Führen des Doktorgrades

Ich erinnere mich noch an die Einschulung an der weiterführenden Schule, da stand auf der Telefonliste der Klasse bei erstaunlich vielen Eltern ein »Dr.« vor dem Namen. Ich war ziemlich beeindruckt von den Eltern mit »Doktortitel«. Gerade frisch in der fünften Klasse war ich davon noch ziemlich weit entfernt, jedoch kam mir das schon erstrebenswert vor. Mit diesem »Titel« hätte man überall automatisch einen guten Stand.

In den Jahren danach nahm ich immer wieder wahr, wie Leute so unterwürfig ehrfürchtig gegenüber Doktoren aufgetreten sind. Sie haben teilweise anderen Leuten den »Doktortitel« nachgetragen. Ich lernte auch die ersten Doktoren kennen und stellte fest, dass das meist ganz normale Leute sind. Manche schweben da ein wenig arrogant umher, anderen schien der »Titel« schon fast peinlich zu sein. Zum Abitur hin hatte eine Lehrerin promoviert. Sie hatte damals als E-Mail-Adresse vorname.nachname@anbieter.de. Nach der Promotion war es dann dr.nachname@anbieter.de. Ich konnte das irgendwie verstehen, aber es wirkte auf mich auch ein bisschen peinlich. Hat sie das wirklich nötig?

Vor fünf Jahren habe ich selbst mit der Promotion angefangen. Mir war klar, dass ich den »Doktortitel« nicht als identitätsstiftendes Merkmal nutzen wollen werde. Ich hatte noch Interesse an der Physik und wollte noch ein bisschen an der Uni bleiben. Die Forschung hat mich motiviert, und der Abschluss und die besseren Berufsaussichten haben mich dann so entscheiden lassen.

Vor zwei Jahren habe ich meine Doktorarbeit verteidigt. Es war der Abschluss von drei Jahren Promotion. Es fühlte sich gut an, endlich fertig zu sein. Und nachdem ich die Verteidigung bestanden hatte, musste ich noch ein wenig warten, bis ich die Urkunde zugestellt bekam. Als ich sie dann hatte, wollte ich das »Dr.« dann ein bisschen nutzen, um für mich diesen Abschluss zu markieren. Wegen Corona-Schutzmaßnahmen gab es keinerlei Abschlussfeier. Es gab nur die Verteidigung per Videokonferenz. Die Urkunde bekam ich per Einschreiben von unserem Zusteller überreicht. Es gab keinerlei Zeremonie oder so, es hatte den Charme eines Verwaltungsaktes. Ich habe meinen Namen bei Xing und LinkedIn ergänzt, es in meinen Lebenslauf eingetragen, als Absendernamen bei meinen E-Mails genutzt. Es tat ein bisschen gut, aber es war mich gleichzeitig auch etwas peinlich.

Als Teil der Promotion erfährt man nämlich auch noch mehr über den »Doktortitel«, der nämlich gar kein Titel ist. Daher auch die Anführungszeichen um das Wort. Es ist ein akademischer Grad, zu dem auf Wikipedia steht:

Ein akademischer Grad gilt nicht als Namensbestandteil, daher entsteht auch kein allgemeingültiges Anrecht darauf, mit einem akademischen Grad angesprochen zu werden.

Ich darf mich so nennen, aber niemand anderes muss mich so nennen. Es ist etwas, das in unserer Gesellschaft so etabliert ist. Manche Doktor*innen fühlen sich verletzt, wenn man sie nicht so anspricht. Gerade bei Ärzt*innen ist der Doktorgrad auch etablierter Namensbestandteil, wobei deren Doktorarbeiten nicht direkt mit denen aus anderen Fachbereichen vergleichbar ist. Es gibt einzelne Ärzt*innen mit »Dr. rer. nat.«, das ist eine andere Größenordnung als der »Dr. med.«.

In anderen Ländern gibt es das gar nicht, in den USA wird einfach »PhD« oder »MD« an den Namen gehängt, das ist ein bisschen wie das »Dipl.-Ing.«, das man früher hatte. Nach Wegfall der Adelstitel in Österreich haben die Leute dort allerdings etwas neues gebraucht, und so haben die eben diese akademischen Grade ziemlich ausgeschlachtet. Deutschland scheint nicht so extrem zu sein wie Österreich, aber man gibt sich hier schon ein Ansehen mit so einem »Titel«, der gar kein Titel ist.

Leserbriefe in der Lokalzeitung sind teilweise signiert mit Doktorgrad. Und ich fand es früher auch beeindruckend, wenn da so ein hoher gebildeter Akademiker etwas schreibt. Inzwischen denke ich mir, dass das schon eine Leistung ist, aber keine unvergleichlich hohe Leistung. Es sind drei Jahre Berufserfahrung in der Forschung, und man hat ein Projekt fertig bekommen. Das schaffen andere Leute in der freien Wirtschaft auch. Sind die jetzt weniger wert, weil es nicht an einer Uni war? Und so kommt es mir inzwischen eher peinlich vor, wenn Leute den Doktorgrad im Namen führen. Es wurde mir selbst auch peinlich, hatte ich das wirklich nötig?

Nun sind zwei Jahre vergangen. Ich sehe es inzwischen relativ nüchtern: Es ist kein Teil des Namens, kein Titel. Es ist ein akademischer Grad. Ich habe mir auch nicht »M.Sc.« irgendwohin geschrieben, das ist nicht Teil meines Namens. Dann sprechen sich Doktoren innerhalb der Physik auch nicht damit an, das wird einfach weggelassen. Außerhalb der Physik hat meine Promotion eigentlich keine fachliche Relevanz, von daher muss ich den auch nicht anführen. In meinem Team haben geschätzt die Hälfte der Personen promoviert, niemand hat es irgendwo im Namen drin.

Ich habe mir auch keinen neuen Personalausweis mit »Dr.« machen lassen. Entsprechend konnte ich den auch an diversen Stellen nicht eintragen lassen. Bei Xing und LinkedIn habe ich den jetzt wieder entfernt. Und auch bei den E-Mails nutze ich den jetzt auch nicht mehr. In manchen Kontexten mag es mich seriöser erscheinen lassen, aber in anderen mag es auch peinlich wirken. Von daher lasse ich den meist weg und versuche in der Sache zu überzeugen. Als ich die Stadt Bonn verklagt hatte, nahm ich den allerdings noch gerne dazu.

Bei anderen Leuten lasse ich das teilweise auch einfach weg. Bisher hat sich da noch niemand gestört. Und falls irgendwann mal einer darauf besteht, könnte ich dann auch darauf bestehen. Glücklicherweise kam es noch nie dazu, der »Doktortitel« scheint ähnlich wie die Krawatte einfach langsam zu verschwinden. Und inzwischen wäre ich auch nicht mehr traurig darum.