»Radfahrer fahren immer über rot!« – Typische Diskussionsbeiträge

Im Straßenverkehr und auf Twitter findet man immer wieder die gleichen Diskussionen, mit sich immer wiederholenden Argumenten. Häufig ist es Whataboutism, teilweise Unwissen, teilweise weiß ich es auch nicht mehr. Dies hier soll all diese Argumente entkräften und als Referenz dienen. Ich bin diese Diskussion einfach leid, es findet keine Entwicklung statt. Es ist einfach ein Grabenkampf, in dem sich niemand bewegt.

Die Webseite Fahrradmythen hat schon einige davon gesammelt, diesen Beitrag kann man als Ergänzung sehen.

Allgemeines

»Die ganzen Radwege nehmen den Autos den Platz weg.«

Es gibt in der Tat nur begrenzten Platz in einer Stadt. Wir müssen uns überlegen, wie wir den Raum aufteilen wollen. Und wenn man schaut, welche Fläche ein Auto in Ruhe und in Bewegung (also mit Sicherheitsabständen) braucht, dann ist das eine ganze Menge. Ein Fahrrad braucht deutlich weniger. In Bonn-Poppelsdorf wurden einige KFZ-Parkplätze in Fahrrad-Stellplätze umgewandelt. Auf einen dieser Parkplätze gehen dann zwischen 6 und 10 Fahrräder. Vorher war es ein Auto. So betrachtet nehmen die Autos sehr viel Platz weg.

Genauso in einem Stau. Autospuren sind grob 3 m breit, ein Auto braucht ungefähr 6 m Länge. Ein Radweg ist mit 1.5 m angenehm breit, ein Radfahrer braucht vielleicht 3 m Länge. Somit sind es 18 m² gegen 4.5 m², ein vorsichtig geschätzter Faktor 4. Würden alle Radfahrer also ins Auto steigen, so könnte man aus dem Radweg gar nicht genug Fahrspur erzeugen, um all diese zusätzlichen Autos unterzubringen.

»Man sollte den ÖPNV ausbauen und attraktiver machen.«

Gerne hört man von Autofahrern, dass man den ÖPNV attraktiver machen muss. Ich kenne so Verbindungen, die fährt man mit dem Auto in 10 min, mit dem Bus braucht man aber eher so 50 min. Dass man da lieber das Auto nimmt, kann ich verstehen. Aber diese Leute würden auch nicht mit dem ÖPNV fahren, wenn es gleich lange dauert und kostenlos ist. Denn sie mögen ihren Raum nicht mit anderen Leuten teilen, hassen es eventuell stehen zu müssen und scheuen das Risiko umsteigen zu müssen. Und dann fehlt die Freiheit 500 kg Gegenstände mitzunehmen, auf dem Weg zur Bushaltestelle könnte es regnen, und so weiter.

Es ist häufig ein Scheinargument, das einfach nur Zeit erkaufen soll. Sollen die doch erstmal den Nahverkehr ausbauen, bis dahin fahre ich notgedrungen mit dem Auto.

Manchmal ist es aber auch vollkommen korrekt. Möchte man einen Rundtrip mit mehreren Zwischenhalten machen, muss man immer wieder auf einen neuen Bus warten. In Bonn womöglich jedes Mal zum Hauptbahnhof fahren. Mit Gepäck oder Kindern dabei ist das nicht einfach. Zumal es mit immer neuen Fahrkarten auch ziemlich teuer werden kann, falls man kein Aboticket hat.

Auch die persönliche Sicherheit von allen, die nicht gerade weiße Männer sind, ist ein gutes Argument. Nur sollten das nicht gerade weiße Männer zur Verteidigung ihres Autofahrens vorbringen.

Radfahren ist doof

In dieser Kategorie geht es darum, warum man nicht mit dem Fahrrad fahren kann, warum man mit dem Auto fahren muss.

»Radfahren ist super anstrengend, die Strecke zur Arbeit schaffe ich nicht.«

Je nach Strecke zur Arbeit glaube ich das. Radfahren braucht Ausdauer, das braucht Training. Man kann das allerdings üben, wenn man möchte. Mit der Zeit wird das viel besser. Ich habe früher das Rad nur zur Schule genutzt und auf ebenerdigen Waldwegen. Vom Venusberg runter in die Stadt zu fahren und anschließend wieder rauf kam mir wegen den 90 m Höhenunterschied wahnsinnig vor. Das war 2010. Dann habe ich meinen Zivildienst bei der Uni Klinik gemacht, bin also ganz angenehm von Ippendorf auf den Venusberg gefahren. Meine Dienststelle war allerdings in der Poliklinik unten in der Stadt. Ich also mit dem Fahrrad runter und abends wieder hoch. Es war verdammt anstrengend. Und am Dienstag spürte ich meine Muskeln. Mittwoch war ziemlich furchtbar. Freitag war ich total fertig. Am Montag drauf war es echt wieder die Hölle. Ich habe aber durchgehalten. Und jetzt mache ich manchmal eine Tour ins Siebengebirge und habe dort 400 m Höhe zu Erklimmen. Ich bin viel fitter, gesünder und genieße das einfach.

