»Jetzt fahr mal am Rand!«
Wenn Autofahrer die Radfahrer bedrängen, ist das eine Sache. Wenn Radfahrer sich untereinander auffordern, devoter zu fahren, macht mich das ziemlich traurig.
Ich war in einer Tempo-30-Zone unterwegs. Das ist nach Straßenverkehrsordnung ein sicherer Raum, da darf es weder Radwege noch Fußgängerüberwege (Zebrastreifen) geben. Von daher kann man sich da sicher fühlen und auch ganz sicher mit dem Fahrrad auf der Fahrbahn fahren.
Überholt man Radfahrer mit einem Auto, muss man 1,5 m Seitenabstand lassen. Kann man das nicht, darf man eben nicht überholen. Das ist ganz einfach. Okay, außer bei Radfahrstreifen, die als Sonderstreifen nicht Teil der Fahrbahn sind. Da ist es nämlich ein Vorbeifahren und kein Überholen, somit gilt der Überholabstand nicht. Aber bei Schutzstreifen oder eben in einer Tempo-30-Zone gilt das.
Da so ein Auto mindestens 1,8 m breit ist, man 1,5 m Abstand lassen soll und so ein Fahrradlenker mindestens 0,6 m Breite hat, muss man in den Gegenverkehr ausweichen. In einer Tempo-30-Zone gibt es auch keine Mittelmarkierung. Jedenfalls kann man bei Gegenverkehr schlicht nicht überholen, Mittelmarkierung hin oder her.
Nun sah ich da zwei ältere Radfahrer, möglicherweise ein Ehepaar. Er fuhr vorne, sie dahinter. Und dann rief sie: »Jetzt fahr mal am Rand!« Nach meiner Auffassung fuhr er schon viel zu weit rechts und lud zum Überholen ohne Sicherheitsabstand bei Gegenverkehr ein. Außerdem fuhr er so weit am Rinnstein, dass er riskiert seine Reifen durch Glasscherben oder sonstige Dinge im Rinnstein zu beschädigen. Zudem auch eine normale Pendelbewegung nach rechts dann zum Sturz führt, wenn da ein Bordstein ist. Aber der Frau war das noch nicht rechts genug.
Mich erinnert das immer an die Verkehrsregeln aus der Nazizeit. Hier die beiden ersten, die hier relevant sind:
- Scharf rechts am Rand der Fahrbahn fahren!
- Grundsätzlich nicht neben anderen Radfahrern fahren!
Und diese Verordnung endete damit:
Halte dich streng an diese Gebote! Wer sie übertritt, versündigt sich an der Gesundheit und am Wohlstand seines Volkes!
Jawohl! Also ja, kann man so machen, aber glücklicherweise leben wir nicht mehr in der Nazizeit. Die gesellschaftliche Stellung des Autos ist aber in vielen Köpfen noch so drin. Autos haben Vorfahrt, Autos dürfen nicht aufgehalten werden.
Es wirkt, als wären wir Menschen Untertanen der Autos. Dabei sitzen in den Autos doch auch nur Menschen. Und diese Menschen fahren mit einer Tonnenschweren Maschine herum und nehmen sich Platz für eine Fünfer-Sitzgarnitur und Koffer, selbst wenn sie alleine sind. Reicht das nicht aus, muss man ihnen dann noch mehr Platz geben und aus dem Weg springen?
Ich verstehe das devote Radfahren zum Selbstschutz ja irgendwie, man möchte sich der Aggressivität der Autofahrer nicht aussetzen. Aber so klein muss man sich doch nicht machen, dass man sich sogar unter Fahrradfahrern ampampt. Es wird wohl noch viel Zeit vergehen, bis sich das ändert. Wenn überhaupt.