Wer ist für das Erreichen der Klimaziele verantwortlich?

In einer Talkshow verteidigte der Bundesfinanzminister den Bundesverkehrsminister. Der Verkehrssektor hat zwar seine Sektorziele nicht eingehalten, aber das sei die Schuld der Bürger*innen, nicht aber des Ministers. Ich finde das irritierend.

Zuerst einmal der Kontext. Dazu hier aus dem Kölner Stadtanzeiger diesen Ausschnitt, in dem Herr Lindner zitiert wird:

„Es ist nicht Volker Wissing, der die Klimaziele im Verkehr nicht erreicht, sondern die Bürgerinnen und Bürger“, verteidigte Lindner den Bundesverkehrsminister. „Die Menschen wollen eben mobil sein“, das müsse man anerkennen, führte Lindner aus. Die Kritik an Wissing sei „nicht sachgerecht“.

Da muss man schon ziemlich viel auspacken, finde ich. Diese Aussage hat einige implizite Annahmen drin, durch die diese Aussage erst funktioniert.

Die Klimaziele hat sich die Bundesregierung selbst gegeben, indem sie das pariser Klimaschutzabkommen unterzeichnet hat. Das gilt jetzt für den Staat. Und nach meiner Auffassung muss sich jetzt eben jede aktuelle Bundesregierung darum kümmern Maßnahmen zu erlassen, damit die Emissionen von Treibhausgasen entsprechend begrenzt werden.

Nehmen wir mal ein Beispiel in die andere Richtung: Die Regierungsparteien haben sich zum Ziel gesetzt die Wirtschaft zu fördern, es soll ein spürbares Wachstum her. Dann werden sie das natürlich als Ziel verkünden. Aber werden sie dann aufhören? Wohl kaum! Sie werden Förderprogramme entwickeln, versuchen eine Atmosphäre der Produktivität zu schaffen. Investor*innen sollen angelockt werden. Ich glaube kaum an eine nachträgliche Schuldverlagerung vom Wirtschaftsminister auf »faule und zögerliche Unternehmer*innen«. Allen ist klar, dass die Wirtschaftspolitik massive Auswirkungen auf die Wirtschaft hat und entsprechend handeln muss.

Somit halte ich die Prämisse schon für falsch, dass hier die Verantwortung der Regierung auf die Büger*innen abgeschoben werden kann. Nehmen wir zum Beispiel Verbrechen und Polizei als Beispiel. Morden ist verboten, trotzdem macht es hin und wieder jemand trotzdem. Der Staat hat aber mit der Kriminalpolizei ein hinreichend wirksames System installiert, dass dieses Problem in einem Rahmen hält, mit dem wir als Gesellschaft als ganzes klarkommen. Einen einzelnen nicht verhinderten Mord würde ich nicht der Regierung anlasten wollen. Erst wenn das systematisch passiert und sie nicht nachbessert, dann habe ich ein Problem damit.

Wenn also einzelne Leute einen Coal-Roller fahren, also ein Auto das schwarze Rußwolken ausstößt, dann sind das halt Spinner, die bezüglich Zulassungsbedingungen belangt werden müssen. Aber wenn systematisch keine Politik gemacht wird um die Sektorziele zu erreichen, sehe ich das als Arbeitsverweigerung.

Der zweite Punkt in der Aussage ist, dass die Menschen ja »mobil« sein wollen. Auch hier bin ich nicht dabei. Das eine implizite ist, dass die Mobilität der Menschen unbedingt Klimagase ausstoßen muss. Das andere ist, dass Menschen mobil sein müssen, aber nicht unbedingt wollen. Siehe zu der Unterscheidung auch »Autokorrekur«1. Insgesamt lese ich daraus die Annahme, dass die Leute mit dem Auto fahren müssen und man daran ja nichts machen kann.

Nun schaue ich mir die Rahmenbedingungen an, die ich habe. Und dann kann man schnell feststellen, dass die Automobilität mit Verbrennungsmotoren hier massiv gefördert wird:

