Datenschutz als Täterschutz?

Als Radfahrer hat man es im Straßenverkehr nicht leicht. Eine Kamera zur Aufnahme von Videobeweisen zu nutzen stellt sich in manchen Landkreisen als schwierig heraus, man bekommt das Gefühl von Täterschutz. Ein Erfahrungsbericht mit der Polizei im Rhein-Sieg-Kreis.

Auf einer Radtour war ich in Eitorf. Dort musste ich ein bisschen auf einer Landstraße ohne Radweg fahren. Wie das halt so manchmal im Straßenverkehr passiert, wurde ich geschnitten. Das ist so ein typischer Fall von »ist doch nichts passiert«, aber mich stört das. Und im Bonner Stadtgebiet ist es auch kein Problem, derartige Vorgänge anzuzeigen. Man kann sie direkt an die Bußgeldstelle schicken und hört nichts mehr davon.

Anders im Rhein-Sieg-Kreis. Dort wurde mein Anliegen an die Polizei weitergeleitet, schließlich ist diese für den fließenden Verkehr zuständig. Der bearbeitende Polizeihauptkommissar hatte noch ein paar Rückfragen, unter anderem schrieb er mir dann noch das hier:

Die übermittelten Bilder lassen die Vermutung zu, dass sie während der Fahrt eine sog. „Dashcam“ bzw. Helmkamera genutzt haben und hierbei eine Ordnungswidrigkeit nach dem Datenschutzgesetz begangen haben. Zur weiteren Bearbeitung würde ich den Datenträger, der vermutlich eine Videosequenz beinhaltet, benötigen.

Also der PHK vermutet, dass meine Kamera dauerhaft aufnimmt. Und dass das möglicherweise eine OWi bezüglich Datenschutz ist. Mir ist schon nicht klar, ob das überhaupt in der Zuständigkeit der Polizei liegt, oder nicht eher des Datenschutzbeauftragten. Und dann schreibt er im Konjunktiv, dass er den Datenträger benötigen würde, um es weiter zu bearbeiten. Meint er damit meine Anzeige wegen Gefährdung im Straßenverkehr oder nur die Sache mit dem Datenschutz?

Ich hatte keine Lust mich damit herumzuschlagen. Die Aussicht auf Verfolgung meines ursprünglichen Anliegens schienen mir dann auch eher gering. Im besten Fall habe ich viel Arbeit, und der Fahrer erhält einen Bußgeldbescheid über 30 EUR. Im schlimmsten Fall muss ich vor Gericht noch die Sache mit dem Datenschutz ausfechten.

Auf Twitter schrieb mal jemand: Eine desaströse Fahrradinfrastruktur erkennt man an Radfahrer*innen mit Warnwesten und Helmkameras. Würde ich mich im Straßenverkehr sicher fühlen, hätte ich nicht den Wunsch nach einem Beweismittel für Unfälle und Beinahe-Unfälle.

Die Tage hatte ich wieder so eine Situation, ich wurde von einem Autofahrer sehr knapp überholt. Da ich gerade an einer interessanten Stelle im Wald unterwegs war, hatte ich ein Video davon. Aber von einer Anzeige habe ich abgesehen, schließlich würde sie wohl beim gleichen PHK landen, der die gleichen Rückfragen zum Abwimmeln stellen würde. Daher hatte ich es mal auf Twitter versucht:

Liebe @polizei_nrw_su, ich wurde heute wieder sehr knapp überholt. Gehe ich Recht in der Annahme, dass eine Anzeige ohne Video keine Chance auf Verfolgung hat? Und mir mit Video wieder mit Datenschutz gedroht würde?

Seitens der Polizei bekam ich dann diese Antwort:

Lieber Martin, die von dir geschilderte Situation ist absolut ärgerlich. Eines jedoch direkt vorweg: Eine Anzeige wird von uns immer aufgenommen und auch soweit es uns möglich ist ermittelt.

Zum Thema Datenschutz können wir dir ganz allgemein sagen, dass das anlassunabhängige und automatische Filmen des Straßenverkehrs tatsächlich gegen die Bestimmungen des Datenschutzes verstößt.

Ob und in welchem Fall derartiges Videomaterial als Beweismittel genutzt werden darf, entscheidet jedoch nicht die Polizei, sondern das Gericht – und das wird von den Gerichten auch sehr unterschiedlich gehandhabt.

