Makroökonomie und Einzelschicksale

Wenn man den Kern von Kapitalimus und Kommunismus vergleicht, erscheint mir der Kapitalismus die offensichtlich bessere Idee. Das große Manko beim Kommunismus ist der fehlende Mechanismus zur Preisfindung. Es ist zwar schön, wenn das Politbüro für Dieseltreibstoff einen Preis von 1 EUR/Liter festlegt, nur ist überhaupt nicht klar, ob das Angebot dann zur Nachfrage passt. Im Fünfjahresplan kann eine Produktion einer bestimmten Menge Diesel vorgesehen werden. Aber was ist, wenn zu viel verbraucht wird, und einfach keiner mehr da ist? Dann ist die Tankstelle leer.

Im Kapitalismus hingegen würden alle Stellen entlang der Kette frei bestimmen, wie viel Treibstoff sie herstellen. Die Betreiberfirma der Tankstelle kann auch anhand vom Füllstand des Tanks festlegen, welchen Preis sie verlangen möchte. Und wenn dann eine Knappheit absehbar ist, dann steigen die Preise. Das funktioniert in zwei Schritten: Angebot (rot gestrichelt) und Nachfrage (grün durchgezogen) sind zuerst im Gleichgewicht. Dann kommt eine Angebotsverknappung, bei gleichem Warenumsatz werden höhere Stückpreise fällig. Die Nachfrage bricht ein und stabilisiert sich bei einem höheren Preisniveau und niedrigerem Warenumsatz.

Dies passiert immer, wenn die Nachfrage nicht zum Angebot passt. Die Preise steigen so lange, bis die Nachfrage hinreichend gesunken ist, um wieder zum Angebot zu passen. Das klingt erstmal total super, wenn da nicht die sonstigen Konsequenzen wären.

Wenn wir ein Produkt nehmen, das wirklicher Luxus ist, wie Pizza bestellen oder Reisen, dann kann ich bei Preiserhöhungen meine eigene Nachfrage senken. Die Pizzabude um die Ecke hat im letzten Jahr die Preise um 20 % erhöht. Und wir haben entsprechend weniger Pizza bestellt; was allerdings auch an der extremen Mittelmäßigkeit dieser Pizza liegt. Hier regelt sich die Nachfrage automatisch. Ist das Mehl knapp, steigen die Preise, und weniger Leute kaufen sich dort Pizza.

Angenommen, Kartoffeln sind aber nicht knapp. Dann steigen auch erstmal die Preise für Pommes nicht. Daher werden diverse Leute sich überlegen, ob sie anstelle von Pizza eine Portion Pommes als Imbiss nehmen. Die Nachfrage verschiebt sich hier automatisch zu jenen Gütern, von denen es mehr gibt.

Im nächsten Schritt werden die Bauern erkennen, dass Mehl gerade nachgefragt ist und mehr Weizen anbauen. Damit können sie Profit machen, also tun sie es auch. Das Angebot an Weizen steigt, die Preise fallen. Das geht so lange, bis es sich für die Bauern nicht mehr lohnt, Weizen anzubauen.

Nun haben wir die Situation, dass die Energiepreise immer weiter steigen. Es herrscht Angst vor einer Erdgas-Knappheit, und somit steigen die Preise die Leute bereit sind, für die gefühlten letzten Reste zu bezahlen, damit sie nicht leer ausgehen. Die Steigerung der Preise wird zu Sparmaßnahmen führen. Leute werden sich überlegen, ob sie vielleicht auf 22 °C Raumtemperatur verzichten können. Konzerne schauen, ob sie irgendwo sparen können. Die Nachfrage an Gas wird sinken.

Wenn Gas irgendwann teurer ist als die äquivalente Menge elektrischen Stroms, werden die Leute ihre Gastherme gegen eine Wärmepumpe austauschen. Somit kann, ähnlich wie bei der CO₂-Steuer, eine reine Veränderung des Preises dafür Sorgen, dass weniger Gas genutzt wird. Gasthermen werden nicht verboten, aber erledigen sich von selbst.

Aber es wird auch harte Konsequenzen haben. Es wird Produkte geben, deren Herstellung sich bei den hohen Gaspreisen einfach nicht mehr lohnt. Die sind dann komplett weg vom Markt. Manche Firmen werden dann komplett untergehen. Deren Beschäftigten sind dann arbeitslos und werden in einer womöglich kommenden Rezession auch nicht mehr so schnell einen Job finden.

Und dann sind auch die Leute, die in Mietswohnungen mit Gas- oder Ölheizung wohnen und schon so sparsam heizen, wie sie können. Da ist auf der Nachfrageseite nichts mehr zu machen. Die Nachfrage ist inelastisch, also fast unabhängig vom Preis. Es ist fast egal, wie hoch die Gaspreise werden, Leute wollen im Winter nicht komplett unterkühlen und davon krank werden. Aber wie soll der Markt das hier regeln? Irgendwann werden sich die Leute die Nebenkosten nicht mehr leisten können. Sie brauchen eine Wohnung mit geringerer Warmmiete. Neubauten mit Wärmepumpe und Photovoltaik auf dem Dach könnten hier geringere Warmmieten anbieten. Dann würden irgendwann alle Leute aus alten Wohnungen umziehen. Damit die Vermieter weiter vermieten können, würden sie ihre Wohnungen umrüsten und durch geringere Nebenkosten attraktiver machen.