Das ist natürlich nicht für jeden was. Da bieten sich Fahrräder mit Motorunterstützung an. Damit können auch untrainierte Radfahrer an einem Tag 25 km fahren.

»Ich muss jeden Tag 100 km Pendeln oder bin im Außendienst tätig. Diese Strecke schaffe ich nur mit dem Auto.

Gut, das ist wirklich ein Argument. Ich finde es zwar pervers solche Entfernungen zwischen Wohnort und Arbeitsstelle zu haben, jedoch ergibt sich das in unserer Welt eben. Partner arbeitet in einer anderen Stadt, oder man kann sich nur ein Haus weiter draußen leisten. In diesen Fällen ist das Auto wohl am einfachsten.

Ich will ja auch nicht eine komplett autofreie Welt. Wenn man sich aber die Länge der zurückgelegten Strecken in einer Stadt anschaut, so ist ungefähr ein viertel unter 2 km und die Hälfte unter 5 km. Ersteres bekommt man auch als sehr ungeübter Radfahrer (10 km/h) in 12 Minuten hin. In der Regel findet man einfacher für ein Fahrrad einen Stellplatz als für ein Auto. Mit dem Auto bei durchschnittlich 30 km/h Bewegungsgeschwindigkeit braucht man noch immer 4 Minuten für die Strecke, mit Parkplatzsuche bestimmt nochmal länger. Der Zeitvorteil des Autos ist gar nicht so groß. Und wenn der Großteil der Leute diese Strecken einsparen würden, wäre schon viel passiert.

»Man schwitzt beim Radfahren so sehr, so kann ich nicht im Büro oder beim Kunden auftauchen.«

Das Problem habe ich durchaus auch. Ich fahre auch gerne sportlich, dadurch schwitze ich fast immer. Zum einen trage ich luftige Kleidung, das hilft dabei ein bisschen. Zum anderen kann ich auch langsam fahren, wenn ich das muss. Gerade dadurch, dass ich sonst immer schnell fahre, kann ich ohne zu schwitzen auch langsam fahren.

Bei einem repräsentativen Beruf ist das vielleicht ein Problem. Aber gilt das wirklich für jeden, der mit dem Auto in der Stadt unterwegs ist? Zumal der Niederländische Ministerpräsident Mark Rutte mit dem Fahrrad unterwegs ist, und einen repräsentativeren Beruf als Ministerpräsident haben bestimmt die wenigsten.

Ich als Mann mit kurzen Haaren habe hier aber durchaus auch einen Vorteil. Meine Haare können sich im Wind nicht verheddern, ich muss keinen Zopf in den Helm quetschen. In den Niederlanden oder Dänemark ist die Infrastruktur gut genug, dass man auf einen Helm verzichten kann. Aber in Deutschland würde ich das aktuell nicht tun. Auf dem Fahrrad kann eine Frau nicht sinnvoll einen Rock tragen, das schränkt dann massiv in der Wahl der Kleidung ein.

»Wenn es regnet oder unter 18 °C warm ist, ist man ganz den Elementen ausgesetzt. Ich will doch nicht unterkühlt oder nass am Ziel ankommen.«

Hier kann man mit Kleidung durchaus viel machen. Ich kann auch bei 2 °C noch gut fahren, muss mich dafür halt entsprechend anziehen, siehe meinen Artikel zu dem Thema. Und man schwitzt leider trotzdem, schließlich ist gerade im Stadtverkehr die körperliche Anstrengung nicht konstant und man wird abwechselnd schwitzen und frieren. Mit atmungsaktiver Kleidung kann man das ein bisschen kompensieren, aber bei bestimmten Wetterlagen ist es in der Tat einfach doof.

Gerade wenn ich noch zusätzliche Unterwäsche trage, muss ich mich danach im Büro umziehen, damit es nicht zu warm wird. Im Institut gibt es da dankenswerterweise eine Umkleide, die ich immer wieder dafür genutzt habe. Ansonsten wird es mühsam, das sehe ich ein.

