Grundstück nur im Auto verlassen

In der 11. Klasse habe ich ein Austauschjahr in die USA erlebt, dabei war ich in einer eher ländlichen Region. Die Verkehrspolitik dort hat mich geprägt, und zwar als Negativbeispiel. Die gleichen Tendenzen sehe ich in Deutschland und mag es überhaupt nicht.

Während der Schulzeit war ich in den USA, und zwar in der Nähe einer Kleinstadt. Ich kann gar nicht sagen, wie viele Kilometer meine Gastfamilie vom Stadtzentrum entfernt wohnte, ich weiß es nur in Autominuten: 15. Das liegt daran, dass ich das Grundstück nur im Auto (und Schulbus) verlassen habe. Das Haus liegt mit drei anderen an einer kurzen Schotterstraße, die zur Landstraße führt. Dort gibt es keinen Gehweg, nur auf der rechten und linken Straßenseite einen Graben. Bei meiner Ankuft hatte man mir gesagt, dass ich dort nicht zu Fuß gehen sollte, niemand würde mit einem Fußgänger rechnen. Die einzigen, die trotzdem zu Fuß gehen sind Autofahrer mit leerem Tank. Oder Terroristen.

Somit war es dann auch effektiv egal, wo das Haus eigentlich stand. Man setzte sich irgendwo in ein Auto, fuhr damit, und war dann irgendwann da. Mit den direkten Nachbarn hatte ich kein einziges Wort gesprochen, ich kannte nur ein paar Leute aus der Schule. Die wohnten auch irgendwo, und man kam nur mit dem Auto hin. Ich hatte weder Auto noch Führerschein und war effektiv komplett abgeschnitten. Da der Schulbus nur einmal direkt nach der Schule wieder zurück in die Wohngebiete fuhr, konnte ich auch an keinen AGs teilhaben. Das, was ich in Deutschland mit Bus und Fahrrad an autonomer Mobilität hatte, gab es dort einfach nicht. Ich fand es ziemlich mühsam, und habe erschreckend viel Fernsehen geschaut.

Das ist aber nicht auf Deutschland beschränkt. Wenn ich durch Sankt Augustin-Niederberg joggen gehe, sehe ich dort eine ähnlich autoabhängiges Wohngebiet. Das sind alles freistehende Häuser auf großen Grundstücken, mit mehreren Garagen und Einfahrten. Überall stehen mehrere richtig teure Autos, wahrscheinlich eins pro volljährigem Bewohner*in. Es gibt dort einzelne Bushaltestellen, das ist allerdings ein einmal am Tag fahrender Schulbus und ansonsten ein Taxibus. Der fährt stündlich, man muss eine Stunde vorher anmelden. Ich kann mir vorstellen, dass das dann effektiv niemand nutzt, schließlich haben alle ja zwei gesunde Autos auf dem Grundstück stehen.

In dem Wohngebiet sehen die Gehwege auch entsprechend schmal aus. Die meisten Fußgänger dort sind Jogger*innen wie ich, die von Holzlar kommen und in den Wald wollen. Auf den Gehwegen werden die Mülltonnen abgestellt. Ich habe nur einmal Kinder auf der Fahrbahn spielen sehen, und da hatten die Eltern große Warndreiecke auf beiden Seiten aufgestellt. Die ganzen Autofahrer*innen wollen nur zu ihren Grundstücken und rechnen gar nicht mit Personen auf der Fahrbahn. Warum sollte man sich auch dort aufhalten, wenn doch jeder seinen großen Garten hat?

Lustig finde ich auch immer, wenn es regnet und solche Leute keine Regenjacke dabei haben. Sie besitzen vielleicht noch nicht einmal eine. Man setzt sich in der Garage in das Auto und fährt los. Wetter ist etwas, das draußen passiert. Und die Autos sehen auch entsprechend aus: Außen ein aggressiv gestalteter Panzer, der sich gegen die böse Umwelt behaupten kann. Und innen ein warm-weiches Wohnzimmer, das den Insassen eine Trotzburg der Geborgenheit bietet.

Ich selbst bin so hart, dass ich die 700 Meter zum Bäcker morgens einfach zu Fuß laufe. Ich wohne aber auch so, dass ich noch zum Bäcker laufen kann. Vom hinteren Niederberg sind es dann schon 1600 Meter. Das sind dann die Leute, die ihr übergroßes Auto auf den Parkplatz beim Bäcker quetschen, panisch vom Auto durch den Regen in die Filiale laufen und wahrscheinlich kein Stück wacher sind, wenn sie morgens Brot holen waren. Wie auch, sie haben sich ja nicht bewegt.

Und Sonntags gehen sie nicht um die Ecke in den Wald, wahrscheinlich fahren sie erst eine halbe Stunde mit dem Fahrrad im Kofferraum irgendwo hin, wo »es schön ist«, fahren fünf Kilometer und fahren dann mit dem Auto zurück. Ich bin ganz froh einfach direkt mit dem Fahrrad von der Haustür starten zu können.

In Groningen haben die Leute eher kleine Wohnungen, dafür gibt es überall Parks in der Stadt. Man muss nicht weit gehen, und ist direkt an einem kleinen See. Man trifft andere Leute, kann sich austauschen und Freunde finden. Es gibt Workout Parks, also einbetonierte Sportgeräte an denen man zum Beispiel Klimmzüge machen kann. Man trifft sich, kommt ins Gespräch. Im Einfamilienhaus irgendwo ganz weit draußen gibt es solche Begegnungen nie. Man ist immer in seinem persönlichen Panzer und bekommt von der Außenwelt nichts mit.

Und die Kinder müssen dann immer überall hingefahren werden? Das kann es doch einfach nicht sein.