Ich verstehe die FDP nicht

Ich verstehe die FDP in letzter Zeit nicht mehr. Ich versuche es immer wieder einmal, aber es gelingt mir nicht. Aktuell lese ich ein Buch zu Makroökonomie1, weil mir das bisher noch fehlte. Da man im Gegensatz zur Physik nicht einfach unabhängige und wiederholbare Experimente durchführen kann, muss man deutlich mehr Annahmen in eine Theorie stecken, die sich nicht falsifizieren lassen. Das stört mich fundamental, aber ist wohl einfach so. Und in dem Gebiet gibt es anscheinend zwei große Lager: Keynes-Anhänger und das klassische Lager. Die Theorien werden immer wieder verfeinert und haben dann leicht andere Annahmen, aber zwei Richtungen kann ich identifizieren.

Bei den Keynes-Modellen werden Schwankungen in den Investments privater Firmen als Hauptursache für Fluktuationen in der Wirtschaft gesehen. Sind aufgrund irgendwelcher Unsicherheiten die Aussichten schlecht, investieren Unternehmen weniger. Dadurch stagniert das BIP, die Menschen haben weniger Geld. Dies soll durch staatliche Eingriffe kompensiert werden. Der Staat kann mehr Geld ausgeben oder Steuern senken. Auch kann die Zentralbank mehr Geld zur Verfügung stellen. Je nach Zustand der Wirtschaft sind unterschiedliche Instrumente effektiver als andere. Die Politik soll jedenfalls eingreifen.

Die klassischen Modelle basieren auf anderen Grundlagen. Hier wird die private Wirtschaft als stabilisierend angenommen. Externe Ereignisse und Änderungen seitens der Politik sind verantwortlich für Fluktuationen. Der private Markt gleicht diese aus, wenn man ihn lässt. Aufgabe der Politik ist es nur, einen vorhersehbaren Rahmen zu schaffen. Die Geldmenge soll nicht politisch motiviert verändert werden, vielmehr soll mit einer sehr einfachen Regel einfach Geld bereitgestellt werden, sodass private Investoren planen können. Dies führt dann zu einer deutlich anderen Politik.

Ich scheine eher auf der Keynes-Seite zu stehen. Aber da es anscheinend eine politische Entscheidung ist, welches Modell man für relevant hält, müssen beide Lager im politischen Spektrum vertreten sein. Mir scheint die FDP relativ klar für das klassische Lager zu stehen zu wollen. Der Staat soll sich möglichst raushalten, und einen Rahmen schaffen, in dem sich die Marktwirtschaft entfalten kann. So richtig scheint die FDP das aber auch wieder nicht zu tun. Ich gehe ein paar Beispiele durch.

Aktuell sind die Preise für Benzin und Diesel über dem Niveau, das wir vorher hatten. Angesichts des Krieges scheint es wenig überraschend, dass der Weltmarkt durcheinander kommt. Aber wenn wirklich weniger Treibstoff verfügbar ist, so muss die Verteilung angepasst werden. Und der freie Markt ist gerade dafür gedacht, die Verteilung von Ressourcen zu vermitteln. Wenn die Nachfrage steigt, so steigt der Preis so stark, dass die Nachfrage zum Angebot passt. Das wäre ein gesunder Markt. Die FDP sieht aber darin ein Problem und möchte den Preis mit Steuergeld nach unten beeinflussen. Damit wird aber ein Preisniveau erzeugt, mit dem die Nachfrage nicht zum Angebot passt.

Außerdem sind höhere Preise doch auch gleichzeitig Innovationstreiber. Wenn Diesel so teuer ist, dass Spediteure sich den Kraftstoff nicht mehr leisten können, so werden diverse Speditionen zahlungsunfähig werden. Sie werden vom Markt verschwinden, die Geschäftsleitung und die Angestellten arbeitslos werden. Das passiert, da erwarte ich von Marktradikalen auch keinerlei Mitleid. Dass sie aber jetzt aus Mitleid mit Steuergeldern in den Markt eingreifen erscheint mir total inkonsistent. Denn wenn hinreichend viele Spediteure pleite sind, ist das Angebot an Speditionen deutlich eingebrochen. Der Preis wird so lange steigen, bis die Nachfrage zum Angebot passt. Oder eben die Umsatzchancen sind so groß, dass das Angebot wieder wächst. Sollten sich höhere Preise bei Speditionen dann durchsetzen, so ist irgendwann genug Geld da, um Elektro-LKWs zu kaufen. Bei hinreichend hohen Dieselpreisen sparen die Spediteure.