Meine Komfortzone habe ich inzwischen weit genug, dass mir ein bisschen Nässe oder Frieren nicht mehr viel ausmacht. Das braucht auch Übung und Überwindung. Ich kann nachvollziehen, dass man das nicht machen möchte. Aber nur weil man selbst, polemisch gesagt, ein Mimöschen ist, muss man nicht den gesamten Radverkehr in Frage stellen.

»Radfahren in der Stadt ist gefährlich. Ich fahre nicht mit dem Fahrrad, ich bin doch nicht lebensmüde.«

Woher kommt denn diese Gefahr? Meist kommt sie von Autofahrern, die dem Radverkehr nicht genügend Platz einräumen. Sei es aus Ungeduld, Ignoranz oder anderen Faktoren. Auf Wegen ohne Autos fährt es sich ganz ungefährlich, daher fahren Leute ja auch gerne auf Feldwegen oder im Wald.

Es ist auch ein sich selbst verstärkender Prozess. Leute finden den Straßenverkehr zu gefährlich um selbst oder ihre Kinder mit dem Fahrrad fahren zu lassen. Dann werden die Kinder mit dem Auto zur Schule gebracht. Auf dem Schulweg herrscht dann so viel Autoverkehr, dass das Radfahren noch gefährlicher wird. Der fietsprofessor sagte sagte es sehr schön: »Es ist nicht unverantwortlich Kinder in der Stadt fahrradfahren zu lassen. Es ist unverantwortlich eine Politik zu betreiben, die die Straßen für die Kinder unsicher macht.«

»Auf dem Fahrrad kann man nichts transportieren.«

In ein normales Auto kann man wahrscheinlich so 1000 l Gepäck reinpacken. Das reicht ganz locker für einen großen Einkauf, oder ein paar Koffer für einen Urlaub. Das geht auf ein normales Fahrrad ohne Vorbereitung natürlich nicht drauf. Und selbst mit Vorbereitung nicht. Ich habe zwei große Taschen, die ich am Gepäckträger befestigen kann. So kann ich auch ganz locker viele Dinge mitnehmen, mit einem zusätzlichen Rucksack auch entspannt eine ganze Woche in den Urlaub fahren. Es geht also, man braucht nur entsprechende Taschen.

»Radfahren ist eine reine Freizeitbeschäftigung. Die sollen nicht in der Stadt den Verkehr aufhalten und lieber mit dem Auto oder ÖPNV fahren.«

»Verkehr« meint in diesem Kontext meist den Autoverkehr. Es wird angenommen, dass niemand ernste Erledigungen mit dem Fahrrad machen kann. Nur weil das auf einige Autofahrer zutrifft und sie das Auto als alternativlos betrachten, trifft das nicht auf jeden zu. Ich mache alle meine Erledigungen mit dem Fahrrad. Den Bus nehme ich aktuell nur, wenn ich mit einer anderen Person zusammen fahren möchte, und die nicht gerne mit dem Fahrrad fährt. Und die Bahn nehme ich, wenn ich eine längere Strecke habe. Große Möbel lasse ich mir liefern. Ein Auto leihe ich mir nur in Ausnahmefällen, ich fahre wohl grob einen Tag pro Jahr.

Rücksichtslose Radfahrer

Häufig wird argumentiert, dass Radfahrer generell und allesamt rücksichtslos sind. Daher sind sie als Verkehrsteilnehmer nicht ernstzunehmen.

»Radfahrer fahren immer über rot.«

Es ist durchaus korrekt, dass viele Radfahrer sich nicht an die Regeln halten. Mir geht das auch extrem auf den Geist. Ich war erst neulich in Köln an einer Fahrradampel, dort habe ich gefühlt eine Minute bei rot warten müssen. In der Zeit sind 5 Radfahrer und 2 E-Tretroller-Fahrer über die rote Ampel gefahren. Generell sehe ich das auch in Bonn regelmäßig, generell scheint die Geduld bei einigen Radfahrern wirklich rar zu sein. Radfahrer stellen sich häufig auch an die Fußgängerampel, als würde diese schneller grün werden als die für die Autos (und sie). Da scheint es grundlegend am Verständnis einer Kreuzung zu mangeln.

Häufig wird dann seitens der eingefleischten Radfahrer argumentiert, dass Autofahrer sich ja auch häufig nicht an Regeln halten: Falschparken, zu geringer Überholabstand, Geschwindigkeitsübertretungen. Aber ist das wirklich zielführend? Es ist absolut richtig, dass es bei den Nutzern jedes Verkehrsmittels (auch zu Fuß und ÖPNV) rücksichtslose Leute gibt. Ich ziehe lieber die Grenze zwischen Idioten und nicht-Idioten, als zwischen den Verkehrsmitteln. In der Regel nutzen Leute mehrere Verkehrsmittel und sind dann meist mit mehreren Verkehrsmitteln Raudis, oder eben nicht.

