Grenzkostenrechnung für Auto und ÖPNV
Leute, die schon ein Auto haben, rechnen pro Fahrt meist nur noch die Treibstoffkosten. Somit erscheint das Auto immer günstiger als der ÖPNV. Das wird häufig kritisiert, aber ganz falsch ist es auch nicht. Nur unvollständig.
Zuerst einmal einige Wörter, die wir brauchen werden: Das eine sind Fixkosten, die man also unabhängig von der Nutzung mit einer Sache hat. Das sind die Anschaffungskosten vom Auto und Steuern, in gewisser Weise auch die Versicherung. Dann gibt es die Grenzkosten, also jene Kosten die pro zusätzlichem Kilometer anfallen. Zuletzt haben wir die Gesamtkosten, also einfach alle Kosten, die insgesamt anfallen. Daraus kann man dann die Durchschnittskosten pro Kilometer errechnen, die eben nicht direkt die Grenzkosten sind.
In den Diskussionen in den sozialen Medien wird häufig bemängelt, dass Autofahrer*innen immer nur auf die Treibstoffkosten schauen würden und ausblenden, dass das Auto ja hohe Anschaffungskosten haben. Die Autofahrer*innen bemängeln die hohen Kosten für Einzelfahrscheine beim ÖPNV. Da wird gegengehalten, dass man fairerweise ja das Abo rechnen muss. Wir müssen also mehrere Fälle betrachten, nämlich ob ein Auto vorhanden ist, und ob ein ÖPNV-Abo vorhanden ist.
Fall 1: Eigenes Auto
Wenn ich schon ein Auto habe, dann sind die Fixkosten schon ziemlich hoch. In der Kostenrechnung zu meinem Auto hatte ich das einmal detailliert dargestellt. Die Fixkosten, die ich jetzt hatte, beliefen sich auf 1232 EUR. Dazu kamen noch 354 EUR für Treibstoff. Bei 3272 km Fahrstrecke macht das 10,54 EUR/100 km. Damit haben wir jetzt ein Modell für die Autokosten im Monat:
Gesamtkosten = 103 EUR + 0,11 EUR/km.
Anhand von diesem Modell kann ich jetzt die Grenzkosten einfach ablesen: Das sind 11 Cent pro Kilometer. Die Fixkosten sind halt schon da. Die ehrlichen Durchschnittskosten sind dann 0,48 EUR/km.
Fall 2: Ohne eigenes Auto
Wenn ich selbst kein Auto habe, aber mit dem Auto fahren möchte, muss ich irgendwie eines leihen. Das kann ich per Car-Sharing oder Mietwagen machen. Nehmen wir zum Beispiel mal Cambio Carsharing. Da gibt es verschiedene Tarife. Im mittleren Tarif »Aktiv« kostet pro Monat 10 EUR fix und pro Kilometer dann 0,27 EUR. Die Stunde tagsüber kostet 2,40 EUR. Nehmen wir einfach eine durchschnittliche Geschwindigkeit von 30 km/h an, dann wäre das auf den Kilometer heruntergebrochen nochmal 0,08 EUR drauf. Wir haben also dieses Kostenmodell:
Gesamtkosten = 10 EUR + 0,35 EUR/km.
Fall 3: Deutschlandticket
Das Abo für den Nahverkehr können wir jetzt ganz einfach rechnen. Da nehmen wir einfach das Deutschlandticket und sind fertig. Die Grenzkosten sind 0:
Gesamtkosten = 49 EUR.
Fall 4: Einzelfahrscheine
Nutzt man den ÖPNV ohne Abo ist das ganze ziemlich mühsam zu rechnen, weil das nicht nach Kilometern abgerechnet wird. Für eine bestimmte Strecke von 4 km zahle ich 3,10 EUR. Das sind also 0,78 EUR/km. Für das gleiche Geld kann ich aber auch 10 km fahren und bin dann bei 0,31 EUR/km. Der Weg zur Arbeit kostet mich 5,43 EUR, dafür sind es auch 38 km. Dann sind es nur 0,14 EUR/km. Es ist also jetzt schwer zu sagen, welches Modell hier realistischer ist.
