Mobilität im Zeitalter von Teleportation

In der Diskussion um Verkehr geht es häufig nur darum, mehr Kapazität zu schaffen. Ich habe auch lange nur diesen Blickwinkel gehabt. Man schaut sich an, wo die Leute wohnen, wo sie arbeiten, wo die Geschäfte und Freizeitaktivitäten sind. Und dann schaut man, wie sehr man die Straßen dazwischen ausbauen muss. In Bonn arbeiten zum Beispiel viele Leute in Hochkreuz bei Telekom, Deutscher Post, Deutscher Welle und der UN. Daher braucht es leistungsfähige Transportmittel und es liegt nahe, eine Autobahn direkt von der A 565 zur A 562 (Venusbergtunnel) sowie deren Verlängerung zur A 3 (Ennertaufstieg) zu bauen. Die Leute wohnen in Speckgürtelstädten wie Meckenheim und Rheinbach und pendeln dann rein.

Dieser Logik folgend müssen wir immer mehr Kapazität bauen, damit die Leute nicht mehr so viel Zeit im Stau verschwenden müssen. Die Geschwindigkeit auf dem Weg zur Arbeit soll steigen. Es müssen auch mehr Verbindungen gebaut werden, damit die Strecken kürzer und so effizienter werden können. Vor Ort braucht es dann genügend Parkplätze, damit man sein Auto in kurzer Zeit loswerden kann. Die Gehstrecke zum Arbeitsplatz darf dann auch nicht zu lang sein, sonst lohnt sich die neue Autobahn eigentlich gar nicht.

Diese Betrachtungsweise lässt aber außen vor, dass Leute umziehen und Arbeitsplätze gewechselt werden können. Gibt es eine neue Schnellstraße, so spart man Strecke. Im Mittel führt das aber nicht zu einer Ersparnis bei der Reisezeit. Vielmehr ziehen Leute dann weiter nach draußen, weil dort günstiger zu wohnen ist. Und durch die neue Schnellstraße kommen sie ja auch zügig zur Arbeit. Der Bedarf an Kilometern steigt dadurch aber. Das Zeitbudget bleibt konstant, die Erhöhung in Geschwindigkeit erhöht nur die Distanzen, die zurückgelegt werden.

Generell ist Mobilität und Wohnen eng verknüpft. Neulich las ich von einer Person aus dem Bürgerbund Bonn die Behauptung, nach der eine mit dem Auto attraktiv erreichbare Bonner Innenstadt dazu beitragen würde, dass die Mieten dort bezahlbar sind. Ich überspitzte das ein bisschen und formuliere es so: Meine Generation sollte den Boomern dankbar sein, dass sie in den Vorstädten wohnen und den jungen Grünen somit platztechnisch ein Leben in der Stadt ermöglichen. Dass sie den Verkehrslärm ertragen müssen ist ein geringer Preis gegen die sonst zu zahlenden Mieten. Aber ist das wirklich so einfach?

Angenommen, es gäbe das Auto nicht, die Wege wären alle ziemlich beschwerlich. Also so, wie ganz früher. Dann hätten die Leute einfach aufgrund der Zeit keine langen Strecken zurücklegen können. Schaut man sich die alten Karten an, bei denen die Ortsteile von Bonn und Sankt Augustin noch nicht zusammengewachsen sind, sieht man eine einigermaßen gleichmäßige Verteilung von Ortskernen. Es gibt ein nettes Video zu dem Thema. War der Weg zum nächsten Marktplatz zu lang, so hat man einen neuen Marktplatz aufgemacht. Die sinnvoll zurücklegbare Strecke war so in der Größenordnung von 5 bis 10 km, also sind die Kerne immer soweit auseinander.

Die höheren Geschwindigkeiten und damit einhergehenden größeren Distanzen führen zu einer quadratisch höheren Fläche mit Möglichkeiten, zu denen man Zugang bekommt. Das ist in der heutigen Welt auch ein wichtiger Beitrag zum Fortschritt, weil sich die Berufe immer mehr spezialisieren konnten. Früher gab es halt nur die elementaren Berufe, heute kann ich mein Geld als Softwarearchitekt im Bereich Maschinenlernen verdienen. Das gab es früher so nicht. Und diesen Job gibt es halt nur in sehr großen Städten, sodass ich eben 40 km Weg zur Arbeit habe.

