Inspiration aus Utrecht und Umgebung

In meiner Woche in Utrecht habe ich überall Inspiration für Stadtentwicklung und Verkehr in der Stadt mitnehmen können. Da ist eine ganze Menge zusammengekommen, die ich hier in dem Artikel einmal teilen möchte.

Autoarme Innenstadt

Mein Hotel lag in der Fußgängerzone von Utrecht, wirklich sehr angenehm. Die Innenstadt hat fast keine Autos, Lieferverkehr ist vormittags allerdings erlaubt. Und so dominieren Häuser, Blumen und Fahrräder das Stadtbild:

In den Straßen ohne Grachten ist auch nicht alles mit Autos vollgemüllt:

Es gibt auch Wohnstraßen im Zentrum außerhalb der Fußgängerzone, in denen es noch Parkplätze gibt. Das dann aber sehr begrenzt und auch nur mit Bewohnerausweis nutzbar:

Im folgenden Bild sieht man auch gut, wie viele Fahrräder man anstelle von zwei Autos parken kann:

Man kann dort parken, aber das kostet dann 5,88 EUR/Stunde.

Die Post wird dort per Lastenrad zugestellt:

Klare Bodenbeläge

Als ich 2018 dort war, habe ich die Bodenbeläge noch nicht verstanden. Ich fand das Pflaster total doof zum fahren. Und das soll aber so! Im Zentrum haben sie überall dieses historische Pflaster:

Das macht mit dem Auto oder dem Fahrrad nicht so wirklich Spaß. Und das hat den Zweck, dass man dort langsam fährt, oder einfach ganz andere Routen. Man soll die Hauptstraßen nutzen, nicht die Wohnstraßen. Zu Fuß ist der Belag aber total in Ordnung.

Auf Durchgangsstraßen, bei denen man den Radverkehr fördern und den Autoverkehr dämpfen möchte, werden gemischte Bodenbeläge eingesetzt:

Hier kann man super mit dem Fahrrad den Asphalt nehmen, mit dem Auto rumpelt es auf der Fahrerseite immer unangenehm. Daher fährt man da nur lang, wenn man wirklich muss.

Das gibt es auch noch in einer weniger extremen Variante, bei der das Überholen etwas unterdrückt werden soll:

Woonerf

Die »Woonerf« ist eine Wohnstraße, wie man das in Deutschland gar nicht kennt. Das ist noch krasser als verkehrsberuhigte Bereiche. Es ist eine enge Gasse mit den typischen Reihenhäusern. Die Leute haben ihre Fahrräder dort stehen, aber auch Blumen, Stühle und Bänke.

Als ich dort entlanggegangen bin, saßen zwei Nachbarn vor ihren Häusern und haben sich unterhalten. Das ist großartig, das macht man an einer Durchfahrtsstraße einfach nicht.

Und es gibt auch noch schmalere Gassen, über die man anscheinend die Häuser auch noch tadellos erreichen kann.

Reihenhäuser

Generell wird dichter gewohnt, und die ganzen Reihenhäuser bieten viel Wohnraum bei wenig Flächenverbrauch. So kann die Stadt dicht sein, und trotzdem die Leute eigene Häuser haben. Auch in kleinen Ortschaften sieht man viel davon.

Sitzgelegenheiten im öffentlichen Raum

Bonn hat so gut wie keine öffentlichen Bänke. Man möchte wohl vermeiden, dass dort nutzlose Personen Jugendliche und Obdachlose abhängen. In der Innenstadt gibt es zahlreiche Cafés, die alle Sitzgelegenheiten anbieten. Man muss aber immer Konsumieren, um dort sitzen zu dürfen. Ältere, Schwangere oder Kranke müssen sich aber regelmäßig kurz setzen können, um Strecken zu Fuß zurücklegen zu können. Daher brauchen sie öffentliche Sitzgelegenheiten.

Utrecht macht das besser als Bonn, es gibt einige schöne Bänke:

Perfekt ist es aber nicht. Dort, wo es viel Außengastronomie gibt, gibt es gar keine Bänke. Unten bei den Grachten gibt es auch keine Sitzmöglichkeiten, vielleicht wegen Hochwasser. Aber immerhin ein paar Bänke.

Durchsetzung von Verkehrsregeln

Die Verkehrsregeln werden tatsächlich durchgesetzt. So wird in der Umweltzone mit einer Kamera kontrolliert, dass da auch niemand reinfährt, dessen Kennzeichen nicht passt.

