Vergänglichkeit von Unterhaltungen

Ganz früher gab es nur das gesprochene Wort und keine Möglichkeit Wissen zu konservieren. Es musste von einer Generation durch Erzählungen an die nächste weitergegeben werden. Dann wurde die Schrift erfunden, das Papier, und jetzt habe ich einen Blog mit dem ich sehr viele Personen erreichen kann und noch viel mehr erreichen könnte. Hier kann ich Wissen festhalten und teilen. Das empfinde ich als großen Fortschritt.

Irgendwie hatte die Vergänglichkeit von Unterhaltungen aber auch etwas. Wissen ist dadurch verloren gegangen. Dinge haben sich mit der Zeit verschoben. Aber das, was den Leuten wichtig war, wurde weitergegeben. Heute ist es trivial jeden Kram festzuhalten. Wir haben inzwischen mit der DSGVO ein »Recht auf Vergessenwerden«, weil es eben nicht mehr automatisch passiert.

Nun gibt es relativ neue Geräte wie Google Glass, die letztlich den ganzen Alltag aufzeichnen können. Neuronale Netzwerke übersetzen die Sprache dann in Text, dieser kann dann durchsucht werden. Somit erhält man eine Transkription des Alltags, ohne etwas dafür tun zu müssen. In Reclaiming Conversation1 werden auch Leute zitiert, die das für eine großartige Sache für Streitigkeiten halten. So könnte man sich Aussagen später noch einmal anschauen und so klären, wer eigentlich Recht hatte.

Das mag erstmal praktisch klingen, eine objektive Aufzeichnung von allen Unterhaltungen zu haben. Aber ist es wirklich zielführend nachvollziehen zu können, wer was gesagt hat? In einem Geschäftskontext möchte man Vereinbarungen festhalten, das macht man in der Schriftform. Es ist egal, was man mündlich daneben noch so alles gemacht hatte, das war nur der Weg zum Schriftstück. Bei Unterhaltungen im Freundeskreis kommt es manchmal zur Verletzung von Bedürfnissen. Da erscheint es mir wichtiger Empathie zu zeigen und lernen, auf die andere Person zuzugehen und die Verletzung verstehen zu wollen. Es ist dann nicht so wichtig, wer wann was gesagt hatte, sondern dass man eine gemeinsame Basis findet und pflegt. Ein »Videobeweis« erscheint mir tatsächlich eher hinderlich in Beziehungen.

Dann gibt es noch andere Kontexte, wie zum Beispiel eine Vorlesung an der Universität. Da schreiben einige Leute fleißig mit, hören aber nicht mehr zu. Wenn man nun aber ein automatisches Transkript hätte, könnte man ja zuhause einfach wieder nachschauen. Meine Realität sieht so aus, dass ich mir so etwas eigentlich nie wieder anschaue. Ich habe teilweise die Tafeln in der Uni fotografiert. Dann habe ich die teilweise wieder angeschaut, aber meist war der Informationsgehalt eher gering. Und beim Tanzen haben wir häufig Videos gemacht, zuhause aber dann doch nie die Figuren geübt.

Zum Lernen an der Uni habe ich mir lieber ein zur Vorlesung passendes Buch genommen. Dozenten nehmen nämlich Bücher, bereiten daraus eine Vorlesung vor, und halten diese dann. Studierende schreiben das von der Tafel ab und haben eigentlich nur »stille Post« mit dem Buch gespielt. Mit dem Buch kann man dann aber den kompletten Gedankengang nachvollziehen. Es ist mehr Arbeit das Buch zu lesen, allerdings wurde in das Buch auch mehr Arbeit reingesteckt.

Gerade weil das Schreiben eines Buches schwer ist, sind die Inhalte besser als durchschnittliche Blogartikel oder Tutorials auf Hilfeseiten im Internet. Es gibt diverse Fragen auf Webseiten wie Gute Frage, die besser durch einen Auszug aus einem Buch beantwortet wären als durch oberflächliche und teilweise fehlerhafte Antworten in zwei Absätzen.

Auch finde ich das spannende bei Unterhaltungen mit anderen Leuten, dass sie immer wieder anders sind. Man spricht nicht zweimal gleich über das gleiche Thema, beide Personen entwickeln ihre Meinung weiter, haben neue Anregungen bekommen oder interessieren sich für weitere Aspekte. Somit wäre ein Protokoll auch gar nicht so hilfreich. Viel entscheidender ist die Entwicklung, die zwischen den Gesprächen passiert.

Das soll nicht heißen, dass ich nichts festhalte. Auf der Arbeit mache ich mir schon Gesprächsnotizen. Aber die sind dann Zusammenfassungen des Gesprächs. Das sind wenige Sätze, die ich aktiv formuliert habe. Das kostet mich eine Minute. Allerdings kann ich dadurch die wichtigen Punkte des Gespräches auch noch besser verstehen. Wenn ich ein automatisches und durchsuchbares Transkript hätte, dann hätte ich zwar mehr Informationen, allerdings weniger Nutzen daraus.

Somit sehe ich es inzwischen als Vorteil an, dass Unterhaltungen vergänglich sind und man aktiv Lehren und Anregungen noch einmal geordnet notieren muss. Das fördert das Nachdenken. Auch wenn ich ein Archiv von E-Mails und WhatsApp-Nachrichten habe, versuche ich die Kernpunkte in mein Notizbuch zu übertragen. Außerdem muss ich so aktiver zuhören, was die Unterhaltung für mich auch bereichert.


  1. Turkle, S. Reclaiming Conversation: The Power of Talk in a Digital Age. (Penguin Books, 2015).