Würde man also eben nicht eingreifen, so würde der Markt das schon richten. Wir hätten dann einen schnelleren Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor, weil Elektroautos plötzlich relativ gesehen günstiger werden. Niemandem wurde verboten, ein Verbrennungsauto zu fahren. Aber die Kräfte des Marktes verteilen die knappe Ressource Diesel dann eben anders. Natürlich leiden darunter dann diverse Leute, denen die Preiserhöhung das letzte verfügbare Einkommen nimmt. Aber das ist immer so, in einem freien Markt. Wenn man wenig Geld hat, dann ist das alles richtig furchtbar. Das scheint bei der FDP ja auch sonst niemanden zu stören. Und daher bin ich auch für gewisse staatliche Eingriffe wie eben eine Grundsicherung und einen Mindestlohn. Aber ich wähle auch nicht die FDP. Von der FDP erwarte ich, dass sie den Markt den Benzinpreis selbst bestimmen lassen, und die Leute sich dann in Eigenverantwortung überlegen, ob sie sich nun ein Elektroauto kaufen wollen.

Das andere mir unverständliche Thema ist die Parkraumbewirtschaftung in Bonn. Hier werden aktuell diverse Parkplätze in der inneren Stadt zu Anwohnerplätzen gemacht, die restlichen Parkplätze dann mit Parkscheinautomaten bewirtschaftet. Die FDP Bonn, die aktuell in der Opposition ist, scheint sich darüber sehr aufzuregen. Sie haben auch eine Petition dagegen gestartet. Sie wollen keine Preiserhöhung, keine Abzocke. Aber mal ganz ehrlich: Der Stadtraum ist begrenzt. Welchen Mechanismus neben dem freien Markt, haben die freien Demokraten denn, um Ressourcen effizient zu verteilen? Der öffentliche Raum sollte, in der Sicht der Marktradikalität natürlich auch immer bepreist sein. Und wenn man einen grob 10 m² großen Stellplatz in der Stadt haben möchte, dann sollte man dafür auch entsprechend viel Zahlen. Mit einem Mietspiegel von 10 EUR/m²/Monat sind das dann 100 EUR/Monat für einen Stellplatz. Wo ist da jetzt das Problem? So können dann Parkplätze direkt mit Wohnraum konkurrieren. Wenn der Preis stimmt, so könnte man Wohnhäuser abreißen und Parkhäuser bauen. Oder eben anders herum. Warum soll die Stadt hier künstlich die Preise niedrig halten? Effektiv ist das doch eben nicht der schlanke Staat, von dem die FDP immer spricht. Die Stadt sollte den öffentlichen Parkraum an Investoren verkaufen, die dann daraus das Maximum herausholen, wie bei privaten Tiefgaragen. Das könnte lustig werden.

Die FDP entdeckt die finanziell schwachen Personen immer dann für sich, wenn man damit dem eigenen Klientel etwas zuschustern kann. So sollen Kapitalertragssteuern nicht höher werden, weil das ja die einfachen Bürger*innen bei dem Aufbau der privaten Altersvorsorge hindert. Oder genauso mit der Finanztransaktionssteuer, die effektiv Privatpersonen gar nicht spürbar betreffen würde. Und genauso ist das auch immer beim Auto. Die meisten ganz armen Leute haben ja gar kein Auto. Und jetzt sollen genau diese Personen als Begründung herhalten, damit irgendwelche Bundestagsabgeordnete, die gerne Porsche fahren, günstiger tanken können?

Entscheidet euch doch mal. Entweder wir machen den freien Markt, total enthemmt. Und dann gäbe es demnächst eben Parkuhren an jedem öffentlichen Parkplatz, eine City-Maut und sehr teuren Diesel. Oder sie akzeptieren, dass der Staat bei gewissen Dingen Daseinsfürsorge betreiben sollte, und wir überlegen mal einen Ausstieg bei PKV und privater Altersvorsorge. Aber so wirkt sie einfach nur wie eine Klientelpartei, die sich über das erfolgreiche Einlullen von Erstwähler*innen in den Parlamenten hält.


  1. Richard T. Froyen. Macroeconomics: Theories and Policies (2009)