Und auch beim Parken sind die bei weitem nicht so zimperlich, wie in Deutschland.

Ich würde mir echt wünschen, dass in Bonn auch mal wirklich flächendeckend kontrolliert und abgeschleppt werden würde, nicht immer nur auf Zuruf.

Hauptrouten

Auf einer der Hauptrouten aus der Stadt raus gibt es einen üppigen Radschnellweg, eine Straßenbahnlinie und dann noch eine zweistreifige Straße für den Kraftverkehr:

Hier behindern sich die Verkehrsarten nicht, und man kommt gut durch. Außerdem ist die Flächenaufteilung deutlich sinnvoller und entspricht eher der Verteilung, die man haben möchte. Und nicht die, die man vor Jahrzehnten einmal hatte.

Auch entlang der geraden Kanäle gibt es breite Wege, auf denen man gut Strecke machen kann:

Parallele Kreuzungen

Diese Hauptrouten haben beide Richtungen jeder Verkehrsart direkt beinander, also ein Radweg für beide Richtungen, und eine Straße für beide Fahrtrichtungen für Autos, die Schienen genauso. Dadurch kann man die Kreuzungen parallel gestalten, und hat viel weniger Konflikte. Im folgenden Bild man im Vordergrund die Kreuzung für den Radverkehr, dort stehe ich. Dann sieht man den Bahnübergang, es ist aber keine Kreuzung. Dann kommt der Übergang über die Fahrbahn. Links im Bild kreuzt die Fahrbahn die Bahn, und weiter hinten ist dann die Kreuzung für den Kraftverkehr. Rechts kreuzt der Fußweg die Bahn, und dann die Fahrbahn.

So sind die Verkehrsarten getrennt, und man muss immer nur jeweils einen Konflikt gleichzeitig auflösen. Von einer anderen Perspektive sieht man das gleiche Prinzip noch einmal:

Auf diese Weise angewandt sind Zweirichtungsradwege kein Problem mehr.

Auflösungen von linken Radwegen

Innerorts wird der Radverkehr meist links und rechts an der Fahrbahn geführt, außerorts dann auf einer Seite. Dabei sind dann die Übergänge entscheidend. Und das klappt hier an einem Ortseingang zum Beispiel wunderbar:

Der Autoverkehr wird durch die Engstelle zum langsameren Fahren gezwungen. Die ganze Überleitung liegt auf einem kleinen Plateau, sodass Aufmerksamkeit da ist.

Intelligente Ampeln

Die niederländischen Ampeln sind gruselig clever. Die haben Sensoren, wann wie viele Autos und Fahrräder ankommen. Dabei wissen sie auch, wann niemand mehr kommt. Dann wird nach dem letzten Fahrzeug immer direkt wieder auf rot geschaltet, sodass die Kreuzung kontrolliert leer ist. Nähert man sich nun der Kreuzung, bekommt man häufig sofort Grün.

In den wenigen Fällen, bei denen das nicht geht, gibt es immerhin eine Anzeige der verbleibenden Wartezeit:

Dabei leer sich der Kreis immer schneller. Die erste Hälfte dauert viel länger, als die zweite Hälfte. Das ist natürlich ein psychologischer Trick, um den Leuten das Gefühl zu geben, dass es jetzt ganz schnell geht. Kostet nur ein bisschen Programmierung, macht aber zufriedener.

Durch diese intelligenten Ampeln hat man dann auch mit dem Fahrrad häufig eine grüne Welle. In Deutschland habe ich mit meinen 25 km/h meist eine rote Welle, während der Autoverkehr mit 50 km/h gut durchkommt.

Elektrobusse

Utrecht hat zwar nicht nur E-Busse, aber viele davon. Die werden einfach mit Abnehmer in einem der Außenbezirke aufgeladen:

Bonn hat einige, aber nicht wirklich flächendeckend.

Fahrradparken

Neben dem Fahrradparkhaus am Bahnhof gibt es überall verteilt auch Fahrradstellplätze. Zum Beispiel an Bushaltestellen:

So kann man geschickt kombinieren und das Einzugsgebiet einer Bushaltestelle noch einmal ordentlich erhöhen.

Im Stadtgebiet gibt es dann auch noch viele weitere Parkhäuser und Tiefgaragen nur für Fahrräder, inklusive Parkleitsystem:

Dass man keine Zahlen erkennt, liegt an der geringen Belichtungszeit dieses Fotos.

