Strafverfahren wegen Nötigung

Im letzten halben Jahr hatte ich ein Strafverfahren wegen Nötigung gegen jemanden laufen. Das wurde inzwischen eingestellt und ich habe für die Zukunft noch ein paar Dinge lernen können.

Im November 2020 fuhr ich mit dem Fahrrad in einer Einbahnstraße, die zu eng zum Überholen mit Sicherheitsabstand ist. Daher fuhr ich mittig auf der Fahrbahn. Der Autofahrer hinter mir schien mich mit Fernlicht dränglen zu wollen, an der nächsten Kreuzung hat er nach links ausgeholt und mich überholt. Danach schien er nach rechts in meine Spur zu ziehen und mich zu schneiden.

Vor Schreck habe ich geschrien, dann war ich ziemlich wütend. Ich wollte den Fahrer noch stellen und habe daher vehement gegen sein Autofenster getrommelt, als er kurz darauf im stockenden Verkehr warten muss. Er ist dann ausgestiegen, ich spürte einen Griff am Arm. Wenige Sekunden später war ich auch schon wieder auf dem Rad und bin geflüchtet. Mir ist nichts passiert, ich war nur sehr geladen.

Das ganze wollte ich nicht auf mir sitzen lassen. Ich hatte zufällig auch ein Video von dem Überholvorgang auf der Kamera. Also habe ich das bei der Polizei NRW online angezeigt und Strafantrag gestellt. Der bearbeitende Polizist hat sich von mir noch das Video geben lassen, den Beschuldigten vernommen. Dieser hat dann eine Gegenanzeige wegen (m.M.n. erfundener) Beleidigung gestellt.

Diese Gegenanzeigen sind anscheinend ein ganz normales Mittel, damit es am Ende Aussage-gegen-Aussage steht. Ab diesem Zeitpunkt war ich dann Beschuldigter in einem Strafverfahren. Obwohl mir die Vorwürfe komplett haltlos erschienen, wollte ich in kein juristisches Fettnäpfchen treten und habe mir eine Anwältin gesucht. Sie hat mich in dem Fall beraten und auch eine Verteidigungsschrift verfasst.

Die Staatsanwältin hat am Ende beide Verfahren eingestellt. Sie hat unter anderem angemerkt, dass mit etwas mehr Rücksicht auf beiden Seiten die Situation nicht weiter eskaliert wäre.

Man kann das jetzt ungerecht oder unfair finden, aber das ist keine politische Entscheidung. Und somit kann ich die Emotionen beiseite stellen und daraus ein paar Dinge mitnehmen. Rücksicht ist weiterhin das wichtigste Gut im Straßenverkehr. Auch wenn ich mich regelmäßig durch das Verhalten von Autofahrer*innen ungerecht behandelt fühle, so ist jede Begegnung im Straßenverkehr unabhängig von den anderen. Diese gefühlte Ungerechtigkeit ist ein politisches und verwaltungsrechtliches Problem, das man auch entsprechend angehen muss.

Es ist auch nicht zielführend mit einzelnen Autofahrer*innen konkrete Fälle direkt vor Ort besprechen zu wollen. Ich habe es in meiner naiven und gutgläubigen Art vielfach versucht. Es hat noch nie etwas gebracht. Im besten Fall wird man ignoriert, im schlimmsten Fall wird es handgreiflich. Dazwischen gibt es ein endloses Spektrum an Ausreden und wilden Argumentationen. Einsicht habe ich noch nie vernommen.

Daher spreche ich inzwischen niemanden mehr an. Ich mache einfach ein Foto von der Situation und schicke das als entsprechende Anzeige ab. In diesem Fall wäre es vielleicht der Tatbestand »Sie hielten beim Überholen keinen ausreichenden Seitenabstand zu anderen Verkehrsteilnehmern ein« für 30 EUR. Dann wäre die Sache für mich erledigt gewesen. Ich hätte dann eben hinter dem Autofahrer im stockenden Verkehr gewartet, Abstand gehalten und darauf gehofft, dass ich den niemals wieder im Verkehr zufällig antreffe. Der Fahrer hätte ein Bußgeld bekommen und würde möglicherweise in Zukunft ein klein bisschen rücksichtsvoller fahren, wenn auch nur um ein weiteres Bußgeld zu vermeiden.

Die ganze Aktion hat mich knapp 750 EUR gekostet. Die Rechtsschutzversicherung vom ADFC hat nichts davon übernommen, weil es um Beleidigung geht, und das nicht inhärent mit dem Straßenverkehr zu tun hat. Dazu habe ich bestimmt ein Dutzend Stunden mit Schreiben der Anzeige, Telefonaten und Überbringen eines USB-Sticks mit Video verbracht. Ich habe jetzt ein besseres Verständnis für ein Strafverfahren, und ich habe auch einen effizienteren Umgang mit Ärgernissen im Straßenverkehr gefunden.