Moralische Pflicht zu Verkehrswende und Klimaschutz
Auf Mastodon habe ich mich in eine Diskussion zur moralischen Pflicht zu Aktivismus eingeklingt. Da habe ich so viel geschrieben, dass ich das nochmal im Blog aufbereiten möchte.
Angefangen hatte die Diskussion damit, dass ein Familienvater Elektroautos gegenüber Skeptikern verteidigt hatte. Sie hätten jetzt das dritte Elektroauto in sieben Jahren und diese seien sehr zuverlässig. Dass sie noch teurer im Unterhalt seien als Verbrennungsautos sei schlicht Quatsch.
Die Diskussion nahm dann Fahrt auf, die Leute nahmen Anstoß daran, dass sie in dieser Zeit so viele Autos angeschafft hätten. Es wurde dann auch noch ein weiterer Winkel aufgemacht, nämlich die Diskussion über Privilegien. Es sei privilegiert sich Elektroautos leisten zu können. Es sei privilegiert sich eine Solaranlage zum Laden leisten zu können. Der Familienvater bekam dann diverse Kritik, er würde zu viele Ressourcen verbrauchen, zu viele Autos haben, zu unkritisch privilegiert sein.
Einmal durchatmen. Wir sind auf Mastodon. Dort sind in meiner Bubble vor allem linke oder grüne Leute unterwegs. Wenn man so möchte, sind wir da alle »die Guten«. Die politischen Gegner sind außerhalb der Bubble. Es bringt also herzlich wenig, sich da gegenseitig auseinanderzunehmen. Es ist ja generell so ein Muster, dass sich die Linken gegenseitig zerlegen. Die linken Parteien haben untereinander mehr gemeinsam als sie mit den rechten Parteien verbindet.
Dann kam noch eine »Pflicht« auf, sich für jene mit weniger Privilegien einzusetzen. Und das war der Punkt, bei dem ich dann eingestiegen bin, weil ich es nicht mehr ertragen hatte.
Diese »Pflicht« sich für die weniger Privilegierten einzusetzen ist moralisch natürlich sinnvoll. In den letzten drei Jahren habe ich mich auf kommunaler Ebene für Radfahrer*innen und Fußgänger*innen eingesetzt. Radentscheid, Bürgerantrag, IFG-Anfragen, Verwaltungsklagen, unzählige E-Mails, Gespräche mit der Verwaltung, Ortstermine mit Stadt und/oder ADFC, über tausend Privatanzeigen von Gehwegparker*innen.
Ich kann so gut wie keinen Erfolg vorweisen. Die Verkehrsüberwachung ignoriert weiterhin alles, einzelne Falschparker bedrohen mich privat. Meine Anwältin musste eine Strafanzeige gegen mich abwenden (erfundene Beleidigung). Ich habe Gerichtskosten für Verwaltungsklagen bezahlt. Ich habe viel Energie und Lebenszeit investiert. Wobei ausgegeben besser passt, es kam ja so gut wie nichts zurück. Es steht in keinem Verhältnis.
Dieses Jahr traf meine Familie hart, da haben wir echt dran zu knabbern. Wir haben alle unsere Kraft gebraucht um damit fertig zu werden und brauchen sie noch immer. Für Aktivismus und Idealismus ist aktuell leider nichts übrig. Und nun fahren wir eben Auto, weil ich keine Kraft mehr habe, gegen den Strom zu schwimmen.
Als Beispiel: Zum Schwiegervater brauche ich mit dem Auto 15 Minuten. Mit dem Bus 57 Minuten. Wenn ich alleine unterwegs bin, nehme ich das Fahrrad und mache das in 45 Minuten. Gemeinsam nehmen wir aber das Auto und nicht den Bus.
Natürlich sind wir privilegiert, dass wir ein Auto bezahlen können und gesundheitlich in der Lage sind es fahren können. Aber perverserweise ist jede einzelne Fahrt mit dem Auto günstiger als wenn ich den Bus nehme. Die einfache Strecke Bus kostet 3,39 EUR. Die Autofahrt kostet mich je nach Rechenweise 0,75 bis 3,00 EUR. Und da ist die Fahrtzeit noch nicht einmal mit eingerechnet. Meine Lebenszeit hat einen Wert für mich. 4/
Wir würden das Auto nicht abschaffen. Wir brauchen es leider, damit meine Frau nachts alleine unterwegs sein kann ohne von übergriffigen Männern belästigt zu werden. Und ja, das ist nicht nur einmal passiert. Dazu ist der ÖPNV in Bonn derart unzuverlässig, dass man das Auto immer als zweite Option vorhalten muss. Wenn nur jeder zweite Bus ausfällt, läuft es schon gut. Und Bonn ist technisch gesehen Großstadt. Und würde man einen oder gar zwei Kinderwagen im Bus mitnehmen wollen, sieht es auch total düster aus.
Wenn sich alle Leute mehr für Alternativen zum Auto einsetzen würden, dann kämen wir davon schnell weg. Allerdings tun die Leute das nicht. Ich kann nur mein Verhalten ändern. Und im aktuellen Umfeld kostet es mich persönlich viel Kraft und Lebenszeit, ständig gegen den Strom zu schwimmen. Und von beidem habe ich aktuell wenig.
Ich habe keine Lust mehr, daran Schuld zu sein, dass die Welt so ist, wie sie aktuell ist. Hier gibt es an vielen Straßen keine Radwege, di vorhandenen werden nicht geräumt, die Autofahrer*innen gefährden mich, der ÖPNV ist unzuverlässig. Habe ich die letzten vier Jahre versucht zu ändern. Ich fahre jetzt manchmal Auto. Und wenn sich die Umstände ändern, gerne weniger. Aber noch sind die Umstände so.
Entsprechend kann ich den Familienvater gut verstehen. Er scheint im Rahmen der Möglichkeiten zu versuchen sich für das Klima und Umwelt einzusetzen, aber unendlich viel Kraft hat eben niemand. Ihn auf eine Stufe mit jenen zu stellen, die mit ihrem Verbrenner-Dienstwagen total gedankenlos CO₂ erzeugen, halte ich nicht für sinnvoll.
Und dann haben wir noch nicht einmal über Wohnen gesprochen. Hier in Bonn eine familientaugliche Wohnung mit Öffi-Anbindung finden? Ja, so ab 1700 EUR/Monat kalt geht es los. Oh, das ist aber teuer! Da muss man schon wirklich viel verdienen, um sich das als Familie leisten zu können. Vielleicht dann doch etwas weiter nach draußen, Bornheim oder so? Da ist das Preisniveau ähnlich hoch. Also in der Nähe der Bahn. Geht man von der Bahn weg, wird es bezahlbar. Aber da ist keine Bahn mehr. Oh, und jetzt braucht man dort ein Auto?
Für mich hängen Wohnen und Mobilität total zusammen. Autofrei Wohnen ist richtig teuer. Autoabhängig Wohnen kann als Gesamtkonstrukt günstiger sein. Ich verdenke es inzwischen niemanden mehr, wenn es in der Stadt zu teuer ist.
Ich nehme es der Gesamtgesellschaft übel, dass dieses System politisch fortgeschrieben wird. Aber nicht mehr den einzelnen Leuten, die sich an die gegebenen Umstände anpassen. Und ich finde es haarsträubend, dass linken Personen, die sich für eine Veränderung der Umstände einsetzen, vorgeworfen wird wenn sie sich währenddessen an ebenjene Umstände anpassen.