Trennung von Rad- und Fußverkehr

Fußgänger*innen beschweren sich zurecht darüber, wenn sie vom Radverkehr bedrängt werden. In den Niederlanden ist der Fußverkehr nicht so ganz so gut ausgebaut wie der Radverkehr, es wird aber besser. Und so ist bei modernen Anlagen eine Trennung vorgesehen:

Und auch an anderen Stellen, wie dieser schmalen Brücke, wird nicht auf die Trennung verzichtet.

An vielen anderen Stellen hingegen gibt es nur einen Radweg, aber keinen Gehweg. Dann sind die Fußgänger*innen auch auf dem Radweg unterwegs. Durch den Mittelstreifen ist es aber klar in links und rechts aufgeteilt. Und so halten sich Gruppen aus Fußgänger*innen auf der rechten Seite auf, man kann (ohne Gegenverkehr) dann einfach überholen. Dadurch ist es entspannt, und der Fußverkehr wird relativ wenig bedrängt.

Ich finde das Konzept von gemischten Geh- und Radwegen, aber mit Mittelstreifen für die Richtungen, überraschend gut. Besser als getrennte Geh- und Radwege, bei dem Radverkehr auf den Gehweg ausweicht, wenn es eng wird.

Lärmschutz

Die großen Autobahnen sind mit offenporigem Asphalt (Flüsterasphalt) ausgestattet. Dadurch sind sie leiser, und es entfällt dieses besonders unangenehme Scharfe Geräusch vom Reifenabrollen.

Zusätzlich haben sie dann noch eine Idee mehr Lärmschutzwände, als ich das aus Deutschland kenne:

Baustellenumleitungen

Ich kam an eine Baustelle, und dort wurde dann auf der anderen Seite des Brückenpfeilers umgeleitet.

An einer anderen Stelle wurde der Radweg gesperrt, damit Platz für die Brückenwartung ist. Da wurde dann gut abgesperrt und umgeleitet:

Es wurde extra noch asphaltiert, damit man sanft fahren kann:

Und dann ein Fahrstreifen auf der Fahrbahn komplett abgetrennt, damit dort ein hinreichend breiter Geh- und Radweg entsteht:

In Deutschland hätte man womöglich einfach nur auf die andere Straßenseite verwiesen.

Hubbel anstelle von Umlaufsperren

Umlaufsperren sind einfach mühsam, insbesondere mit einem Liege- oder Lastenrad. Daher wird darauf verzichtet, Aufmerksamkeit durch Hubbel erzeugt:

So ist klar, dass da eine Ampel kommt, es behindert jedoch niemanden.

Geschützte Radwege an Bundesstraßen

Ich bin eine elend langweilige Bundesstraße (N-Straße) gefahren. Und dort gab es eine bauliche Trennung mit Betonelementen. Das machte einen sicheren Eindruck, und es war gar nicht beängstigend dort zu fahren.

Im Zweifelsfall für das Fahrrad

An Stellen, bei denen es wenig Platz gibt, wird trotzdem genug Platz für den Radverkehr eingeplant. Hier an der roten Zugbrücke ist auf beiden Seiten ein breiter Radweg vorhanden, in der Mitte blieb dann nur noch ein Fahrstreifen für den Kraftverkehr übrig.

In Deutschland würde man zwei Fahrstreifen für den Kraftverkehr machen und den Radverkehr einfach auf der Fahrbahn im Stich lassen.

Rennräder auf dem Radweg

In Deutschland ärgern sich viele Autofahrer*innen über Rennradfahrer*innen, die nicht die Radwege nutzen. Dass die teilweise nicht nutzungspflichtig sind, oder die Nutzungspflicht rechtsunwirksam ist, ist ein subtiles Thema. In den Niederlanden sind die Radwege so gut, dass sie auch gerne von den Rennradfahrer*innen genutzt werden.

Trotzdem hat man aber auch Schilder mit ein paar Verhaltensregeln aufgestellt, um das noch einmal ins Bewusstsein zu rufen:

Getrennte Ampelphasen

An vielen Kreuzungen werden die Ampelphasen für Kraft- und Radverkehr getrennt. Dadurch hat man gar keine Konflikte mehr. Und durch die intelligente Steuerung sind die Wartezeiten auch gar nicht mehr so hoch.

Dadurch kann man auch freilaufende Rechtsabbieger sparen, und braucht auch keine Angstweiche oder Schwebebalken zu bauen. Der Radverkehr bleibt hier immer rechts von den Autos.