Ich selbst halte an roten Ampeln, nehme nicht die Vorfahrt und fahre in der Regel noch nicht einmal an der Ampel rechts an den stehenden Autos vorbei, obwohl das erlaubt ist. So erspare ich mir und den Autofahrern ein Überholmanöver. Natürlich nimmt man die unauffälligen Verkehrsteilnehmer nicht so wahr wie die Raudis, daher ist die Wahrnehmung der anderen Gruppe immer polarisiert, klassisches in-group/out-group.

»Radfahrer brettern viel zu schnell auf Radwegen.«

Ich erlebe Radfahrer, die 12 km/h fahren, und andere die mit 35 km/h fahren. Ich selbst bin meist so zwischen 20 und 35 km/h unterwegs. Auf der Fahrbahn ist das kein Problem. Radwege sind allerdings meist eher für eine Geschwindigkeit für 15 km/h ausgelegt. Damals waren die Leute eher nur in der Freizeit mit ziemlich klapprigen Fahrrädern unterwegs. Und dann ist es auch nicht so schlimm, wenn da ständig Absenkungen für Einfahrten drin sind.

Diese Radwege sind sehr nervig. Und ich fahre gerne schneller als die meisten Leute. Trotzdem hindert mich das nicht daran mit angepasster Geschwindigkeit zu fahren. Klar gibt es auch auf Radwegen unangepasste Geschwindigkeiten. Allerdings diskreditiere ich doch auch nicht alle Autofahrer, nur weil es dort eine Handvoll Raser gibt.

Zumal teilweise Radfahrer mit 30 km/h als Raser dargestellt werden. Trotzdem werde ich mit genau dieser Geschwindigkeit in einer Tempo-30-Zone noch von Autofahrern überholt. Anscheinend ist das dann doch nicht zu schnell, sondern zu langsam? Und in der Diskussion der neuen Strafen für überhöhte Geschwindigkeit heißt es, dass 51 km/h in einer Tempo-30-Zone nicht direkt zu einem Monat Fahrverbot führen sollten, das sei ja eigentlich noch kein Rasen. Da bitte einmal erstmal eine kohärente Definition von »Rasen« überlegen, bitte.

»Radfahrer fahren ständig auf Gehwegen und gefährden dort Fußgänger.«

Leider sieht man viele Radfahrer auf Gehwegen. Teilweise auch in Gegenrichtung. Bei manchen kann man da einfach Unwissenheit unterstellen: Sie fahren einfach auf dem Hochbord, egal wie es beschildert ist. Bei anderen ist es aber schlicht die Angst vor der Fahrbahn. Die Angst, knapp überholt zu werden, angehupt zu werden oder anderweitig mit dem Autoverkehr zu interagieren. Der baulich getrennte Gehweg bietet diese Trennung.

Die Fußgänger werden dann aber auch wieder gefährdet, daher ist dieses Verhalten nicht in Ordnung. Man muss sich aber fragen, warum die Fahrbahn als so gefährlich wahrgenommen wird. Und das liegt dann an den Autofahrern. Würden nicht einzelne Autofahrer so toxisch mit den Radfahrern auf der Straße interagieren, wäre dies viel entspannter. Man kann Gehwegradeln auch als Wunsch nach getrennter Infrastruktur verstehen.

In Deutschland hatten wir früher viele baulich getrennte Radwege, die Kreuzungen waren aber mieserabel. Es kam immer wieder zu Unfällen durch rechtsabbiegende KFZ. Man hat allerdings nicht die Kreuzungen als das Problem gesehen sondern die baulich getrennten Radwege. Die Radfahrer wurden auf die Straße gepackt, häufig mit den unsäglichen »Schutzstreifen« (siehe Artikel. An den Kreuzungen sind die Radfahrer so schon auf der Fahrbahn und im Sichtfeld der Autofahrer. Da es aber gerade durch LKW-Fahrer immer wieder Radfahrer getötet werden, scheint das nicht die perfekte Lösung zu sein.

In den Niederlanden hat man die bauliche Trennung behalten und dafür die Kreuzungen entschärft. Die Radfahrer fahren parallel zur Straße also unabhängig vom Autoverkehr. An den Kreuzungen ist der Preis eine Verschwenkung, dafür treffen die verschiedenen Verkehrsformen hier senkrecht aufeinander, was es viel sicherer macht.

