Für jede Teilstrecke eine andere App
Auf die Live-Daten im DB Navigator kann man sich nicht verlassen, wenn das Verkehrsmittel von den Stadtwerken Bonn betrieben wird. Von einem Versuch mit der Bahn zu fahren.
An einem Samstag war ich mit einem Freund zu einem Ertüchtigungsmarsch verabredet. Als Verfügungsraum haben wir etwas auf halber Strecke zwischen unseren Wohnorten gewählt, das war dann die Heide bei Köln-Dellbrück. Da es dort auch eine S-Bahn-Station gibt, kann man ja wunderbar die Bahn als Verbringungsmittel nutzen.
Ich habe also mein mobiles Endgerät genommen und über die mobile Datenfernübertragungsverbindung in der App DB Navigator geschaut, welche Verbindung es da so gibt. Wunderbar: Straßenbahn 66 bis nach Siegburg, Regionalexpress bis Köln Messe/Deutz und dann mit der S-Bahn nach Dellbrück. Es sollte auch alles pünktlich kommen.
Also habe ich mir Schuhe angezogen und rechtzeitig zur Bahnhaltestelle verlegt. Dort angekommen musste ich jedoch feststellen, dass die Bahn ausfällt. Anstelle von 11 Minuten Wartezeit, waren es dann 41 Minuten:
Huch? In der App steht die Bahn weiterhin als pünktlich. Es ist dort ebenfalls eine grün Hinterlegte Uhrzeit angegeben, das signalisiert Echtzeitdaten:
So, wie haben hier also angeblich Echtzeitdaten aus der Telematik der Stadtwerke Bonn, die ist nur inkonsistent. Es scheint schon sehr schwer zu sein diese Daten überall gleichzeitig zur Verfügung zu stellen.
Bevor mir jetzt jemand erzählen will, dass das alles so schwer ist: Ich arbeite bei einer Firma als Softwareentwickler und programmiere dort das Backend für Echtzeitanwendungen, die pro Tag von mehr Leuten genutzt wird, als Leute in und um Bonn wohnen. Ich weiß, was es bedeutet, in unter einer Sekunde eine Antwort erzeugen zu müssen. Technisch sind solche Probleme lösbar.
Ich bin dann wieder bis nach Hause gelaufen und habe halt das Auto genommen, um pünktlich dort zu sein. Wie gut, dass ich mit dem Auto auch nur ein drittel der Zeit brauchte und die Zeit locker wieder reinholen konnte. Je nach Rechnung war es allerdings teurer. Auf der Strecke von 30 km habe ich reine Grenzkosten von 3,30 EUR und liege somit unter dem Einzelfahrschein von 6,11 EUR. Wenn man jetzt alle Anschaffungskosten mit einbezieht, dann sind es vielleicht 15 EUR für die Strecke und somit teurer. Letztlich ist es auch egal, die Bahn kam ja nicht!
Genau wegen solcher Aktionen löse ich die Fahrscheine auch immer erst dann, wenn ich die Bahn einfahren sehe. Sonst hätte ich jetzt 6,11 EUR bezahlt, hätte aber noch den Sprit oben drauf bezahlen müssen. Diesen Vertrauensvorschuss hat der Nahverkehr bei mir verspielt.
Beschwerde
Später habe ich mich mal bei den Stadtwerken beschwert:
E-Mail an vm-verbesserungsmanagement@stadtwerke-bonn.de:
Sehr geehrte Damen und Herren,
dass Bahnen oder Busse ausfallen gehört wohl einfach dazu. Aufgrund der dünnen Personaldecke führen Personalausfälle direkt zu Verbindungsausfällen. Dafür habe ich soweit Verständnis.
Wofür ich allerdings gar kein Verständnis habe, sind nicht angekündigte Ausfälle. So habe ich in der App DB Navigator nach einer Verbindung geschaut und eine 66 ab Hangelar-Mitte nach Siegburg um 9:55 Uhr gefunden. Siehe Bildschirmfoto der App. Angeblich sogar nicht Echtzeitdaten und pünktlich.
Ich bin die 15 Minuten zur Station gelaufen um dort zu sehen, dass die nächste Bahn erst eine halbe Stunde später kommen soll. Die um 9:55 Uhr fiel also aus. Ich bin dann wieder nach Hause gelaufen und habe das Auto genommen. Glücklicherweise bin ich derartige Ereignisse gewohnt und löse den Fahrschein erst, wenn ich das Fahrzeug einfahren sehe.