Rundumgrün

Da die Ampelphase für den Radverkehr häufig getrennt ist, kann man direkt allen Richtungen Grün geben. Dadurch sparen alle Zeit, und mit dem Rad kann man sich in der Regel schnell absprechen und es läuft gut.

Bushaltestellen in Mittellage

Hier ist eine Bushaltestelle, die in der Mitte liegt. Dadurch muss der Bus den Radverkehr nicht kreuzen. Die Nutzer*innen des Busses müssen über den Radweg, das ist aber durch die Bordsteine klar getrennt. Und für Personen im Rollstuhl gibt es noch die Aufpflasterung, die eine niveaugleiche Querung ermöglicht.

Das klappt auch bei größeren Anlagen, die von der Idee dem Bertha-von-Suttner-Platz entsprechen könnten:

Unterführungen

Ampeln braucht es eigentlich nur für den Kraftverkehr. Daher ist es unpraktisch, wenn man mit dem Fahrrad auch immer dort warten muss. Dies wird auf Hauptrouten durch Unterführungen vermieden:

So fährt man einfach durch, und muss nicht an der Ampel warten.

Ein Leser schrieb mir noch, dass diese Unterführungen häufig aus dem Budget des KFZ-Verkehrs finanziert werden. Der Entfall der Querungen für den Fuß- und Radverkehr ist ja auch ein Vorteil für den Kraftverkehr.

Querungen mit Aufpflasterungen

Bei einigen Querungen ist der Radverkehr dem Kraftverkehr im Vorrang. Dies wird dann auch Baulich mit einer Erhebung umgesetzt, sodass das baulich auch direkt ganz klar ist:

Oder in anderer Ausführung:

Verkehrsberuhigungen

Es werden an Ortseingängen gerne Schikanen eingesetzt, die den Kraftverkehr bremsen sollen. Die sind dann aber so ausgelegt, dass der Radverkehr nicht gebremst wird:

Die Schutzkreuzung

Bei Kreuzungen, die nicht über getrennte Ampelphasen verfügen, wird durch die Kurvenradien Sicherheit erhöht. Hier kommt man an, der Radverkehr wird zur Seite geleitet:

Man steht dann etwas versetzt, sodass der Autoverkehr im rechten Winkel auf einen trifft.

Dadurch kann man den Schulterblick nicht mehr vergessen, vielmehr sieht man den Radverkehr dann durch die Windschutzscheibe.

Hier kann man auch sehen, dass es keine abgesenkten Bordsteine gibt. Dadurch entfallen diese Kanten, die man in Deutschland immer hat. Man kann mit dem Fahrrad einfach fahren, und bekommt nicht ständig diese Schläge in den Rücken. Auch kann man Ladung so besser transportieren, ohne dass sie kaputtgeht.

Kreisverkehre

Es gibt teilweise Kreisverkehre, bei denen der Radverkehr abgesetzt ist. Hier wird dann aber mit Aufpflasterungen gearbeitet, damit der Radverkehr hier auch wieder sicherer ist:

Alternativ wird der Radverkehr in der Kreisfahrbahn geführt, diese allerdings mit baulicher Trennung und durchgängiger Farbe klar gestaltet:

Auch in den Niederlanden gibt es die Problematik mit zwei Vorfahrtsregelungen in Kreisverkehren wie in Deutschland.

Abgesetzte Einmündungen

Teilweise werden die Einmündungen deutlich abgesetzt, ohne dem Radverkehr die Vorfahrt zu nehmen. Das entzerrt das Abbiegen und das Achten auf den Radverkehr.

Teilweise wird der Radverkehr aber auch wartepflichtig gestellt, das ist also nicht besser als in Deutschland.

Schulzone

Vor Schulen gilt ein Tempolimit von 15 km/h:

Wermutstropfen

Es gibt noch ein paar kleine Dinge, die aus diesem scheinbaren Paradies ein reales Ding machen. Und so gibt es teilweise auch Schutzstreifen bei Tempo 50 km/h, die dann auch noch zugeparkt werden. Das passiert außerhalb der Stadt, in den eher autoabhängigen Vororten:

Dazu gibt es manchmal Fahrradstraßen, die viel zu viel Autoverkehr haben:

Dort bin ich zweimal knapp überholt worden, das war echt nicht lustig. Da bräuchte es einen baulich getrennten Radweg.