Gehwegradeln bleibt weiterhin schlecht, da es den Druck der Autofahrer auf Radfahrer dann an die Fußgänger weitergibt. Die Fußgänger können aber nichts dafür. Und die Autofahrer freuen sich sogar noch, weil ihre Straße frei ist. Nur wenn sie dann vom Parkplatz zum Ziel laufen, fühlen sie sich gestört. Bei sinnvoller Fahrradinfrastruktur wäre das gar nicht nötig.

»Da gibt es schon einen baulich getrennten Radweg, und die Radfahrer fahren trotzdem auf der Straße.«

Es sind meist Rennradfahrer, die mit ihren schmalen Reifen und ungefederten Rahmen lieber die Fahrbahn als einen baulich getrennten Radweg nutzen. Das liegt zum einen an der in der Regel schlechteren Instandhaltung der Radwege, zum anderen an ihrer höheren Geschwindigkeit und anderen langsamen Radfahrern.

Nicht alle Radwege sind benutzungspflichtig. Teilweise ist es wirklich schwer zu erkennen, was jetzt gilt. Ohne Benutzungspflicht müssen sie nicht benutzt werden. Und diese entfällt auch, wenn der Radweg »nicht zumutbar« ist. Das muss man letztlich einzeln vor Gericht erstreiten. Aber viele Autofahrer wissen nicht, dass nicht alles was wie ein Radweg aussieht auch benutzungspflichtig ist. Daher kommt es hier zu vielen ungerechtfertigten Anfeindungen.

Rennradfahrer, die aufgrund ihres Fahrrades benutzungspflichtige Radwege nicht nutzen, schaden nach meinem Empfinden dem Radverkehr als ganzes. Natürlich es ist toller, wenn man schneller fahren kann. Ich fahre aber explizit ein Trekkingrad, weil viele Radwege mit dem Rennrad nicht sinnvoll passierbar sind. Es wäre so, als würde ich mir einen tiefergelegten Sportwagen kaufen und dann über alle Schweller, Schlaglöcher und Parkhäuser zu meckern. Radwege sollten natürlich gepflegt sein, aus gefärbtem Asphalt bestehen und nicht aus Betonsteinen oder Gehwegplatten. Es aber bei einem hinreichend akzeptablen Radweg dann an den Autofahrern auszulassen ist wie Gehwegradeln und auch nicht okay.

»Radfahrer fahren mittig in der Spur, man kann sie so gar nicht überholen!«

Radfahrer sollen ungefähr 100 cm Abstand zum rechten Rand der Fahrbahn halten, insbesondere wenn sich dort geparkte Autos befinden. Dann müssen innerorts und außerorts zwischen Autofahrer und Radfahrer 150 cm bzw. 200 cm Abstand gehalten werden. Nimmt man 70 cm Lenkerbreite an, so sind das innerorts 320 cm effektive Breite eines Radfahrers, also locker eine ganze Spur. Zum Überholen muss ein Autofahrer also vollständig auf die benachbarte Fahrbahn wechseln. Dies geht bei Gegenverkehr natürlich nicht, daraus folgt, dass man auch nicht Überholen darf.

Viele Autofahrer fahren dann aber trotzdem an einem vorbei, quetschen sich mit minimalem Abstand vorbei. Radfahrer wie ich haben darauf keine Lust und fahren mittig in der Spur, um genau dieses Vorbeiquetschen zu unterbinden. Das wird dann so wahrgenommen, als würde ich sie unberechtigt am Überholen hindern, ich hindere sie aber am unberechtigten Überholen.

»Radfahrer blockieren den Verkehr, weil sie so langsam fahren. Häufig muss man lange warten, bis man sie überholen kann.«

Es ist korrekt, ein Radfahrer mit 15 km/h ist langsamer als Autofahrer bei Tempo-30 oder bei Tempo-50. Der Vorteil von Autos ist ja, dass man unabhängig von körperlichen Fähigkeiten, Tagesform oder ähnlichem die gleichen Geschwindigkeiten erreichen kann. Es ist nervig langsamer zu fahren, als man könnte, geht mir als Radfahrer genauso.

Letztlich kann ich hier aber wieder ein Argument für getrennte Infrastruktur ableiten, sodass Autofahrer und Radfahrer jeweils unter sich sein können. Verschiedene Geschwindigkeiten auf einer Spur mischen zu wollen, führt einfach immer dazu, dass jemand warten muss. Anders herum müssen Radfahrer aber auch teilweise hinter Autos warten. Gerade bei Hindernissen auf einer Seite könnte ich mit dem Rad trotz Gegenverkehr vorbeifahren, muss aber hinter dem Auto vor mir warten. In solchen Situationen warte ich einfach, und hupe nicht.

