Mittelfinger auf Umweltstreifen

Auf einer Radtour zu zweit kamen wir in Hürth an der Hans-Böckler-Straße vorbei. Diese hat einen Umweltstreifen. Das ist ein Busfahrstreifen, der für den Radverkehr freigegeben ist. Dieser ist auch komplett mit absolutem Halteverbot versehen.

Die entsprechenden Bodenmarkierungen werden auch regelmäßig wiederholt. Man kann das einfach nicht übersehen. Und trotzdem hat der Fahrer dieses BMW sich gedacht, dass man da doch »nur mal kurz« gegen die Fahrtrichtung parken könnte. Wahrscheinlich wollte der etwas im Kiosk kaufen.

Dumm nur, dass wir Radfahrer unsere Rechte kennen und auch im Rahmen versuchen, diese einzufordern. Man muss immer vorsichtig sein, das kann schnell eskalieren. Wir waren hier aber zu zweit und der Autofahrer alleine, von daher haben wir uns das getraut. Wir haben uns vor das Auto gestellt und erstmal nur geschaut. Ich habe dann gewunken, er winkte zurück. Als wir dann noch immer keine Anstalten machten, um das Auto zu fahren, zeigte er auf die Markierung auf dem Gehweg.

Wie man im Foto darüber erkennen kann, ist das kein Radweg, das ist ein reiner Gehweg durch das Zeichen 239 davor. Diese Markierung ist also ein Überbleibsel von gekipptem Gehwegparken, das anscheinend für den Busfahrstreifen entfernt worden ist. Für den Autofahrer sah es aber so aus, als könnte es ein Radweg sein. Ob er das wirklich glaubte, weiß ich nicht. Aber da unsere Infrastruktur alles andere als intuitiv ist, würde es mich auch nicht verwundern.

Jedenfalls blieben wir einfach stehen. Er machte den Motor aus und begann auszusteigen. Ich hatte kurz überlegt schnell zu flüchten, das eskalierte mir auch schon einmal. Allerdings zeigte er nur irgendwo hin. Ich habe auf die Fahrrad-Piktogramme auf dem Fahrstreifen verwiesen.

Ich habe dann mein Handy einmal vom Lenker abgemacht und kurz gezeigt, süffisant gelächelt, aber kein Foto gemacht. Ich bin davon ausgegangen, dass es dadurch dann eskaliert. Aber nein, er ist nicht ausgerastet, sondern hat einfach den Motor gestartet und ist auf mich zu gefahren. Ich war mir sehr sicher, dass der mich nicht überfährt, daher bin ich nicht zurückgewichen. Er wusste nicht ganz, wie groß sein Auto ist (hätte wahrscheinlich gepasst), und setzte nochmal zurück.

Dann zeigte er mir noch den Mittelfinger. Das sieht man auf dem Foto natürlich nicht, weil ich sein Gesicht maskieren muss.

Ich habe noch gefragt, ob er das als Beleidigung meinte. Das hat er dann noch bejaht. Vor einem Zeugen.

Negative Vorbildwirkung

Direkt hinter dem BMW stand dann noch eine Frau mit ihrem Audi. Sie wollte nur kurz eine weitere Frau rauslassen, damit sie etwas in den Briefkasten werfen kann.

Sie hat uns bemerkt, ist wieder etwas auf die Fahrbahn gefahren, und hat sich entschuldigt. Sie müsste ja nur kurz etwas in den Briefkasten werfen. Ich habe mich einfach für ihre Einsicht bedankt, und bin dann weiter.

Rechtliche Möglichkeiten

Zuallererst der obligatorische Hinweis: Ich bin kein Jurist, von daher ist das hier meine laienhafte Einschätzung der Situation, keine Rechtsberatung.

Das Verhalten des BMW-Fahrers war definitiv eine Ordnungswidrigkeit: Halten im absoluten Halteverbot. Dazu noch gegen die Fahrtrichtung geparkt. Das ist etwas, für das er 55 EUR bekommen könnte. Durch die Behinderung sind es dann 70 EUR und 1 Punkt.

Das Zeigen des Mittelfingers ist eine Straftat, für die es anscheinend zwischen 600 und 4000 EUR Strafe geben kann. Es ist auch eine Freiheitsstrafe möglich, das kommt aber wohl nur sehr selten vor. Dabei muss der Beleidigte (also ich) das ganze aber beweisen können. Ich habe hier einen Zeugen und ein Standbild der Kamera, das sollte meiner Meinung nach genügen.

Die Anzeige der Ordnungswidrigkeit kann man einfach über Weg-Li machen. Dann wird die Stadt Hürth das bearbeiten und dem Täter zuschicken. Mein Foto wird als Beweismittel genommen, ich trete als Zeuge auf. Der Täter kann über Akteneinsicht an meinen Namen und Adresse kommen, ich könnte aber als Anschrift auch die meines Arbeitgebers angeben. Hier ist das Risiko für mich gering.