Wieso ist es so schwer in allen Apps und Anzeigen konsistent anzuzeigen, ob und wann eine Bahn kommt? So kann ich nicht planen.
Ich fahre lieber Bahn als Auto, dort kann ich lesen, habe keinen Stau, es ist besser für die Umwelt. Aber so vergeht mit echt die Lust und der Wille. Gerade im Vergleich zu Dänemark, Niederlande und China zeigt mir, dass es grundsätzlich möglich ist.
Ich wünsche mir, dass der Bereich Telematik zuverlässiger funktionieren würde.
Mit freundlichen Grüßen
Martin Ueding
Als Antwort bekam ich etwas, was gar nicht auf meine Botschaft eingegangen ist:
Aufgrund einer hohen Anzahl von personellen Ausfällen können zum aktuellen Zeitpunkt nicht alle Fahrten nach Fahrplan bedient werden. Wir sind dauerhaft bemüht die Ausfälle zu verringern und bestmöglichen Service anzubieten. Zudem kann es auf der stark frequentierten Linie 66 immer zu unvorhersehbaren betrieblichen Einschränkungen oder Störungen kommen.
Das war aber gar nicht meine Beschwerde. Ich verstehe ja, dass es zu Ausfällen kommen kann. Was ich aber nicht verstehe ist, warum diese Ausfälle nicht in der App DB Navigator zu erkennen sind. Warum sagt mir der DB Navigator, dass die Bahn pünktlich kommt, die Anzeige an der Haltestelle zeigt aber einen Ausfall an? Das ist nicht durch mangelnde Fahrer zu erklären, das ist ein reines IT-Problem. Darum geht es mir.
Darauf bekam ich dann auch noch eine Antwort:
die Live-Daten der SWB Fahrzeuge werden an eine Datendrehscheibe beim VRS gesendet. Der VRS sendet diese Daten an externe Stellen, wie z.B. den DB Navigator.
Ihre Fahrt mit der Linie 66 war ursprünglich normal im Fahrplan. In Königswinter musste die Fahrt jedoch beendet werden, da sich eine Türstörung nicht reparieren ließ. Durch die Verzögerung entstand die Anzeige, Bahn kommt in 41 Minuten.
Später musste der Fahrer die Bahn jedoch leeren und in den Betriebshof einfahren. Fahrgäste dürfen dabei nicht befördert werden. Die Fahrt wurde anschließend aus dem System genommen. Die Übertragung dieser Daten an die DB dauert jedoch eine unbestimmte Zeit. Daher konnte der DB Navigator diesen Ausfall, zum Zeitpunkt Ihrer Abfrage, nicht anzeigen.
Also mal wieder ein Türproblem bei den Staßenbahnen. Irgendwie haben wie im »aus alt mach neu« wohl nicht hinreichend Liebe in diese Türen gesteckt. Kann passieren. Immerhin sind neue Bahnen bestellt. Vielleicht kommen die noch in diesem Jahrzehnt.
Die Daten werden also von der den Stadtwerken (SWB) zum Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS) geschickt, und von dort zur Deutschen Bahn (DB). Und das ist wohl alles »best effort« und geht halt schon mal schief. Die Bahn war auch noch 15 Minuten später pünktlich im DB Navigator. Dieser erinnerte mich brav an meinen Umstieg in Siegburg.
Der Vorschlag war dann die Bonn Mobil App zu nutzen. Die würde die Daten also früher bekommen. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Ich soll also für die Straßenbahn in Bonn die App der SWB nutzen. Für die S-Bahn kann ich die App von VRS oder DB nutzen. Ich brauche also für jede Stadt und jeden Verkehrsverbund eine eigene App, damit ich auch wirklich die aktuellen Daten bekommen.
Ich würde ja wirklich gerne den ÖPNV nutzen. Aber dieser ÖPNV kann mich mal langsam. Der größte Vorteil meines Fahrrades und meines Autos ist die komplette Unabhängigkeit von diesem Regionalproporz, Fürstentümerei und Föderalismus, der den ÖPNV geißelt. Mit dem Auto kann ich ganz frei zwischen Stadt-, Kreis-, Land-, Bundesstraßen und Autobahnen wechseln ohne irgendwas umstellen zu müssen. Google Maps und OsmAnd navigieren mich unterbrechungsfrei durch. Ich muss nicht aussteigen, keine andere App nutzen, keinen Fahrschein für die nächste Tarifzone lösen.