»Radfahrer motzen die Autofahrer immer an, weil sie zu knapp überholt werden. Meist dass es kein »Recht auf Überholen« gäbe. Aber dann in einem geschützten Radstreifen (protected bike lane) überholen sie selbst. Gibt es doch ein Recht auf Überholen?«

Ich mag zu schmale Radwege nicht, weil man dort nicht überholen kann. Radwege werden leider immer nur minimal breit ausgebaut, und aufgrund der unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Radfahrer ist das sehr nervig. Trotzdem überhole ich dort nicht knapp oder gefährdend. Es gibt durchaus Leute, die das tun.

Mit dem Auto auf einer Landstraße mit 100 km/h einen Radler mit 15 km/h zu überholen ist aber noch etwas ganz anderes als wenn sich zwei Radfahrer mit 15 km/h und 30 km/h überholen. Im ersten Fall sind es bestimmt schwere Verletzungen oder Tod, im zweiten Fall wohl leichte bis schwere Verletzungen. Beides ist nicht korrekt, aber trotzdem unterschiedlich gefährlich.

Die meisten Straßen für Autos sind so, dass man überholen kann. Es gibt eine Gegenspur, oder sogar mehrere Fahrspuren. Somit ist Überholen generell möglich, vielleicht nicht in jedem Moment. Die wenigsten Fahrspuren für Autos sind in einem engen Korridor, der Überholen eines Traktors komplett unmöglich macht. Eine schmaler geschützter Radstreifen ist aber genau das. Bei einer Breite von weniger als 250 cm (also noch schmaler als normale Fahrspuren) ist ein sinnvolles Überholen nicht möglich. Dass Radfahrer sich über zu schmale Radspuren nicht freuen, dürfte also wenig verwunderlich sein.

»Radfahrer müssen auch mal auf ihre Vorfahrt/Vorrecht verzichten, damit sie nicht von einem rechtsabbiegenden LKW-Fahrer getötet werden.«

Generell verzichte ich lieber auf mein Recht als auf meine Gesundheit oder gar mein Leben. Aber man sollte sich dieses Video einmal anschauen. Dort biegt ein LKW-Fahrer mit seinem Sattelzug rechts rein, überquert den Radstreifen und fährt eine Radfahrerin an, die auf dem Radstreifen geradeaus fährt. Das wichtige: Nur stehenbleiben hat nicht gereicht, sie musste noch nach hinten springen, um sich zu retten. Der Anhänger folgt der Zugmaschine und zieht daher die Kurve zu. Einfach nur stehenbleiben reicht also nicht aus! Gerade für die unsicheren Verkehrsteilnehmer ist dieser Sprung nach Hinten nicht möglich, sie werden dann von den hinteren Rädern zermalmt.

In den Kommentaren kommen dann diverse Leute, die entweder dem LKW-Fahrer vollkommen Recht geben, oder zwar formal der Radfahrerin aber mit Teilschuld. Es wird argumentiert, dass Radfahrer doch nicht immer auf ihr Recht bestehen müssten. Oder dass sie gerade bei einem Tanklaster auch mal umsichtig sein sollten. Oder dass man selbst schuld ist, wenn man im toten Winkel fährt.

»Radfahrer zahlen keine Steuern, also haben sie kein Recht auf Infrastruktur.«

Das ist ein immer wieder gebrachtes Argument, jedoch stimmt es einfach nicht. Steuern sind nicht Zweckgebunden, auch nicht KFZ- oder Mineralölsteuer. Für den Straßenbau werden Gelder aus dem zentralen Steuertopf genutzt. Generell gibt es Studien, die belegen, dass Autofahrer mehr Kosten verursachen als sie an zusätzlichen Steuern einzahlen, z.B. faz.net.

»Gegenseitige Rücksichtsnahme«

Inzwischen kann ich »gegenseitige Rücksichtnahme« nicht mehr hören. Der Spruch kommt meist, wenn ich jemanden anspreche, der den Radweg mit seinem Auto blockiert. Da war zum Beispiel ein Herr, der sein Auto komplett auf dem Radweg parkte, damit er bequemer Altpapier ausladen kann. Es gab zwei Fahrspuren in die Richtung, er hätte ohne Probleme auf der rechten davon halten können. Aber nein, er hat aus Angst um sein Auto (»auf der Straße fährt mir noch einer rein«) auf dem Radweg gehalten. Radverkehr ist für ihn nur Freizeit. Als ihm die Argumente ausgingen, forderte er von mir doch auch mal Rücksicht auf ihn zu nehmen. Aber wo hat er denn Rücksicht auf mich genommen?

