Suggestive Meldungen zu Unfällen mit Radfahrerbeteiligung

Ich lese auf Twitter immer wieder Unfallmeldungen zu Vorfällen zwischen Autofahrern und Radfahrern, die über die offiziellen Polizei-Accounts geteilt werden. Dabei ist die Perspektive fast immer so gewählt, dass die Autofahrer nichts falsch gemacht haben und die Radfahrer sich komplett selbstverschuldet gegen das Auto geworfen haben. Ich möchte hier ein paar davon zeigen und auseinandernehmen.


Nehmen wir die Meldung der Polizei Borken mit diesem Titel »Kind von Auto touchiert und gestürzt«. Dort steht im Mittelteil:

Der Zwölfjährige sei daraufhin auf den Grünstreifen geraten, habe die Kontrolle verloren und sei mit seinem Fahrrad hingefallen.

Das liest sich ja so, als sei der Junge zu doof zum Fahrradfahren. Wenn man aber die ganze Meldung liest, so hat dort ein Fahrer mit großem Auto hinter einem Kind gedrängelt und gehupt. Er ist dem Kind sogar so nach aufgefahren, dass er dessen Fahrrad mit seiner Stoßstange berührt hat. Und das Kind hat dann wenig überraschend die Kontrolle über das Fahrrad verloren. Und der Fahrer begann Fahrerflucht.

Das ist dann ziemlich krass, aber wenn man nur die Überschrift liest, klingt es verharmlosend.


Meldung der Bonner Polizei:

Bonn-Weststadt: Hauptunfallursache Abbiegen - Transporter stößt mit Fahrradfahrer zusammen — Twitter/Polizei NRW BN

In der Pressemitteilung steht dann das hier:

Der 57-jährige Radfahrer war am Vormittag gegen 11:20 Uhr auf der Endenicher Allee in Fahrtrichtung Endenich auf dem Fahrradschutzstreifen unterwegs. Auf Höhe der der Kaufmannstraße sei er neben einem Mercedes Sprinter gefahren, der plötzlich nach rechts abgebogen sei. Der 57-Jährige habe einen Zusammenstoß nicht mehr verhindern können. — bonn.polizei.nrw

Da fuhr also ein autonomer Mercedes Lieferwagen, der neben dem Radfahrer irgendwie aufgetaucht ist. Und dann bog der Lieferwagen einfach von selbst nach rechts ab, da konnte man nichts machen. Und der Radfahrer ist schuld, weil er nicht rechtzeitig bremsen konnte. Das kann doch nicht deren Ernst sein!

Ich kenne die Stelle sehr gut. Da ist einfach ein Schutzstreifen aufgemalt, der ironischerweise allerdings mit einem blauen Schild als Radstreifen markiert ist. Aber gut, das ist ja eh alles Willkür hier. Dann fahren Radfahrer in der Regel nicht so schnell wie Lieferwagen (dort ist 50 km/h erlaubt), der Fahrer des Lieferwagens muss also den Radfahrer überholt haben. Wenn er den Radfahrer nicht gesehen hat, dann war er schlicht ignorant und nicht aufmerksam. Dann an der Ampel ist der Lieferwagenfahrer bewusst nach rechts abgebogen und hat anscheinend sich nicht die paar Sekunden merken können, dass da noch der überholte Radfahrer war. Außerdem hat er wohl nicht in seine Spiegel geschaut.


Auf Twitter eine Unfallmeldung der Polizei Lippe:

Wie wichtig das Tragen eines Fahrradhelms ist, hat sich gestern wieder einmal bei einem schweren Verkehrsunfall gezeigt. Der Helm bewahrte eine Pedelec-Fahrerin vor schlimmeren Unfallfolgen, nachdem sie frontal von einem VW-Fahrer erfasst wurde: https://fcld.ly/e7wkbbt —
Twitter/Polizei NRW LIP

Aha, also die Radfahrerin hat irgendwas falsch gemacht, einen Unfall verursacht und hat aber trotzdem überlebt? Schaut man in die Pressemeldung, ließt sich das schon ein bisschen anders:

Zeitgleich befuhr ein ebenfalls 63-jähriger Mann mit seinem VW die Straße in Richtung der Innenstadt. Er missachtete das Rotlicht der Lichtzeichenanlage und erfasste die Pedelecfahrerin frontal, so dass diese mit dem Kopf auf der Windschutzscheibe und der Dachkante aufschlug. Anschließend wurde sie zu Boden geschleudert. — presseportal.de

Der Unfallhergang war also eher so, dass da ein Autofahrer über eine rote Ampel gefahren ist. Dabei hat er die über grün fahrende Radfahrerin angefahren, welche glücklicherweise nicht stark verletzt worden ist. Die Schuld liegt komplett beim Autofahrer. Aber in der Pressemeldung wird darauf herumgeritten, dass durch den Helm die Radfahrerin nicht noch schlimmer verletzt worden ist. Der Subtext ist immer, dass sich

Wie wäre es, wenn der Autofahrer einfach die rote Ampel beachtet hätte?