Soweit ja eine nette Auskunft. Nur eben sehr ernüchternd. Also habe ich nochmal konkret nachgefragt, wie groß die Chancen denn ohne Video wären:

Welche Chance auf Verfolgung hätte denn eine Anzeige, wenn ich nur Automarke, Farbe, Kennzeichen und Ort angeben kann? Den Fahrer kann ich nach dem Überholvorgang nicht erkennen, und vorher auch nicht sehen.

Wenig überraschend, stehen die Chancen dabei ungewiss:

Mit dem Kennzeichen könnte ja zumindest schon mal der Halter des Fahrzeugs ermittelt werden und dieser könnte gefragt werden, ob er zum fraglichen Zeitpunkt auch der Fahrer war. Mit welchem Erfolg, können wir Ihnen natürlich nicht sagen.

Mir war das nicht gut genug. Also habe ich da nochmal den Finger in die Wunde gelegt:

Wenn der Fahrer nicht ganz unbedarft ist, sagt er: "Daran kann ich mich nicht mehr erinnern, meine Frau und Kinder haben je einem Schlüssel zum Fahrzeug."

Für mich fühlt sich das sehr nach einem rechtsfreien Raum an.

Die Antwort von der Polizei empfand ich effektiv als Bankrotterklärung:

Nun ja, andere Möglichkeiten bleiben uns in einem Rechtsstaat nicht. Ohne Beweise können wir nachfragen und hoffen, dass jeder die Verantwortung für sein eigenes Handeln übernimmt.

Die Polizei hofft, dass jeder die Verwantwortung für das eigene Handeln übernimmt‽ Würde das auch bei anderen Gefährdern gelten? Anscheinend schon, bei Corona-Maßnahmen ist es ja leider auch ähnlich.

Diesen Spiegel habe ich ihnen dann auch noch vorgehalten und zitierte hier den Präsident des Deutschen Städtetages, der Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD):

Der Staat macht sich einfach unglaubwürdig, wenn er Regeln aufstellt, die nicht durchgesetzt werden. Wir müssen hier viel klarer Kante zeigen.

Darauf bekam ich keine Antwort.

In einem anderen Teil des Threads hatte ich noch das hier geschrieben:

Ich würde mir sehr wünschen, dass die Polizei im Straßenverkehr präsent ist. Dass Polizisten regelmäßig per Fahrrad unterwegs sind und derartige Gefährder rauswinken, belehren und mit Ordnungsgeldern belegen.

Die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, muss spürbar sein.

Darauf bekam ich diese Antwort:

Lieber Martin, in vielen Punkten hast du natürlich recht. Ich fahre selbst Fahrrad im Straßenverkehr und kenne deine Gefühle und deinen Frust aus eigener Erfahrung. Die Polizei gibt ihr Bestes, um den Straßenverkehr so gut wie möglich zu überwachen.

Bei allen Verstößen zu jeder Zeit rund um die Uhr vor Ort zu sein, ist für die Polizei jedoch schlichtweg nicht möglich. Die permanente Überwachung des Straßenverkehrs per Videoaufzeichnung ist auch der Polizei aus guten Gründen untersagt. (fh)

Ich finde es sehr ernüchternd, dass die Polizei schon ihr bestes gibt. Die Polizei, die ich immer mal wieder beim Gehwegparken sehe. Und sonst nie bei einer Verkehrskontrolle, oder dort, wo Radfahrer gefährdet werden. Das ist natürlich nicht repräsentativ.

Aber wie kommt es, dass die Autofahrer*innen in den Niederlanden oder Dänemark sich gut benehmen? Sogar Deutsche sind im Ausland häufig deutlich zahmer, weil sie um die stringenteren Kontrollen wissen. Warum bekommen wir das in Deutschland nicht hin? Wir wollen offensichtlich nicht.

Ich werde ich jedenfalls erst dann wieder an die Polizei im Rhein-Sieg-Kreis wenden, wenn ich wirklich einen ernsten Unfall hatte. Für alle »ist doch nichts passiert« Ereignisse werde ich es mir sparen so abgewimmelt zu werden. Eigentlich müsste man gerade deswegen etwas tun, aber das steht aktuell nicht auf meiner Agenda.