Insgesamt scheint die autofreundliche Stadt der Normalzustand zu sein. Werden Autofahrer irgendwelche dieser Privilegien weggenommen oder sie darauf angesprochen, wenn sie sich zu viel rausnehmen, fordern manche von ihnen Rücksicht ein. Anscheinend ist das bloße Existierenlassen und das überlassen Restflächen an Radfahrer schon so einschneidend, dass die Autofahrer scheinbar wieder etwas gut haben.

Bei diesem Stichwort klinke ich mich inzwischen einfach aus Diskussionen aus, da ist nichts mehr zu gewinnen.

»Fahrräder sollten Nummernschilder und Versicherungspflicht bekommen, dann würden die sich auch viel besser benehmen. Und Radfahrer sollten einen Führersein machen müssen.«

Als erstes zur Versicherung. Die Haftpflichtversicherung ist dort vorgeschrieben, weil vom Auto ein großes Risiko ausgeht. Mit einem normalen Fahrrad ist es schwer einen großen Unfallschaden zu erzeugen.

Wenn Nummernschilder und Führerscheine wirklich etwas bringen würden, so wären doch alle Autofahrer Engel, oder? Da sie das aber offensichtlich nicht sind, reicht ein einfaches Nummernschild nicht aus. Zudem gibt das Nummernschild nur Auskunft über den Halter, nicht über den Fahrer. Viele Anzeigen verlaufen also im Sand, weil der Halter bestreitet den Fahrer im fraglichen Zeitpunkt benennen zu können. Könnten Radfahrer mit Nummernschild sich so ebenfalls rausreden? Dann gibt es bereits Fahrräder mit Nummernschild, die S-Pedelec, die rechtlich Mofas (motorisierte Fahrräder) sind.

Von mir aus nehme ich gerne ein Nummernschild für das Fahrrad, wenn dann auch eine Halterhaftung eingeführt wird, sodass die dumme Ausrede, dass irgendwer anderes gefahren ist, nicht mehr zieht. Ich halte mich an die Verkehrsregeln, ich habe damit kein Problem.

Das Problem ist allerdings, dass das Fahrrad ein niederschwelliges Verkehrsmittel sein soll. Durch zusätzliche Regelungen macht man es den Leuten schwerer mit dem Fahrrad zu fahren. Das muss man politisch überlegen, wie man das machen möchte.

»Wenn Radfahrer keinen Helm tragen, sind sie selbst schuld, wenn sie sich bei einem Unfall verletzen.«

Man muss zwischen aktivem und passivem Unfallschutz unterscheiden. Aktiv ist das Vermeiden von Unfällen, passiv ist das bessere Überleben eines Unfalls. Der Helm ist also nur passiver Schutz. Er ist laut Aussage des Herstellers Giro auch gar nicht dafür gedacht vor Unfällen mit Autos zu schützen.

Verkehr sollte auch keine Schlacht sein, bei der man sich rüsten muss. In Fahrradländern wie den Niederlanden oder Dänemark tragen die meisten Leute keine Helme, da die Infrastruktur viel aktive Sicherheit bietet, sodass das bisschen passiver Schutz durch einen Helm einfach nicht nötig ist.

Ich selbst hatte bisher drei Unfälle mit einem Zweirad, alleine alleine. Bei einem hatte ich keinen Helm und eine Gehirnerschütterung, seit dem trage ich immer einen Helm.

Falschparken ist gar nicht so schlimm

Autofahrer können auch sehr gut argumentieren, warum ihre Regelverstöße doch gar nicht so schlimm sind.

»Irgendwo muss ich doch parken!«

Ich kann absolut verstehen, dass man sein Auto im Zielgebiet irgendwie abstellen muss. Und häufig sind bei den interessanten Zielen die Parkplätze rar und schon alle belegt. Nun hat man die Möglichkeit einen legalen Parkplatz zu suchen, dieser wird aber in der Regel weiter weg vom Ziel sein, oder Geld kosten. Zumal muss auch Zeit für die Parkplatzsuche eingeplant werden. Aus genau diesem Grund vermeide ich das Autofahren in der Stadt. Selbst wenn ich mit dem ÖPNV etwas länger brauche, entfällt die Parkplatzsuche.

Die Abwägung und Konsequenz scheint aber einigen Zeitgenossen fremd zu sein. So wie sie den Platz für ihr Auto externalisieren, so externalisieren Sie auch diese Abwägung. Scheinbar haben sie ein Recht auf einen Parkplatz direkt in der Nähe. Und wenn da keiner frei ist, legitimiert es sie zum Parken auf einem Geh- oder Radweg. Richtig wäre aber den Mangel an Platz zu akzeptieren und entsprechend bei der Anfahrt zu berücksichtigen.

