesen sein kann. Und selbst wenn es faktisch nicht stimmt, wird es noch immer emotional so sein. Eine Umverteilung des öffentlichen Raumes kommt vielen wie Enteignung vor. Die Reflexion darüber, dass dieser öffentliche Raum kein Eigentum ist, scheint verloren gegangen zu sein.

Ich selbst habe gesehen, wie schön eine autoarme Stadt sein kann, in Utrecht-Houten (Reisebericht). Dort ist es leiser, es gibt mehr Grün, insgesamt ist es viel ruhiger und man kommt mit Menschen eher in Kontakt, wenn sie nicht in einer abgekapselten Couchgarnitur sitzen. Diese Dinge wünsche ich mir auch hier, aber sie wirken so unglaublich fern. Die Entwicklung scheint sogar noch in die falsche Richtung zu gehen. Ich wünsche mir wirklich, dass immer mehr Menschen erkennen würden, dass Autos überall uns nicht zufriedener machen.