In den Niederlanden kann man mit der »OV Chipkaart« einfach irgendwo einchecken und irgendwo auschecken. Das System überlegt sich dann schon, welche Strecke ich gefahren bin. Und es überlegt sich am Monatsende, welches Tarifkonstrukt für mich das beste gewesen wäre (Günstigerprüfung). Ist man nur wenig gefahren, werden Einzelscheine abgerechnet. Ist man viel gefahren, bekommt man den gedeckelten Monatstarif. Super einfach. Zu einfach für Deutschland.
Mobilitätsgarantie
Dann ging es noch zum Thema Mobilitätsgarantie:
Die Alternative, die SWB Bus und Bahn Ihnen aktuell anbieten kann ist die Ersatzbeförderung mittels eines Taxi oder Sharing-Angebot (E-Scooter) und die Inanspruchnahme der Mobilitätsgarantie. Unter Erstattungsantrag - mobil.nrw (www.mobil.nrw) können Sie den entsprechenden Antrag inkl. der Quittung einreichen.
Wenn die BONNmobil App, zu prüfen bereits vor Fahrtantritt, oder eine Anzeigetafel an der Haltestelle den Ausfall oder eine Verspätung von mehr als 20 Minuten anzeigt, können Sie ohne Wartezeit an der Haltestelle ein Taxi nutzen. Tagsüber werden bis zu 30,00 Euro erstattet, nach 21:00 Uhr sogar 60,00 Euro. Anhand der Linie-Live-Funktion in der BONNmobil APP können Sie außerdem das ankommende Fahrzeug Live verfolgen und das eintreffen besser einschätzen.
Das mag auf Kurzstrecken helfen. Am fraglichen Tag wollte ich aber von Hangelar nach Köln-Dellbrück, das sind 30 km. Da hätte ein Taxi 75 EUR gekostet.
Die Mobilitätsgarantie für eine Fahrt bis zum Bahnhof Siegburg hätte in Ihrem Fall gegriffen.
Scherzkeks. Es war 09:43 Uhr, als ich den Ausfall bemerkt hatte. Um 10:14 Uhr hätte ich in Siegburg sein müssen. Diese Strecke von 5,1 km dauert mit dem Auto ungefähr 12 Minuten. Ein bisschen Umstiegszeit brauche ich in Siegburg auch noch, insbesondere hinten vom Parkhaus zu Gleis 1. Dann muss ich noch warten, bis das Taxi überhaupt kommt. Meine Erfahrung mit Taxen sind begrenzt, aber reichen 15 Minuten aus, damit wirklich ein Taxi bei einem ist? Ich glaube auch schon länger gewartet zu haben.
Von daher ist es auch total unklar, ob ich überhaupt den Anschluss in Siegburg mit dem Taxi erreicht hätte. Es hätte also nur noch mehr Unwägbarkeit gegeben. Wie lange hätte ich dann auf das Taxi warten sollen, bis ich doch das eigene Auto genommen hätte? Das Geld für das Taxi hätte ich auch noch vorstrecken müssen.
Fazit
Mit dem Auto war die eigentliche Fahrt viel schneller und zuverlässiger. Ich fand die Autofahrt nervig, lieber hätte ich in der Bahn gelesen. Aber der ÖPNV stellt mir diese Wahl gar nicht wirklich. Aufgrund der Unzuverlässigkeit muss ich dann doch wieder das Auto nehmen. So habe ich mir das mit der Verkehrswende nicht vorgestellt.
Ich bin selbst aber so genervt von dieser Unzuverlässigkeit, dass ich inzwischen schon eine gewisse Routine mit dem Auto habe. Und da wird es wirklich kritisch, weil mein erster Impuls eben nicht mehr die Bahn ist. Ich spüre, wie ich so langsam von der Bahn Richtung Auto komme. Und wenn ich mich da erstmal eingerichtet hat, wird sich das weiter verstärken. Das ist ein Prozess, den schon viele weniger ideologisch motivierte Leute längst abgeschlossen haben. Um die (wieder) zur Bahn zu bekommen, wird die Bahn ein wirklich gutes Angebot machen müssen. Das wird sie aber nicht können, so marode wie das System ist. Von daher nehme ich den Leuten das inzwischen gar nicht mehr krumm, dass sie einfach mit dem Auto fahren. Was wäre denn auch die Alternative, die jeder einzelne hätte?