Identifizierbarkeit von Verkehrsteilnehmenden

Die Tage hatte ich darüber geschrieben, dass ich Fahrrad-Kennzeichen für eine schlechte Idee halte. Auf jenen Artikel habe ich viele Rückmeldungen über Twitter und E-Mail bekommen, das ganze erfreulich konstruktiv. Das ganze hat mich dazu gebracht, meine Meinung weiter zu differenzieren. Danke für die Anregungen an dieser Stelle!

Es wurden Situationen geschildert, in denen Radfahrende auf dem Gehweg gefahren sind, Kinderwagen umgeworfen haben, Personen angefahren haben, über rote Ampeln fuhren, die Nutzungspflicht von Radwegen missachtet haben, Autotüren aufgerissen haben oder beleidigend waren. In allen Fällen konnte die Person auf dem Fahrrad nicht identifiziert werden, sodass es keinerlei Konsequenzen für diese Person hatte. Das verärgert die Geschädigten und fordern daher Kennzeichen für Fahrräder, damit sie die Person anzeigen können.

Ich bin weiterhin nicht davon überzeugt, dass Nummernschilder die Lösung sind. Ein Nummernschild ist keine hinreichende Bedingung für eine Ordnungs- oder Strafrechtliche Verfolgung, wohl aber eine nötige Bedingung.

Folgende Kausalkette an Annahmen sehe ich dabei:

  1. Wenn Fahrräder Nummernschilder haben müssen, so können Personen auf dem Fahrrad identifiziert werden.
  2. Kann die Person identifiziert werden, kann sie angezeigt werden.
  3. Wird sie angezeigt, so wird sie auch bestraft.
  4. Wird sie bestraft, bessert sie ihr Verhalten.

Und in jedem der vier Schritte sehe ich große Lücken. Die Zuordnung von Kennzeichen zu Personen ist bei Autos nicht möglich. Das Kennzeichen identifiziert Halter*in, aber nicht Fahrer*in. Bei Verstößen im fließenden Verkehr muss also darüber hinaus eine möglichst aussagekräftige Beschreibung des Beschuldigten vorhanden sein. Ansonsten kann sich nämlich immer die haltende Person rausreden, dass mehrere Personen Zugang zum Auto hätten, und nicht nachgehalten wird, wer gefahren ist. Passiert das zu häufig, gibt es die Fahrtenbuchauflage. Aber dazu braucht es schon einige Anzeigen, nehme ich an.

Angenommen, die Person kann wirklich identifiziert werden. Verstöße im fließenden Verkehr zeigt man bei der Polizei an. Und diese gibt das in größeren Städten dann an die jeweilige Bußgeldstelle weiter. In Bonn zum Beispiel werden daraus dann in der Regel Ordnungswidrigkeitsverfahren. In anderen Städten beruft man sich auf den Datenschutz. In Magdeburg hatte ein Fußgänger, der falsch abgestellte Fahrzeuge mit Foto an die Stadt gemeldet hatte, danach ein Verfahren wegen Datenschutzverletzung an der Backe. Die Stadt wollte sich hier wohl die Arbeit fernhalten. Ähnliches hatte ich auch schon mit der Polizei SU erlebt. Es kann also gut sein, dass selbst mit Videomaterial eine Anzeige gar nicht ermöglicht wird.

Ist die Person angezeigt, so muss man auch entsprechende Beweise vorbringen können. Ansonsten ist es einfach Aussage gegen Aussage, und das wird dann meist eingestellt. Man braucht also ein Foto, Video, oder Zeugen. Manchmal hat man Zeugen dabei, die Beschuldigten teilweise aber auch. Im ruhenden Verkehr kann man noch einfach Fotos machen, zumindest wenn man die Leute nicht antrifft, im fließenden Verkehr ist das aber schon schwerer, man braucht eine Dashcam mit Loop-Funktion. Die Beweismittel müssen dann aber auch noch anerkannt werden, vielleicht reichen sie auch von der Qualität einfach nicht aus.