Meldung im General-Anzeiger:

Nach bisherigen Erkenntnissen hatte eine 56-jährige Autofahrerin den 23 Jahre alten Radfahrer übersehen, als sie vom Bertha-von-Suttner-Platz nach rechts abbiegen wollte. Der Radfahrer war aus der Friedrichstraße gekommen und hatte den Belderberg an der dortigen Ampelanlage bei Grünlicht queren wollen. Dabei kam es zur Kollision.

[…]

Die Polizei weist an dieser Stelle präventiv darauf hin, dass Radfahrer stets einen Helm tragen sollten. — ga.de

Auch hier scheint mir der Radfahrer im Recht, er hat bei grüner Ampel die Straße queren wollen. Der Rechtsabbieger am Bertha-von-Suttner-Platz hat keinen grünen Pfeil, somit muss die Autofahrerin auf Verkehr, den sie quert, achten. In der Meldung steht »übersehen«. Das ist ein Euphemismus für »nicht geschaut«. »Übersehen« klingt so, als wäre das ein Fehler, der einem halt mal passieren kann. Wenn ich beim Putzen Dreck in einer Ecke übersehe, dann ist das okay. Wenn ich aber als Arzt auf einem Röntgenbild eine Lungenentzündung übersehe, dann ist das ein grober Fehler, der nicht passieren darf. Genauso im Straßenverkehr, da besteht eine Sorgfaltspflicht beim Fahren eines großen Gefährts.

Aber gut, dass die Polizei da wieder dem Radfahrer noch versucht Verantwortung reinzudrücken. Weil nämlich die Autofahrer einen jederzeit übersehen können (ist ja nicht schlimm), soll man versuchen sich selbst zu schützen. Das krasse ist nämlich, dass Fahrradhelme gar nicht gegen Autounfälle schützen können. Sagt ein Hersteller!

“We do not design helmets specifically to reduce chances or severity of injury when impacts involve a car,” said Richter [senior brand development manager at Giro]. — forbes.com

Wie schon in der Meldung darüber wird das gefährliche Fehlverhalten des Autofahrers als »übersehen« oder gar nicht erst erwähnt. Der Radfahrer hingegen soll einen Helm tragen, weil der Straßenverkehr ja so gefährlich ist. Nur mal so als Realitätscheck: Leute kaufen sich einen SUV, weil sie die zusätzlichen Knautschzone für ihr Sicherheitsgefühl brauchen. Und jetzt soll ein bisschen Schaumstoff auf dem Kopf des Radfahrers vor allen möglichen Kollisionen schützen?


Oder eine ganz tolle Überschrift des Kölner Stadt-Anzeigers:

Radfahrerin stößt mit Autotür zusammen – schwer verletzt — ksta.de

Im Text ist dann zu lesen, dass die Radfahrerin noch versucht hat auszuweichen, der unachtsame Autofahrer seine Tür jedoch zu schnell geöffnet hatte. Schuld hat hier wieder der Autofahrer, die Überschrift suggeriert allerdings genau das Gegenteil.

Als Radfahrer soll man laut Rechtssprechung allerdings auch eine Türbreite Abstand zu parkenden Autos halten, sonst bekommt man möglicherweise eine Teilschuld reingedrückt. Ist direkt neben den parkenden Autos ein Schutzstreifen markiert, muss man möglicherweise außerhalb des Schutzstreifens fahren. Siehe dazu meinen Artikel zu Schutzstreifen


Oder hier eine von der Polizei Ulm:

Bub rammt Autotür

Leicht verletzt wurde ein Junge am Montag bei einem Unfall in Geislingen. — presseportal.de

Das klingt so, als wäre da ein Junge ganz alleine einfach in eine Autotür gekracht. In der Meldung selbst stellt es sich dann aber differenzierter dar:

Wie die Polizei berichtet, fuhr der Zwölfjährige unerlaubt auf dem Gehweg der Bebelstraße. Am Fahrbahnrand parkte ein Auto. Als die Beifahrerin ausstieg, gab sie nicht acht. Deshalb rammte der Bub mit dem Fahrrad in die Tür. Beim Sturz wurde der Zwölfjährige leicht verletzt. — presseportal.de

Also hat der Junge Mitschuld, weil er auf dem Gehweg fuhr, was er aber nicht darf. Die Beifahrerin hat aber auch nicht geschaut. Am Ende auch kein Fahrradhelm-Hinweis, also eigentlich schon ganz gut; bis auf die Überschrift.


