Inkonsistente Blindenleitsysteme

Ich habe das große Privileg noch keine Barrierefreiheit zu benötigen. Dennoch werde ich mich irgendwann dankbar dafür sein, wenn wir sie haben. Und bis dahin versuche ich die Bedürfnisse aller Personen zu sehen, die es nicht so gut angetroffen haben. Bei dem Ortstermin zur neu gestalteten Endenicher Allee konnte ich mit einer Dame mit Seheinschränkung sprechen und so deutlich besser verstehen, worauf beim Tiefbau zu achten ist.

Personen, die mit dem Langstock (Blindenstock) gehen, müssen sich sehr konzentrieren. Sie müssen versuchen die Bordsteinkanten zu finden, damit sie nicht aus Versehen auf die Fahrbahn treten. Sie bevorzugen daher eine Tastkante von mindestens 3 cm, höher wäre noch besser. Zu hohe Kanten sind wieder schlecht für die Personen mit Rollstuhl, daher haben sich 3 cm dort als Kompromiss eingependelt.

Um an komplexen Stellen Klarheit zu schaffen, gibt es diese Blindenleitsysteme aus Rillen und Noppen. Die Rillen nennt man Richtungsfeld, die Noppen Aufmerksamkeitsfeld. Die Personen sollen sich entlang der Rillen orientieren. Soweit die Theorie. In der Praxis ist das dann ziemlich inkonsistent. Das liegt daran, dass zum einen jeder Kreis selbstständig Standards ausarbeiten darf. Es gibt zwar auf bundesebene Richtlinien, allerdings sind die nicht rechtlich bindend. Und die Landesbetriebe (hier Straßen NRW) macht an Bundesstraßen dann auch wieder Dinge, die zwar im Land konsistent sind, aber nicht in einem Kreis. Grenzgänger zwischen Bonn und Rhein-Sieg-Kreis haben dann inkonsistente Systeme, und alle Personen entlang Bundesstraßen auch.

Mit diesem Blick für die Leitsysteme habe ich einmal gesammelt und versucht die Inkonsistenzen zu sammeln.

Reine Fußgängerfurt

Es gibt an reinen Gehwegen die Furte zum Queren. Da ist meist einfach ein Richtungsfeld nach vorne drin, wie bei diesen Beispielen in Endenich (Stadt Bonn):

Dort wird der Langstock nach vorne geleitet, und die Kante ist recht klar zu erkennen. Das scheint so gut zu sein.

Es gibt in Bechlinghoven (Stadt Bonn) aber auch andere Ausführungen, bei denen es nur ein Aufmerksamkeitsfeld gibt. Da ist dann unklar, in welche Richtung die Straße genau zu überqueren ist und erscheint für mich nicht sonderlich hilfreich.

An anderer Stelle in Bonn hat man allerdings ein Richtungsfeld an der Bordsteinkante, und ein Aufmerksamkeitsfeld, das Personen von der Mitte des Gehweges zur Fahrbahnkante leiten soll.

In Sankt Augustin Niederpleis macht man es allerdings genau anders herum, da ist das Aufmerksamkeitsfeld an der Fahrbahnkante und das Richtungsfeld führt zur Fahrbahnkante.

Siegburg hat noch eine ganz andere Variante, nämlich nur ein Stopfeld an der Fahrbahnkante, was zu den weiter unten beschriebenen gemeinsamen Furten im Konflikt steht:

Planerisch muss man natürlich bedenken, dass diese Ausführungen nicht alle aus der gleichen Zeit stammen, die Regelwerke sich vielleicht geändert haben. Aber aus Sicht der betroffenen Personen ist das egal, für die sind die Inkonsistenzen konkret da.

Furten für Fuß- und Radverkehr

Bei Furten, die sowohl vom Fuß-, als auch vom Radverkehr genutzt werden, gibt es teilweise geteilte Strukturen. Das kann dann an der B 56 (Land NRW) so aussehen:

Es gibt auf der einen Seite eine Bordsteinkante für Fußgänger*innen, auf der anderen eine Nullabsenkung für den Radverkehr. Die Richtungsfelder sind so ausgerichtet, dass Personen mit Langstock zur Seite geleitet werden, wenn sie auf der falschen Hälfte unterwegs sind.

Von etwas weiter weg sieht man, dass die Lücke teilweise auch eher groß sein kann. Auch ist es total inkonsistent, ob die Nullabsenkung jetzt näher an der Fahrbahn ist, oder nicht. In der Regel sollten Fußgänger*innen von der Fahrbahn weg geführt werden, die Radfahrer*innen näher an der Fahrbahn.

Bei großen Kurvenradien kann das ganze dann auch schon etwas bizarr aussehen.

In Trier habe ich das ganze aber auch noch mit einem zusätzlichen Aufmerksamkeitsfeld gesehen. Hier soll den blinden Personen gezeigt werden, dass irgendwo etwas interessantes passiert. Sie werden aber nicht genau zur Fahrbahn geleitet, das passiert erst nahe davor.

Außerdem sind die Elemente hier schwarz bei heller Bordsteinkante. Es gibt wohl viele Personen, die nicht vollblind sind, sondern nur sehr eingeschränkt. Starke Kontraste können sie noch wahrnehmen. Da ist es dann wichtig, konsistente und starke Kontraste zu haben.

Buskap

Moderne Bushaltestellen sind als Kap ausgeführt, sie ragen also bis zur Fahrbahn vor und sind erhöht, sodass man niveaugleich in Niederflurbusse einsteigen kann. An neuen Bushaltestellen in Sankt Augustin kann man das sehen, was ich als modernste Form wahrnehme. Richtungsfelder zur vorderen Tür, und dort ein großes Aufmerksamkeitsfeld. Busfahrer*innen sollen auch mit der vorderen Tür genau dort stehen bleiben:

An anderer Stelle führen sind die Richtungsfelder, die zur Fahrbahnkante führen sollen, aber anders herum. Es soll wahrscheinlich zeigen, dass man senkrecht zur Gehwegrichtung geht, ist aber trotzdem merkwürdig:

In Köln-Porz hat man hingegen die Ausrichtung korrekt, dafür dann aber unterschiedliche Größen für die Felder genommen:

Es gibt ältere Bushaltestellen, bei denen das möglicherweise aus Platzgründen anders gestaltet worden ist. Dort gibt es auch das Richtungsfeld, aber das Aufmerksamkeitsfeld ist entlang der gesamten Fahrbahnkante ausgeführt:

Und manchmal fehlt auch das Richtungsfeld:

Die Stadt Lohmar hat hingegen nur Richtungsfelder, die zu den Türen führen sollen. Allerdings sind die ohne Aufmerksamkeitsfelder an den Enden auch wieder nutzlos.

Fazit

Es ist echt traurig, dass das nicht konsistent ist. Manchmal gibt es Richtungsfelder an der Fahrbahnkante, manchmal aber Aufmerksamkeitsfelder. Manchmal leiten Richtungsfelder zur Fahrbahnkante, manchmal erledigen das aber nur Aufmerksamkeitsfelder.

Da solche Tiefbausachen meist viele Jahrzehnte bestehen, bis sie saniert werden müssen, werden diese Inkonsistenzen uns noch viele Jahre begleiten. Für blinde Personen bedeutet das, dass sie effektiv jede Straßenecke neu erlernen müssen und sich merken müssen, welches System wo umgesetzt worden ist. Das erscheint mir als ähnlich unnötigen kognitiven Ballast wie das Erkennen von unterschiedlichen Radverkehrsführungen, wenn man mit dem Fahrrad unterwegs ist.