Stimmung während der Pandemie

Als Ende 2019 die ersten Fälle von COVID19 in den Nachrichten erschienen sind, schien das alles noch ganz weit weg. Ich hatte es so wie die Vogel- und Schweinegrippe wahrgenommen: So eine Pandemie, aber irgendwie wird die auch nicht so richtig in Deutschland ankommen. Und falls doch, dann wird das nur eine Erkältung und nicht wirklich kritisch.

Dann kam es nach Deutschland, und hielt es genauso wie die ersten Fälle von Vogel- und Schweinegrippe damals. Etwas, das herumgeht, aber nicht zu einer großen Sache wird. Schon gar nicht dachte ich daran, dass es den Alltag irgendwie einschränken würde.

Im März 2020 wurden wir dann alle nach Hause geschickt, und sollten von zuhause arbeiten. Es schien ernst zu werden.

Naive Phase

Als der erste Lockdown dann ganz plötzlich losging, kam das Thema erst so wirklich bei mir an. Es ist ernst, es scheint sich wirklich schnell auszubreiten und der Krankheitsverlauf ist deutlich heftiger als bei bisherigen Pandemien.

Aber ich war noch total naiv bezüglich der Dauer des Lockdowns. So habe ich angenommen, dass bei zwei Wochen Inkubationszeit einfach jeder zwei Wochen in Isolation geht, und dann sind wir das Virus vollständig los. Aber irgendwie wurden aus zwei Wochen dann drei, und vier, und es ging immer weiter.

Zu diesem Zeitpunkt habe ich total unterschätzt, wie viel Kontakt die Personen doch noch haben müssen, und dass der Betrieb der kritischen Infrastruktur eben nicht ohne Personen vor Ort geht. Supermärkte mussten öffnen, und die ganze Versorgung im Hintergrund mit Trinkwasser zum Beispiel. Auch die Krankenhäuser mussten verfügbar sein. Als kinderloser gesunder Mann erschienen mir zwei Wochen komplette Isolation irgendwie möglich. Aber gut, man entwickelt sich ja zum Glück weiter.

Hoffnungsvolle Phase

Als die Kontaktbeschränkungen immer weiter gingen, drückte das bei mir schon auf die Stimmung. Meine Freizeitaktivitäten wie Bouldern, sich mit Freunden treffen oder mit Kollegen in der Mensa essen gehen waren plötzlich weg. Die Zeit der Isolation fühlte sich aber noch beschränkt an, sodass es noch nicht an mir gezerrt hatte.

Vielmehr merkte ich, wie angenehm das Arbeiten von Zuhause eigentlich ist. Ich habe zwar als Student auch viel von Zuhause gemacht, aber irgendwie konnte ich mir das als Dauerzustand nicht vorstellen. Ich hatte mich im Kochen etwas verbessert, versuchte mir etwas mehr Routine aufzubauen. Und ich habe schöne Radtouren tagsüber gemacht.

Vor allem schöpfte ich langsam Hoffnung, dass wir als Gesellschaft die Pandemie als Chance sehen uns zu entwickeln. Zum Beispiel führte die Isolation zu einer schnellen Ausweitung von elektrischen Zahlungsmöglichkeiten. Geschäfte, in denen man nur mit Bargeld zahlen konnte, hatten plötzlich Kartenzahlungsterminals. Dienstreisen für ein kurzes Treffen konnten per Zoom-Meeting eingespart werden. Und auch bei den Schulen schien sich anzudeuten, dass die Digitalisierung einen Schub bekommen würde.

Auch bezüglich Straßenverkehr würde sich bestimmt etwas tun. Die Leute würden mehr von Zuhause aus arbeiten, weniger mit dem Auto zur Arbeit fahren. Die Straßen wären nicht mehr so verstopft, weil die Büroarbeiter*innen von Zuhause arbeiten, und nur die Handwerker*innen unterwegs sein müssten. Der Verkehrslärm würde nachlassen, die Städte mehr Wohnqualität bekommen.

Die Wissenschaftler würden zwar noch brauchen, bis sie einen Impfstoff entwickelt hätten, aber ganz viel Geld wurde dort reingesteckt. Auch das würde der Forschung einen massiven Schub geben, und vielleicht kann danach auch noch irgendwas anderes geheilt werden. Die Verteilung der Impfstoffe würde eine Herausforderung werden, aber das würden wir als Menschheit hinbekommen und daran wachsen.