Und nochmal von der Polizei Bonn, diesmal deutlich besser:

Autofahrer öffnete Tür: Radfahrerin stürzte auf die Straße, Airbag-Helm löste aus — Twitter/Polizei NRW BN

Und auch im Text ist es ein aktiv handelnder Autofahrer, der die Tür öffnet:

Nach dem bisherigen Ermittlungsstand hatte ein 42-jähriger Autofahrer, der seinen Wagen in einer Parkbucht am Straßenrand der Rheinallee geparkt hatte, die Fahrertür geöffnet. In diesem Moment wollte allerdings eine 31-jährige Fahrradfahrerin auf der Straße an dem Auto vorbeifahren. Sie stieß mit dem Rad gegen die geöffnete Fahrertür und stürzte zu Boden. — bonn.polizei.nrw

Darunter Hinweise an die Autofahrer, dass man beim Öffnen der Türen aufpassen soll. Und auch der Hinweis an Radfahrer, mindestens einen Meter Abstand zu parkenden oder haltenden Fahrzeugen zu halten.

Im Vergleich zum Rest wirklich schon erfreulich gut!


Oder hier noch einen vom Bayerischen Rundfunk. Titel:

Junger Rennrad-Profi stirbt nach Kollision mit Auto — br.de

Der Herr war also zu riskant unterwegs, hat sich in Gefahr gebracht und ist darin umgekommen? Im Text steht dann das hier:

An der Einmündung zur Staatsstraße 2253 nahm ein 58-jähriger Pkw-Fahrer dem Rennradfahrer die Vorfahrt. Der 17-Jährige prallte nahezu ungebremst in den Pkw und blieb bewusstlos liegen.

Der Autofahrer hat also nicht geschaut, hatte keine Geduld, irgendwas davon. Der Radfahrer hat darauf vertraut, dass sich der Autofahrer an die Regeln hält. Und der war sogar noch in einer Gruppe unterwegs, also sollte er noch besser zu sehen gewesen sein.

Nach Informationen der zuständigen Polizei war der 17-Jährige am Samstag von Ullstadt in Richtung Sugenheim mit hoher Geschwindigkeit in einer Gruppe unterwegs.

Was ist denn hohe Geschwindigkeit? 50 km/h? Das ist für Radfahrer zwar schnell, aber doch die normale Geschwindigkeit für KFZ in der Stadt.

Und dann wieder Helmpropaganda:

Trotz angelegtem Schutzhelm erlitt der Jugendliche schwerste Kopfverletzungen.

Tja, ein Schutzhelm ist halt nicht dafür da einen Unfall mit einem Auto komplett abfangen zu können. Was soll dieser Satz aussagen?


Man kann noch viele weitere diese Meldungen finden, teilweise auch mit LKW, und leider auch immer wieder mit Todesfällen. Zusammenfassend sind das hier so die Muster:

  • Radfahrer werden »übersehen«, selbst wenn sie diese gerade überholt wurden.
  • Der Radfahrer erlitt schwere Verletzungen, weil er keinen Helm trug. Und nicht etwa, weil er ohne Eigenverschulden angefahren worden ist.
  • Radfahrer fahren in »sich plötzlich öffnende« Autotüren.
  • Das Verhalten des Kraftfahrers wird meist im Passiv beschrieben, als wäre der Fahrer nicht aktiv am Geschehen beteiligt.

Es sind nicht alle Pressemeldungen schlecht, aber ein überragender Anteil ist ziemlich suggestiv geschrieben. Durch diese Formulierungen wird es als ganz normal dargestellt, dass Radfahren eben gefährlich ist. Unfälle mit Autos passieren wie Naturkatastrophen, wir sind da scheinbar machtlos. Ich wünsche mir, dass hier im Aktiv und nicht Passiv geschrieben wird, und klar benannt wird, wer denn an einem Unfall schuld ist. Ebenfalls wird damit der Narrativ erzeugt, Radfahrer müssten sich mit Helm und Warnweste rüsten, damit sie nicht »übersehen« werden und die Folgen eines Unfalls überleben können. Beides ist quatsch, die Gefahr geht von schnellen, fast 2000 kg Kraftfahrzeugen mit unaufmerksamen Fahrern aus.