Der Theoretiker und der Wandspiegel

»Theoretiker können sich an einer scharfen Abbildung schneiden«, sagt man über Physiker, die nicht im Experiment arbeiten. Damit sind Leute wie ich gemeint, die zwar begeistert über obskure Anwendungen höherer Mathematik dozieren können, aber keinen Nagel gerade in eine Wand hämmern können. Gut, es ist nicht ganz so schlimm, aber man merkt schon die mangelnde Erfahrung mit sowas. Vielleicht ist es auch eher eine Geschichte über mangelndes Werkzeug und Material.

Jedenfalls wollten wir einen Spiegel im Flur aufhängen. Das ist eigentlich nicht so schwer: Man bohrt ein Loch, steckt einen Dübel rein, schreibt eine Schraube rein, hängt den Spiegel daran auf. Das Problem sind die Details. So muss man erstmal Schrauben haben, dann passende Dübel und zuletzt noch einen passenden Bohrer für Wand und Schraube.

Ich hatte mir, in einem Anflug von Naivität, einfach nur ein Modell Dübel bestellt. Das waren Fischer UX 8×50, also für ein Bohrloch mit 8 mm Durchmesser und Schraubenlänge über 56 mm gekauft. Dazu soll man Schrauben mit 4,5 bis 6 mm Durchmesser nehmen. Davon hatte ich auch versucht einen Eimer zu bestellen. Für meinen Bohrhammer hatte ich auch einen Bohrer mit 8 mm. Damit hätte ich Universaldübel und Universalschrauben, könnte also alles aufhängen.

Soweit die Theorie. Irgendwie habe ich mich dann doch verklickt und die falschen Schrauben bestellt, ohne es gemerkt zu haben.

Legt man Dübel und Schraube nebeneinander, sieht man, dass das nicht passt. Damit ein Dübel wirken kann, muss die Schraube hinten rausschauen, also länger als der Dübel sein. Das ist hier nicht der Fall.

Kein Problem, ich bin dann einfach in den Baumarkt gefahren. Ich brauchte Schrauben, die 4,5 bis 6 mm Durchmesser haben und 56 mm in der Wand haben. Da ich den Spiegel ja einhängen wollte, sollten es also 60 mm sein. Im Baumarkt habe ich dann Schrauben mit 5 mm Durchmesser und 70 mm Länge gekauft, perfekt!

Da war dann nur ein kleines Problem: Der Schraubenkopf war zu groß für die Schlüsselloch-Aufhängung hinten am Spiegel.

Jetzt habe ich hier eine Kiste mit 100 Schrauben, und kann keine einzige davon nutzen. Immerhin passen die jetzt zu der Packung Dübeln. Also bin ich dann nochmal zum Baumarkt gefahren, um nochmal neue Schrauben zu kaufen. Diesmal wusste jedoch um die Größe des Schlüssellochs, der Schraubenkopf darf nicht größer als 9 mm sein.

Mir war auch nicht so ganz klar, ob Schrauben mit Senkkopf hier das richtige sind. Ich fragte einen Mitarbeiter im Bauhaus, schließlich sollten die mehr wissen als ich. Er meinte, dass ich halt kleinere Schrauben kaufen müsste. Ja ach! Und dann wollte er mir so ein Papiermaßband in die Hand drücken und zeigte mir das Schraubenregal. Auf meine Frage, ob Senkkopf das richtige ist, kam ein »kann man machen«. Grandiose Beratung …

Ich maß dann die Schraubenköpfe aus, nahm kleinere Schrauben. Dann brauchte ich noch neue Dübel. Und für die brauchte ich noch einen neuen Bohrer für den Bohrhammer. Ich hatte zwar schon einen Steinbohrer mit 5 mm Durchmesser, jedoch nicht mit SDS Bohrfutter. Also auch den noch neu gekauft.

Und da passen auch die neuen Schrauben wieder wunderbar zu den Dübeln.

Nachdem ich über zwei Stunden Radfahrten und Herumwandern im Baumarkt hinter mir hatte und grob 35 EUR für Material ausgegeben hatte, konnte ich endlich zwei Löcher Bohren und den Spiegel aufhängen. Das hat dann keine zehn Minuten gedauert.

Jetzt habe ich zwei Packungen Dübel, einen Eimer und zwei Schachteln mit Schrauben und noch einen weiteren Bohrer herumstehen. Ich mache mir die Hoffnung, dass für das nächste Projekt dann das Material direkt da ist. Aber wahrscheinlich muss man einen ganzen Werkstattraum mit angebrochenen Schraubenschachteln ansammeln, bis man irgendwann nochmal das gleiche braucht.

Das alles finde ich ziemlich frustrierend. Bei Software hat man kein übrig gebliebenes Material, man muss nicht für noch ein Kleinteil in den Baumarkt fahren. Ich habe auch viel mehr Werkzeuge, um Software zu bearbeiten, als bei handwerklichen Dingen. Wahrscheinlich ist beides sehr ähnlich: Ohne einen gefüllten Werkzeugkasten und entsprechendem Material ist das alles eher frustrierend.