Angenommen, die Person bekommt am Ende dann auch ihren Bußgeldbescheid, bezahlt die Strafe und ärgert sich. Der Lerneffekt scheint dann doch nicht immer direkt einzusetzen. An dem einen Gehwegabschnitt, den ich von Autos befreit hatte, haben die Leute teilweise 7 bis 10 Anzeigen gebraucht, bis sie ein Einsehen hatten. Einer wollte es auch nicht lernen, da musste erst abgeschleppt werden, bis da ordentlich geparkt worden ist. Es bräuchte also sehr viele Anzeigen, bis die Leute das einsehen. Und wie wahrscheinlich ist es, dass man im fließenden Verkehr mehrfach die gleiche Person trifft?

Das Kennzeichen war hier jetzt eine nötige Bedingung, um überhaupt die weiteren Schritte einleiten zu können. Da man aber am aktuellen Alltag im Straßenverkehr sehen kann, dass sehr viele Verstöße begangen werden, scheint das nicht ausreichend zu sein. Ich habe den Eindruck, dass die Menge an Verstößen beim Auto- und Radverkehr ungefähr ähnliche Größenordnungen hat. Auch gibt es überall behindernd abgestellte E-Tretroller. Das Merkmal »Kennzeichen« scheint in dieser Hinsicht keine für mich wahrnehmbaren Unterschiede zu machen. In der breiten Masse und mit den wenig präsenten Ordnungsbehörden und wenigen privat Anzeige erstattenden Personen führt ein Kennzeichen nicht zur automatischen Regeltreue.

Einige der Kommentare gingen in die Richtung, dass die kommentierende Person gerne die Radfahrer*innen anzeigen können möchte. Es geht also um konkrete Einzelfälle. Und da sind Geschichten, wie Radfahrer teilweise extrem gegen die StVO verstößen, andere in Gefahr bringen, nötigen und beleidigen. Solche Anekdoten kann wahrscheinlich jeder erzählen, die Details hängen dann von den Strecken ab, die man so fährt. Ich werde in der Regel von Autofahrer*innen beleidigt oder fast angefahren, ein Leser berichtete von einem Übergriffigen Rennradfahrer, der dachte, dass Autofahrende ihm an Ampeln im Stand rechts Platz schaffen müssen (nur bei Schutzstreifen korrekt). Er hätte die Tür vom Auto aufgerissen und beleidigt. Das geht gar nicht. Ich kann verstehen, dass man da eine Anzeige schreiben möchte, es aber mangels Identifikation nicht kann.

Ich selbst hätte kein Problem damit, mit dem Fahrrad im Straßenverkehr identifizierbar zu sein. Man müsste dann allerdings noch klären, wie es mit dem Fußverkehr ist. Anekdote: Mir ist neulich ein Inlineskater ohne zu schauen aus einer Einfahrt auf die Fahrbahn gefahren. Ich konnte noch bremsen. Wäre ich gestürzt und er weggefahren, hätte ich ihn auch mit Fahrrad-Kennzeichenpflicht nicht identifizieren können. Versicherungskennzeichen kosten wohl so 15 EUR/Jahr, das sollte also machbar sein. Man bringt das dann am Schutzblech hinten an.

Ich fürchte allerdings, dass dies, ähnlich wie eine Helmpflicht, das Fahrradfahren unattraktiver macht. Man muss das Fahrrad dann jedes Jahr mit einem neuen Kennzeichen ausstatten. Einfach ein Fahrrad aus dem Keller zu nehmen und fahren geht dann nicht ganz so einfach, die Attraktivität wird sinken. Aber wenn das politisch gewollt würde, bekäme man das hin.

Nach meinen Erfahrungen mit Privatanzeigen und persönlichen Ansprachen im Straßenverkehr wage ich aber die Prognose, dass das das Verhalten auf der Straße nicht wirklich verändern wird, auch wenn sich einige durch erstattete Anzeigen ein bisschen weniger frustriert fühlen werden. Meiner Meinung nach braucht es eine präsentere Polizei; Infrastruktur, die korrektes Verhalten erzwingt, Trennung der Verkehrsarten mit einladenden Radwegen.