Vergleich der Grenzkosten
Nun muss man diese Fälle gegeneinander Antreten lassen und schauen, was wir daraus lernen können. Hier nochmal als Tabelle zusammengefasst:
Fall | Fixkosten | Grenzkosten |
---|---|---|
Eigenes Auto | 103 EUR | 0,11 EUR/km |
Car-Sharing | 10 EUR | 0,35 EUR/km |
Deutschlandticket | 49 EUR | 0,00 EUR/km |
Einzelfahrscheine | 0 EUR | 0,14 bis 0,78 EUR/km |
Fahrrad | ? EUR | 0,00 EUR |
Und noch einmal als Grafik mit verschiedenen Distanzen pro Monat:
Ich habe auch noch das Fahrrad ergänzt. Da fehlt mir noch eine genaue Kostenabschätzung, daher ist die Zelle noch leer. Mit diesen zusammengestellten Informationen können wir nun also ein paar Aussagen treffen über den Vergleich der Fälle.
- Nehmen wir eine Person, die ein Auto hat, aber kein ÖPNV-Abo. In diesem Fall sind die Grenzkosten vom Auto immer weniger als die vom Einzelfahrschein. Somit lohnt es sich schlicht immer für diese Person das Auto zu nehmen. Ausnahmsweise den Bus zu nehmen ergibt wirtschaftlich keinen Sinn, außer man betrachtet noch Zusatzkosten fürs Parken. Somit ist es vollkommen verständlich, dass man für einzelne Fahrten nicht auf den Bus umsteigt.
- Hat man ein ÖPNV-Abo und ein eigenes Auto, zahlt man doppelte Fixkosten. Das muss man sich erstmal leisten können und wollen. Hat man das aber so, dann ist Busfahren immer günstiger als mit dem Auto fahren.
- Nutzt man ein ÖPNV-Abo und hat kein Auto, dann ist das Leihen eines Autos sehr teuer in den Grenzkosten. Für einzelne Strecken wird man das nur machen, wenn man wirklich einen Zwang hat und schwere Dinge transportieren muss.
- Hat man weder Abo noch Auto, dann kann auf kurzen Strecken das Car-Sharing Auto günstiger sein als der Fahrschein für den Nahverkehr.
- Das Fahrrad ist von den Grenzkosten natürlich am besten, ist aber aufgrund von Reichweite und Geschwindigkeit nicht immer geeignet.
Gesamtkosten
Die Gesamtkosten sind das, was man sich so nach einem Jahr einmal anschauen kann. Wenn ich jetzt einmal die Woche ins Büro fahre, dann habe ich grob 4 Fahrten pro Monat. Bei 38 km Strecke sind das 304 km.
- Mit dem Auto sind das somit dann 136 EUR Gesamtkosten.
- Mit einem Leihwagen ist es etwas schwerer zu rechnen, weil es ja im Büro dann herumsteht. Aber nehmen wir einfach mal die Zahlen. Dann haben wir 116 EUR unter der Annahme, dass ich das Auto während meiner Zeit im Büro zurückgeben kann.
- Mit dem Deutschlandticket sind es dann 49 EUR.
- Und mit Einzelfahrscheinen habe ich 5,43 EUR pro Strecke, also 43 EUR. Das ist auch die Option, die ich aktuell nutze. Insbesondere wenn ich mal eine Woche nicht fahre, spare ich auch das Geld.
In diesem Beispiel hat das eigene Auto also die höchsten Gesamtkosten, obwohl die Grenzkosten niedriger sind als beim Car-Sharing und bei den Einzelfahrscheinen. Und genau das ist der Knackpunkt. Die Gesamtkosten sind das, was man sich in der Rückschau anschauen kann um zu evaluieren, ob man ein Auto anschafft oder es wieder abschafft, ein ÖPNV-Ticket im Abo holt oder das Abo kündigt. Es ist aber nichts, was man bei der Abwägung zu einer einzelnen Fahrt betrachtet. Da sind nur die Grenzkosten interessant.