Da Beleidigung ein Antragsdelikt ist, müsste ich eine Anzeige stellen und dabei Strafantrag stellen. Die Polizei nähme das dann auf, würde wohl auch die Beweismittel entgegen nehmen. Der Beschuldigte bekäme von der Polizei noch einen Anhörungsbogen, auf dem er Stellung zu der Anschuldigung nehmen könnte. Und genau dort würden die Probleme dann anfangen. Wenn der nicht ganz auf den Kopf gefallen ist, und die Kamera nicht bemerkt hat, würde er von Aussage gegen Aussage ausgehen. Mit Zeuge ist es vielleicht schwerer, aber versuchen kann er es trotzdem. Er würde eine Gegenanzeige stellen, auch wegen Beleidigung. Vielleicht, wie in meinem Strafprozess gegen den, der mich abgedrängt hatte, mit einer erfundenen rassistischen Beleidigung. Ab da wäre ich dann auch einer Straftat beschuldigt. Da man das natürlich nicht irgendwo in seinen Akten haben möchte, würde ich mir dann Rechtsbeistand suchen, um das sauber abzuwehren. In Ermangelung einer Rechtsschutzversicherung würde mich das wohl wieder so 800 EUR kosten.

Wenn das erledigt wäre, würde die Staatsanwaltschaft beide Verfahren einstellen. Es besteht nämlich kein öffentliches Interesse. In einem Interview mit dem Hamburger Oberstaatsanwalt findet man da eine hilfreiche Einordnung:

Bei Privatklagedelikten, bestimmten Delikten der geringeren Kriminalität, hat der Gesetzgeber entschieden, dass die Staatsanwaltschaft nur eingreift, wenn ein öffentliches Interesse besteht. Das ist so bei fahrlässiger Körperverletzung, Nötigung, Beleidigung. Wann das öffentliche Interesse zu bejahen ist, definieren die Richtlinien im Straf- und Bußgeldverfahren: Ist der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Anzeigenden hinaus gestört und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit? Bei Körperverletzung wären es grob gesagt „schlimme Folgen“ oder Rohheit. Bei einem normalen Verkehrsverstoß mit einfachen Prellungen oder Schürfungen ist das öffentliche Interesse nicht zu bejahen.

Da es hier noch nicht mal eine Schürfung gab, sondern nur eine »friedliche« Beleidigung, ist Rechtsfrieden nicht »über den Lebenskreis des Anzeigenden hinaus« gestört. Es ist ja nur etwas zwischen uns und dem Autofahrer. Von daher würde das Verfahren eingestellt, auf den Privatklageweg hingewiesen. Ich müsste dann also eine Privatklage, wahrscheinlich auf Schmerzensgeld, anstreben. Die hätte möglicherweise Chancen auf Erfolg, ich hätte aber auch ein Prozessrisiko. Und ich müsste den Typen dann eventuell auch noch einmal vor Gericht sehen und als Ankläger aussagen (oder meine Anwältin). Vielleicht bekäme ich am Ende 1000 EUR Schmerzensgeld, ich weiß es nicht. Am Ende würden die Beweise aber womöglich nicht für eine Beurteilung reichen, und ich músste die kompletten Prozesskosten tragen.

Nach der unangenehmen Situation mit dem Wohnmobilfahrer habe ich noch einmal über meine Ziele nachgedacht. Und zwar habe ich folgende Ziele:

  1. Ich möchte meine Radtour fortsetzen. Die Behinderung hindert mich daran, daher soll sie möglichst schnell abgestellt werden.
  2. Ich möchte mich nicht ständig als Opfer fühlen, weil ich keinen Blechpanzer um mich herum habe.
  3. Generell möchte ich freie Rad- und Gehwege haben.

Das erste Ziel habe ich diesmal erreichen können. Der Autofahrer ist weggefahren. Er hat ein bisschen diskutiert, aber er ist friedlich gefahren. Er hat mir den Mittelfinger gezeigt, aber er ist gefahren, als ich das Handy hochgehalten habe. Ihm muss klar gewesen sein, dass ich im Recht bin. Er ist gefahren, und hat dann wie ein trotziges Kind mir noch den Mittelfinger gezeigt. Ich habe gewonnen, und er weiß, dass er verloren hat. Damit habe ich das zweite Ziel erreicht.

Das dritte Ziel ist aber eines, das man nicht durch die Abarbeitung von Einzelfällen erreichen kann. Zu Einzelfällen und systematischen Veränderungen habe ich schon geschrieben. Ich habe früher versucht die Einzelfälle über Weg-Li zu bearbeiten und damit lokal kleine Erfolge erzielt. Viel wichtiger ist es aber die Kraft sinnvoller einzusetzen und für einen effektiven Ordnungsdienst zu kämpfen. Denn er dann kann sich die Denkweise in der Gesellschaft verändern, Falschparken wird allmählich kein Kavaliersdelikt mehr. Das ist aber durch die Bearbeitung von Einzelfällen nicht nachhaltig zu erreichen. Es bindet zu viele meiner Ressourcen, und das mache ich aktuell nicht mehr.

Von daher spare ich mir in diesem Fall sowohl die Anzeige der Straftat, als auch der Ordnungswidrigkeit. Den Autofahrer werde ich nie mehr wieder sehen, der hatte ein Kennzeichen aus Niedersachsen, und so oft bin ich nicht in Hürth. Der Übertrag auf andere Autofahrer*innen wird vernachlässigbar sein. Zudem ist, wie man dem Interview mit dem Hamburger Oberstaatsanwalt entnehmen kann, die Justiz noch nicht vom Gesetzgeber aufgefordert worden, die negative Vorbildwirkung entsprechend anzuerkennen und umzusetzen. Solange das nicht der Fall ist, und kein öffentliches Interesse an einer Befriedung des Straßenverkehrs besteht, ist das ein Kampf gegen Windmühlen. Da weiß ich, dass ich den nicht gewinnen kann.

Und somit schreibe ich lieber diesen Blogartikel, freue mich daran, dass es nicht eskaliert ist und fühle mich als Sieger in dieser Situation.