Generell würden sich zum Beispiel die jüngeren Leute zurückhalten, um die verletzlichen älteren Menschen zu schützen. Und die älteren Leute würden sich solidarisch mit den Jüngeren zeigen und sich auf mehr Klimaschutz einlassen und nicht so mehr so viel blockieren.

Mit den selbstgemachten Stoffmasken bleiben die professionellen Masken für die Gesundheitspersonal übrig. Sie schützen zwar nicht vor fremden Aerosolen, aber man schützt seine Umgebung. Und wenn jeder eine solche Maske trägt, sind wir alle geschützt. Vielleicht würden wir eine ähnliche Kultur wie in Japan bekommen, bei der man ganz rücksichtsvoll ist, wenn man eine Erkältung hat.

Impfstoff da

Irgendwann war dann der Impfstoff da. Es gab am Anfang natürlich nicht genug davon. Mir war klar, dass ich als junge und gesunde Person wahrscheinlich in der letzten Gruppe der Erwachsenen sein würde, die geimpft werden. Das fand ich auch vollkommen in Ordnung, das ganze sollte schließlich nach Risiko gestaffelt werden.

Die Leute wurden in Gruppen eingeteilt, und ich bekam erstmal gar keine Gruppe. Dann ging es so langsam los mit Gruppe 3. Die Arbeitskräfte aus Supermärkten hätten dann auch endlich mal an der Reihe sein sollen. Aber das kam irgendwie nicht so richtig. Und irgendwann war gefühlt jeder in Gruppe 3. Ich kam als Wahlhelfer dort rein, die Studenten der Uni waren alle drin, die Beamten im höheren Dienst bei den Behörden. Und dann gab es natürlich nicht für alle in Gruppe 3 Impfstoff.

So langsam gab es eine Datenlage zu den verschiedenen Impfstoffen, und irgendwann wurde der Stoff von Astra Zeneca verschrien. Ich hätte den nach Risikoabwägung im Hinblick auf Long Covid trotzdem gerne genommen, wenn da nicht diese Verwirrung um die Faktor-V-Mutation gewesen wäre. Mir hat man den nicht geben wollen. Also habe ich noch etwas länger gewartet, bis genügend mRNA-Impfstoff vorhanden war.

Nach der ersten Impfung fühlte ich mich schon erleichtert, ich war aus dem gröbsten raus. Ich hatte die Hoffnung, dass die Pandemie so langsam vorbei sein würde. Mir war grob klar, dass die Kinder noch überhaupt keinen Schutz hatten, hoffte aber auf eine baldige Zulassung der Impfstoffe für Kinder jeden Alters.

Frustrierte Phase

Ich habe sehr lange keine FFP-2-Maske getragen, weil ich die den Personen im Gesundheitswesen nicht wegnehmen wollte. Ich habe auch darauf vertraut, dass sich andere Leute selbst isolieren, wenn sie Symptome haben und brav ihre Stoffmaske tragen. Das war dann aber irgendwann immer klarer nicht mehr der Fall.

Zum einen die Leute, die mit leichten Symptomen trotzdem noch unterwegs waren, weil sie nicht verzichten wollten. Sie waren sich angeblich sicher, dass es nur eine Erkältung war. Aber auch die möchte ich nicht haben. Dann gab es immer mehr Leute, die unfähig waren ihre Maske richtig zu tragen. Am Anfang versuchte ich es noch mit Unwissenheit zu erklären, weil die Maske als »Mundschutz« und nicht »Mund-Nasen-Schutz« bezeichnet worden ist. Aber mit der Zeit wurde klar: Die Leute sind ignorant. Und das Gefühl der Gemeinschaft, dem »wir schaffen das«, war weg. Anstelle dessen wurde der Eindruck von egoistischen Idioten umgeben zu sein wieder größer.

Obwohl ich irgendwann die zweite Impfung hatte, fühlte ich mich nicht ganz sicher. Die Inzidenzen waren ziemlich hoch, wirklich vorbei war die Pandemie Ende 2021 auf keinen Fall. Und weil es wieder kälter wurde, würde die Inzidenz wieder steigen.

Die Signale aus der Politik schienen auch wieder Richtung Wirtschaft zu gehen, die Schüler*innen waren wieder egal. Schule schien wieder nur ein Ort zu sein, in dem Kinder gelagert werden, damit die Eltern arbeiten gehen können. Ob sich die Kinder dort anstecken, ist ja egal. Hauptsache man hatte Luftfilter für den Landtag gekauft, für die Schulen reichen gekippte Fenster. Die Hilfen für Soloselbstständige hatten Lücken, diverse Betriebe haben geschlossen. So richtig Perspektive gab es nicht, jedenfalls nicht für alle.