Das Problem dabei ist allerdings die gleichzeitige Knappheit von Wohnraum in Ballungsgebieten. Hier in Bonn kann man eine neue Fünfzimmerwohnung für 980.000 EUR netto kaufen und dann in erschreckender Nähe zur Autobahn wohnen. Das kann sich doch kein Durchschnittsverdiener mehr leisten. Und so bleiben die Leute dann in ihren Wohnungen und müssen irgendwie die Rechnungen bezahlen.

Wäre der Markt wirklich frei, dann würden im Stadtgebiet immer mehr neue Wohnungen gebaut. Bei den hohen Mieten lohnt sich das. Aber es gibt nur begrenzte Flächen, und somit kann das Angebot gar nicht mit der Nachfrage mithalten. Ähnlich ist es mit Windenergie. Durch die Merit Order bekommen aktuell die Betreiber günstigen Energie wie Wind und Solar die hohen Preise, die für Strom aus Gas gefragt werden. Somit machen sie enorm Gewinn. Und jetzt müsste der Markt regeln und wie bekloppt neue Windkrafträder bauen. Aber die Genehmigungsprozesse sind zu langwierig, als dass der Markt da schnell agieren und Gaskraftwerke obsolet machen könnte.

Der Markt ist an sich schon eine tolle Sache. Aber wenn die Nachfragen inelastisch sind und durch Regularien das Angebot nicht nachkommen kann, dann steigen die Preise so lange brutal, bis die ersten sich das gar nicht mehr leisten können. Weil man aber nicht mit dem Wohnen aufhören kann, muss man entweder an allem anderen sparen, oder man zieht in eine strukturschwache Region mit geringem Preisniveau, aber wahrscheinlich auch ohne Arbeit.

Wohnbaugesellschaften enteignen und das Land Wohnungen bauen lassen, wäre ein Eingriff in den Markt, der Richtung Kommunismus geht. Der Staat würde entscheiden, wie viele Wohnungen es braucht. Und auch den Preis festlegen. Das würde planbare Mieten machen.

Alternativ würde ich vorschlagen, die Regularien für die Windkraftwerke zu vereinfachen, sodass wir schneller mehr davon bauen können. Das passiert ja auch gerade. Gleichzeitig muss man im Auge behalten, dass die basalen Lebenshaltungskosten für einige Personen das komplette freie Einkommen verzehren, oder noch mehr. Da muss man gezielt unterstützen, und das scheint auch zu passieren.

Ich finde es schwer, Makroökonomie und Menschlichkeit im Gleichgewicht zu halten. Denn einerseits finde ich es großartig, dass Benzin und Erdgas so teuer sind. So kann die Nachfrage sinken, und Alternativen erscheinen günstiger. Leute werden sich überlegen, ob der Bus oder Fahrrad vielleicht auch akzeptabel gegenüber Autofahren ist. Oder ob das Verbrennungsauto ersetzt werden könnte. Ob die Gastherme ersetzt werden könnte. In der Industrie wird man sich Alternativen überlegen, Umrüstungen vornehmen.

Und auf der anderen Seite sehe ich die Personen, die von den Kräften dieses Marktes zerrieben werden. Die nicht mit akademischer Neugier auf Angebots-Nachfrage-Kurven schauen können, sondern bei denen das Geld am Ende nicht reicht. Und dadurch verstehe ich jetzt tatsächlich besser, warum die SPD noch am Dieselauto festhalten möchte. Es geht nicht um die Verschleppung von Maßnahmen gegen den Klimawandel, oder um Konzerninteressen. Sondern es geht darum, dass sich gerade die einkommensschwachen Haushalte eben nicht jetzt ein Elektroauto kaufen können, weil seit einem halben Jahr das Benzin so teuer ist. Und diese Leute wohnen häufig dann auch in Regionen, in denen sie mit dem Bus nicht rechtzeitig zur Arbeit kommen könnten. Der Tankrabatt kam auch Leuten zu gute, die ihn echt nicht gebraucht hatten. Eine gezielte Entlastung erscheint mir aber aus sozialen Gründen wichtig.

Insgesamt finde ich das ein sehr schweres Thema. Rational finde ich die Preisbestimmung durch den freien Markt sehr sinnvoll. Allerdings ist der Markt nicht immer perfekt ausgleichend, weil es gewisse Verzögerungen gibt. Menschen können nicht täglich umziehen oder ein anderes Auto haben. Sie wechseln auch nicht ständig den Job, Gehaltsverhandlungen laufen nicht jeden Tag. Dies ist in den Modellen nach Keynes enthalten. Man kann damit Vorhersagen machen, wie der Markt auf äußere Änderungen reagiert.

Was die Makroökonomie aber nicht sagen kann, ist wie die Stimmung in der Bevölkerung reagiert. Und auch nicht, welche menschlichen Schicksale dabei entstehen können. In der Physik hatte ich derartige Probleme nicht, weil meine Forschung eigentlich keine greifbaren Auswirkungen hatte. Aber bei Makroökonomie tue ich mich immer sehr schwer damit, das große Ganze zu sehen, weil ich die Einzelschicksale nicht ausblenden kann. Aber versuchen gleichzeitig das Leben von Millionen von Bundesbürger*innen zu optimieren, ist auch keine sinnvolle Aufgabe. Es bleibt wohl kompliziert.