Dies lässt sich nicht zurückdrehen, und das will ich auch gar nicht. Ich möchte mit einem Gedankenspiel aber einmal zeigen, dass diese Entwicklung ihre Nachteile hat und dass man sie in gewissen Aspekten durchaus einschränken und neu justieren muss.

Nehmen wir an, wir seien in der eher fernen Zukunft. Das autonome Auto ist schon längst überholt, das Flugtaxi auch. Die Teleportation wurde erfunden. Man kann sich (oder eine Palette mit Waren) wie bei Star Trek in einen Transporterraum stellen und an einen anderen Transporterraum transportieren lassen. Der ganze Vorgang dauert vielleicht 30 Sekunden, dann ist man am neuen Ort. Es ist nicht unendlich schnell, aber schnell genug um mal eben schnell irgendwo an einen anderen Ort auf dem Planeten zu kommen. Mobilität wäre super effizient. Alle Menschen sparen unglaublich viel Zeit und haben so mehr Zeit für ihre Familie. Zumindest würde das wohl am Anfang so verkauft werden können.

Nun spielen Distanzen keinerlei Rolle mehr. Damit gibt es aber auch keinerlei lokalen Zusammenhalt mehr. Warum sollte ich zur Bäckerei bei mir um die Ecke gehen, wenn ich mich zu jeder auf dem Planeten teleportieren kann? Mit dem Auto müsste ich halt immer weiter fahren, und das frisst Zeit. Daher fährt man in der Regel noch zur Bäckerei in der Nähe. Beim Supermarkt ist es das gleiche. Warum sollte ich zu dem kleinen Supermarkt im Ortsteil gehen, wenn ich mit dem Teleporter einfach zum Einkaufzentrum am Stadtrand teleportieren kann? Aber es muss ja gar nicht in der gleichen Stadt sein. Wenn es irgendwo ein Sonderangebot gibt, könnte ich ja auch einfach irgendwo in Deutschland hin. Eigentlich sogar noch weiter innerhalb des Euro-Raumes. Vielleicht kaufe ich dann das Gemüse direkt in Spanien ein. Wobei die Firmen es dort ja auch einfach direkt frisch nach Deutschland teleportieren könnten.

Wahrscheinlich hätten sich dann auch die Supermärkte verändert. Heutzutage gibt es die kleinen Nahversorger und die großen Supermärkte mit mehr Auswahl am Stadtrand. Durch die Teleportation könnte man aber auch einen Supermarkt einfach in die Mitte vom Nirgendwo bauen. Da ist das Land günstig, und die Leute kommen so oder so. Durch die niedrigen Baukosten kann man dann die Lebensmittel sogar noch günstiger anbieten. Das zieht mehr Kundschaft an. Die Supermärkte an den Stadträndern können sich nicht mehr halten, ihre Nähe zur Stadt wird zu einer Last.

Die Städte würden sich aber wohl auch aufgelöst haben. Warum sollte man für viel Geld in der inneren Stadt wohnen, wenn man auch überall sonst wohnen könnte? Man könnte mitten im Nirgendwo wohnen, ganz viel unberührte Natur um sich haben. Zum Einkaufen teleportiert man sich in das Einkaufszentrum der Wahl. Zur Arbeit kann man sich auch teleportieren. Möchte man abends essen gehen, so sucht man sich das beste Restaurant in der ganzen EU aus und teleportiert sich dort einfach hin. Man muss vorher buchen, damit nicht plötzlich alle Leute gleichzeitig da sind, aber das geht ja über das Internet.

Auch beim Sozialleben bräuchte man sich noch weniger mit den Leuten in der direkten Umgebung abzugeben. Es gäbe keinen Grund sich irgendwie mit den Nachbarn auszutauschen, alle anderen Menschen sind dank Teleportation genauso nah oder fern. Wohnort ist keine Limitierung mehr, und Anfahrt auch nicht. Und weil man Zugang zu Milliarden von Menschen hat, braucht man nur die richtigen Personen zu finden.