  • Wir haben die Pendlerpauschale, mit der ich Fahrtkosten absetzen kann. Das ist erstmal unabhängig vom Verkehrsmittel. Allerdings begünstigt es längere Fahrten. Es lohnt sich also weiter nach draußen zu ziehen, dort weniger Miete zu zahlen und dann eben längere Anfahrten zur Arbeit in Kauf zu nehmen. Diese längeren Strecken könnte man natürlich auch mit dem Fahrrad oder ÖPNV machen, sind aber von der Zeit her unattraktiv. Daher fördert es meist eher das Auto.
  • Über das Dienstwagenprivileg kann ich mir vom Arbeitgeber ein Auto geben lassen, bei dem ich dann nur einen gewissen Teil versteuern muss. Nehme ich einen Plug-In Hybrid (PHEV), muss ich sogar nur die Hälfte davon versteuern. Das lohnt sich.
  • Dann kann mir der Arbeitgeber noch eine Tankkarte geben und mich den Wagen für private Fahrten nutzen lassen. Somit kann ich so viel fahren, wie ich will. Sobald ich den Treibstoff nicht mehr zahle, muss ich auch keine Fahrten reduzieren. Das schlimme ist aber, dass diese Tankkarten aktuell nur für Kraftstoffe an der Tankstelle funktionieren. Zum Laden an Elektroladesäulen gehen sie noch nicht, das ist wegen dem Tarifdschungel nicht drin. Man könnte so ein Hybridfahrzeug auch zuhause laden, muss dann aber den Strom selbst zahlen. Da ist es doch einfacher das Fahrzeug immer auf Benzin laufen zu lassen.
  • Der Kaufpreis von Elektroautos ist weiterhin teurer als der von Verbrennungsautos. Durch den Stopp vom Ende des Verbrennungsmotors wird der Umschwung in der Industrie womöglich auch gar nicht so schnell kommen, wie es nötig sein wird.
  • Letzten Sommer gab es zwar das 9-EUR-Ticket, aber auch den Tankrabatt. Dieser förderte Verbrennungsautos, aber ohne dass Leute mit Elektroauto etwas davon gehabt hätten. Strom ist ja auch massiv teurer geworden.
  • Die Autobahnen werden fleißig ausgebaut, die Schiene kommt nicht hinterher, weil dort zu wenig investiert wird. Mit der Bahn fahren macht meist wenig Spaß. Aber selbst wenn man mit der Bahn fährt, erzeugt das CO₂. Nicht alle Strecken sind elektrifiziert, da fahren die Bahnen mit Diesel. Und ansonsten ist der Strom-Mix ja nicht CO₂-frei, sodass die Bahn anteilig eben auch Klimagase erzeugt.
  • Die Stadtwerke Bonn fahren aktuell fast nur Busse mit Dieselmotor, Elektrobusse sind noch eine Nische. Busfahren erzeugt also auch Klimagase.
  • Es gibt kein Recht auf Home-Office, das man zumindest in einigen Berufen hätte geben können. Das könnte auch diverse Fahrten reduziert.
  • Wohnungen haben eine vorgeschriebene Anzahl Autoparkplätze, Fahrradstellplätze findet man aber nur mit Glück. Das macht Radfahren auch weniger attraktiv, gerade bei teuren Rädern wie einem Lastenrad.
  • Auf dem Land kommen teilweise gar keine Busse, oder nur zu Zeiten, die nicht nützlich sind. Da schafft man dann schnell ein eigenes Auto an.
  • Und natürlich das Tempolimit, das noch immer nicht eingeführt worden ist.

Wahrscheinlich kann man die Liste sogar noch weiter fortsetzen, sie ist aber wohl lang genug.

Wenn ich jetzt als Bürger versuche dagegen anzukommen, dann müsste ich ja irgendwie in einer teuren Wohnung nah beim Arbeitgeber wohnen. Den Weg sollte ich idealerweise mit dem Fahrrad zurücklegen. Einkaufen auch. Das ist aber alles im gegen den Strom. Ich würde da gerne mal mit dem Strom schwimmen können. Zumal ich ja auch nicht alleine alles ändern kann. Wie soll ich eine Bahnstrecke elektrifizieren?

Mich wundert es überhaupt nicht, dass Leute sich bei diesen Vorbedingungen eben meist für das Auto entscheiden. Die Politik könnte durchaus auf viele dieser Dinge Einfluss nehmen. Reform des Dienstwagenprivilegs und der Entfernungspauschale. Das 49-EUR-Ticket ist in der Tat eine sehr gute Sache. Der weitere Ausbau der Autobahnen als überragendes Interesse wohl eher nicht. Das Tempolimit auf den Autobahnen könnte man kurzfristig einführen. Es wird aber alles nicht gemacht, wahrscheinlich aus wahltaktitschen Gründen.

Ich verstehe natürlich, dass man nicht zu schnell Dinge ändern darf. Gerade wenn sich Leute ein Haus gekauft haben und darauf setzen, dass sie immer billig mit dem Auto in die Stadt fahren können, würde jede Reform sie hart treffen. Einfamilienhäuser müssen dann auf E-Auto und Wallbox umgerüstet werden. In ländlichen Regionen müssen irgendwie die nötigen Strecken reduziert werden, eventuell muss dort ein bisschen verdichteter gewohnt werden. Bahnstrecken müssen elektrifiziert werden. Das sind alles Dinge, die die Politik angehen könnte. Und daher finde ich es durchaus gerechtfertigt, hier die Politik zu kritisieren.


  1. Diehl, K. Autokorrektur: Mobilität für eine lebenswerte Welt. (S. Fischer, 2022).