In meinem Beispiel ist es aber auch eigentlich anders. Das Auto ist ja hier und kostet. Und somit habe ich effektiv die 103 EUR Fixkosten für das Auto und dann noch die 43 EUR für die Einzelfahrscheine. Und dann bin ich bei 146 EUR. Ich würde also ein bisschen Geld sparen, wenn ich das vorhandene Auto nutze und zur Arbeit fahre, anstelle das Auto stehenzulassen und die Bahn zu nutzen. Das ist schlicht der Unterschied in den Grenzkosten von 0,11 EUR/km beim Auto und 0,14 EUR/km bei den Einzelfahrscheinen.
Selbst wenn ich mir jetzt das Deutschlandticket hole, zahle ich 49 EUR weitere Fixkosten. Somit wäre ich dann sogar bei 152 EUR nur an Fixkosten. Dafür wären Bahnfahrten ins Büro ohne Grenzkosten und der Nahverkehr ist hier die offensichtlich günstigere Lösung. Fahre ich trotz vorhandenem Deutschlandticket mit dem Auto ins Büro bin ich bei 175 EUR, was natürlich keinen Sinn ergibt.
Erst wenn ich das Auto abschaffen würde, könnte ich mit den Kosten auf unter 50 EUR/Monat kommen.
Fazit
Plant man die Mobilität für sich langfristiger, so sollte man die Gesamtkosten betrachten. Dabei kann der ÖPNV recht locker finanziell attraktiver sein. Sobald man allerdings das Auto aus irgendwelchen Gründen braucht, wie ich in unserem Fall dargestellt hatte, dann spielen die reinen Kosten gar nicht mehr so die Entscheidung das Auto zu behalten. So war das bei uns. Wir hatten ÖPNV-Abo und Fahrrad, sodass zusätzliche Fahrten eigentlich keine Grenzkosten hatten. Das Auto haben wir nicht wegen sondern trotz der Kostenrechnung angeschafft. Bei anderen Personen mag das ähnlich sein.
Sobald das Auto da ist, braucht man nicht mehr weiter über die Fixkosten zu diskutieren. Überlegt man einzelne Strecken mit dem Bus zu fahren, betrachtet man die Grenzkosten. Und hier wird immer das Auto gewinnen. »Mal den Bus nehmen« wird also nicht wirklich überzeugen können. Daher fordern viele Leute den fahrscheinlosen Nahverkehr, sodass die Gesamtkosten Null sind und auch die Grenzkosten entsprechend Null sind. Dann würden die Leute auch mal auf den Bus umsteigen. Das ganze ist anscheinend aber nicht so recht finanzierbar. Das 9-EUR-Ticket war in diesem Sinne gut. Es hat den Leuten mal den Geschmack von verschwindenen Grenzkosten im Nahverkehr gegeben, Leute haben es mal ausprobiert und waren nicht von den Grenzkosten verschreckt.
Die Frage ist, was man daraus jetzt ableitet. Die wenigsten werden ihr Auto komplett abschaffen können oder wollen. Und nun muss man sich fragen, wie man Leute davon überzeugen kann, mal das Auto stehen zu lassen. Man muss also damit leben, dass das Auto einfach geringere Grenzkosten hat, als die Einzelfahrscheine für den Nahverkehr. Wenn Leute aber sehr viele Kilometer mit dem Auto fahren, dann kann man sie vielleicht mit der Gesamtkostenrechnung mit dem Deutschlandticket überzeugen. Dazu muss man aber letztlich die Bereitschaft wecken können, viele Fahrten mit dem ÖPNV zu machen. Und das ist schwer, weil Autofahren eben nicht nur rationale Kosten sind, sondern auch mit Emotion, Komfort und zeitlicher Unabhängigkeit verknüpft ist.