Kinder gehen nicht mehr auf die Schulen in der Nachbarschaft, sondern zu der perfekt für sie passenden. Die Jahrgänge könnten bundesweit so zusammengestellt werden, dass in jeder Klasse fast geklonte Kinder sitzen. Die lernen dann alle ähnlich schnell und können viel effizienter für den Arbeitsmarkt vorbereitet werden. Nach der Schule kann man sich ganz einfach treffen, man teleportiert sich einfach zu den Familien mit. Eine zwangsweise Vermischung der sozialen Schichten muss es nicht mehr geben.

Ich gehe davon aus, dass Teleportation zur vollständigen Zersiedelung führen würden. Es gibt keine Unterscheidung von nah und fern mehr, und somit erzwingt die räumliche Ordnung keine Struktur mehr in unserem Leben. In abgeschwächter Form sehe ich das mit immer höheren Kapazitäten für Verkehr. Ortsteile wie Pützchen/Bechlinghoven, Ippendorf oder Graurheindorf erscheinen für mich als reine Schlafstädte, in denen sonst nichts passiert. Gerade weil man mit dem Auto schnell in anderen Ortsteilen ist, muss man sich dort nicht langweilen. Sie sind aber vielleicht auch deshalb langweilig, weil alle mit dem Auto an andere Orte fahren.

Die Lösung ist nicht, das Auto abzuschaffen und die Menschen zu zwingen im kleinen Lebensmittelmarkt in ihrem Ortsteil einzukaufen. Oder sie zwingen innerhalb ihres Ortsteils zu arbeiten, auch wenn die Jobs dort weder ausreichen noch passen. Wir brauchen für die heutige Spezialisierung und Diversifizierung einfach eine gewisse Menschen an einem Ort, damit es funktioniert. Aber einfach immer mehr Fläche mit freistehenden Einfamilienhäusern zuzubauen und sie mit immer größeren Autobahnen zu den Bürozentren in den Innenstädten zu leiten ist auch nicht die Lösung. Ich glaube, dass wir die Bevölkerungsdichte brauchen, gerade damit wir in der heutigen Zeit kurze Wege ermöglichen können. Und dazu braucht es dichtes Wohnen.

Ich hätte zwar gerne viele Zimmer, viel Wohnfläche und einen Garten. Dort, wo ich mir das leisten könnte, müsste ich aber sehr weit und lange fahren, damit ich bei einem Ballungszentrum sein kann. Somit würde ich irgendwo abgeschieden wohnen, wo es eben nicht jene Annehmlichkeiten gibt, die ich an einer Großstadt schätze. Und so werde ich dann wohl eher in einer Wohnung in einem Vielparteienhaus in eher in der Nähe des Zentrums wohnen, als weiter außerhalb.

Die Themen Verkehr, Mobilität, Wohnen, Stadtentwicklung sowie sozialer Zusammenhalt in einer Stadtgemeinschaft lassen sich nicht trennen. Es sind komplexe Themen, die alle miteinander verknüpft sind. Das macht es so frustrierend, weil es mit zusätzlichen Radwegen oder einem Zurückdrängen des Autoverkehrs alleine nicht getan ist. Selbst ohne den Klimawandel müssen wir über Bevölkerungsdichte, demografischen Wandel und weitere Themen nachdenken. Der Klimawandel packt bei all dem noch einen Zeitdruck dazu.

Häufig hinterlässt mich das ganze sehr frustriert. An einigen Stellen habe ich viel Arbeit investiert, wie zum Beispiel die Klage gegen die Stadt bezüglich einer Ampelschaltung. Und bisher ist dort nichts passiert. Es ist so komplex, dass ich manchmal gerne eine Ignoranz hätte und mir ein einfaches Leben vorstelle, in dem ich mir das Vorstadtleben mit einem fetten Cabrio versüße, in einem großen Haus wohne und gar nicht wahrnehme, wie viel Lebenszeit ich eigentlich mit Autofahren verschwende.