Ich habe irgendwann angefangen FFP-2-Masken zu tragen. Ich wollte mich nicht mehr darauf verlassen, dass die anderen Leute irgendwie mitdenken. Wenn sich jeder selbst schützt, ist jeder geschützt. Das genaue Gegenteil von meiner hoffnungsvollen Phase, und sehr analog zu dem Sprichwort »wenn jeder an sich selbst denkt, ist an jeden gedacht«.

Auch bin ich nicht der einzige, der das Arbeiten von zuhause schätzen gelernt hat. Sporadisch schaue ich nach Häusern, um festzustellen, dass ich mir das nicht leisten kann. Also zumindest nicht dort, wo es Infrastruktur gibt. Und weil man durch das Arbeiten von Zuhause nicht mehr jeden Tag ins Büro fahren muss stiegen auch die Preise bei den Immobilien, die weiter von den Großstädten entfernt liegen. Inzwischen muss man richtig weit in die Ödigkeit ziehen, damit es noch bezahlbar ist. Somit hat die Pandemie die Situation auf dem Wohnungsmarkt nur noch weiter verstärkt. Ich hatte irgendwie gehofft, dass es sich etwas verteilt und in der Stadt bezahlbarer werden würde, aber das ist auch nicht eingetreten.

Und dann kamen noch die ganzen Impfgegener, die sich mit haarsträubenden und dummen Argumenten nicht impfen lassen wollten und wollen. Dass man eine Risikoabwägung mit Thrombosen gegen das Risiko bei einer Erkrankung macht, kann ich absolut nachvollziehen. Ich lasse mich ja auch nicht jede Woche gegen eine andere Tropenkrankheit impfen. Allerdings scheint die Abwägung für mich relativ klar zu sein, und in mir wächst der Frust über jene, die durch ihr Handeln die Pandemie aufrecht halten und neue Mutationen ermöglichen.

Die Pandemie hat auch nicht wie in meiner naiven Vorstellung die Welt zusammengebracht, sondern die bestehenden Ungleichgewichte zwischen reichen und armen Ländern weiter erhalten. In den sozialen Medien gab es ein weiteres Thema, mit dem sich die Leute in Stämme zusammenfinden und Hass auf die anderen Leute entwickeln. Durch die Wirkweise der Algorithmen wurden die Leute immer weiter polarisiert, bis einige dann komplett in Extremen waren. Die Polarisierung ist inzwischen so stark, dass ich selbst mit meinen Nachbarn das Thema eher vermeide. Generell ist das ein Thema, das noch explosiver als die »autofreie Stadt« ist.

Und aktuell steigen die Infektionen pro Woche immer weiter an, jeden Tag haben wir einen neuen Höchstwert. Die Infektionen können schon gar nicht mehr alle gemeldet werden, die Dunkelziffer steigt. Die Politik will die Maßnahmen weder verschärfen noch lockern. Da die Maßnahmen den R-Faktor steuern, und dieser aktuell über 1 ist, möchte die Politik also anscheinend die Durchseuchung. Oder es ist eben jetzt eine Pandemie der Eigenverantwortung. Mir erscheint es nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis es jeder mal hatte. Und bei denen mit dreifacher Impfung scheint es auch »mild« zu verlaufen, wobei man »mild« von Medizinern nicht unterschätzen sollte:

Wenn Ärzte von mildem Verlauf sprechen, ist das ungefähr so, wie wenn das indische Restaurant sagt, dass dein Essen nicht leicht scharf sondern schon noch mild ist. — @anwaltsgelaber

Insgesamt bin ich ähnlich ernüchtert und frustriert wie nach dem »Bonner Rad-Dialog«. Ich hatte mir Hoffnungen gemacht, und vorgestellt, wie die Gesamtgesellschaft gestärkt aus der Pandemie hervorgehen könnte. Dass die vielen verstorbenen Menschen nur auf das Konto eines Virus gehen, und nicht aber auf egoistische und dumme Mitmenschen. Aber irgendwie bleibt nur das ernüchternde Gefühl, dass sich fast nichts verbessert hat, und die Gesellschaft nur noch polarisierter ist als vorher.