»Man kann doch einfach um das falsch geparkte Auto herum gehen.«

Das stimmt natürlich, in den wenigsten Situationen blockiert ein einzelnes Auto die komplette Straße. Aber trotzdem wird der Geh- oder Radweg dadurch schmaler. Eventuell ist so viel Fuß- oder Radverkehr, dass man kurz warten muss. Natürlich bringt einen dieses kurze Warten nicht um, allerdings muss ich warten, weil jemand anderes Zeit für die Suche nach einem sinnvollen Parkplatz oder den ÖPNV sparen wollte. Ich sehe nicht ein, warum andere Leute derart über meine Zeit verfügen können sollen.

Zudem viele Gehwege (auch legal) so zugeparkt sind, dass man nur hintereinander gehen kann. Spaziergänge mit anderen Personen verkommen dann häufig zum Entengang, Händchen haltend spazieren gehen geht echt nur auf Feldwegen.

»Von einem stehenden Fahrzeug geht keine Gefahr aus.«

Das erscheint erstmal offensichtlich. Stehende Fahrzeuge können niemanden überfahren, niemanden anspringen. Allerdings kann ein halb auf dem Radweg geparktes Auto dazu führen, dass nur noch eine schmale Gasse auf dem Radweg bleibt. Ein Radfahrer muss beim Vorbeifahren aufpassen, dass er nicht gegen das Auto fährt. Gerade unsichere Radfahrer könnten dabei ins Wanken kommen, am Außenspiegel hängen bleiben und stürzen. Somit hat das Auto sie nicht angesprungen, jedoch das Passieren gefährlicher gemacht.

Gerne wird dann auf die unsicheren Radfahrer verwiesen, diese hätten dann halt nichts auf einem Fahrrad verloren. Eine recht große Gruppe Verkehrsteilnehmer einfach so zu diskretitieren halte ich für mutig. Darunter sind Kinder, Senioren und generell Leute, die nur selten mit dem Fahrrad fahren. Bei Gehwegen sind es hier Leute mit Rollatoren.

Wenn allerdings ein Geh- oder Radweg so sehr zugeparkt ist, dass man nicht mehr auf der rechten Seite des Autos passieren kann, muss man links passieren. Hier ist in aller Regel die Fahrbahn mit fließendem Autoverkehr. Und da wird es dann gefährlich. Die Gefahr geht also nicht direkt vom stehenden Fahrzeug aus, jedoch zwingt es eine interaktion mit dem fließenden Verkehr, die dann gefährlich ist. Natürlich kann man dann warten, bis die Straße wieder frei ist. Bei dem immer wieder zugeparkten Radweg an der Rochusstraße kann das aber einige Zeit dauern, die ist nämlich Teil einer Bundesstraße.

Im Bußgeldkatalog ist deshalb für den ersten Fall des Falschparkens auch die Verschärfung Behinderung enthalten, für den zweiten Fall auch Gefährdung.

»Es ist doch nichts passiert!«

Spreche ich nach einem knappen Überholmanöver einen Autofahrer auf sein Verhalten an, so kommt häufig der Hinweis, dass doch nichts passiert sei. Es ist schon etwas passiert. Ich habe mich erschreckt, und habe ein klein bisschen weniger Lust am Radfahren in der Stadt. Und ich wurde leichtfertig dem Risiko eines Unfalls mit Verletzungen ausgesetzt. Ein Autofahrer hat in dieser Situation wenig zu befürchten, in seiner Knautschzone ist er sicher in einem Unfall mit einem Radfahrer. Aber für mich kann das schnell sehr brenzlig werden.

Und Verhalten ist nicht rückwirkend dadurch entschuldigt, dass nichts passiert ist. Man kann seine Hand mit gespreitzten Fingern auf den Tisch legen und mit einem Messer zwischen die Finger hauen. Solange nichts passiert, passiert nichts. Aber würden die Leute das trotzdem hinnehmen, wenn jemand anderes das bei ihnen macht? Es gibt schöne Videos, bei denen Busfahrer auf stationäre Fahrräder (Ergometer) gesetzt worden sind, ein anderer Busfahrer ist dann mit einem Bus knapp an ihnen vorbeigefahren. Dadurch bekamen sie das Gefühl eines knappen Überholvorgangs vermittelt. Es ist allerdings noch die entschärfte Version, da die Räder ja stationär sind und die Radfahrer nicht durch den Sog des Busses leicht von der Spur abkommen.