FDP und Parkraumbewirtschaftung

In Bonn wird gerade heiß über Parkraumbewirtschaftung diskutiert. Aktuell gibt es in vielen Teilen der Stadt gar keine Parkraumbewirtschaftung, man kann dort einfach parken. Und man kann sogar häufig illegal, aber geduldet, auf dem Gehweg parken; siehe beispielhaft die Max-Bruch-Straße. Kostenlose Parkplätze werden als normal wahrgenommen. Die Stadt hat im Straßenraum allerdings nur endlichen Platz, und dieser muss verteilt werden. Es ist ein ganz klassisches Ressourcenverteilungsproblem, wie beim Wohnungsmarkt, Luxusgütern und Freizeitangeboten.

Nun kann man durchaus verschiedene Ansichten und Wertvorstellungen zur Verteilung von Ressourcen haben. So bin ich für eine soziale Marktwirtschaft, in der niemand unwürdig tief fallen kann. Allerdings soll es schon Anreize geben, zu arbeiten. Dies muss mit Unterstützungen wie elternunabhängigem BAföG ermöglicht werden. Darüber hinaus soll man aber schon motiviert sein zu arbeiten. Ein anderer Standpunkt wäre der radikale Markt, in dem arbeitslos sein richtig bitter ist. Und in dem sich der Staat nicht einmischen soll. Das ist auch ein legitimer Standpunkt, der im politischen Spektrum vertreten werden muss. Aber man sollte ich um eine konsistente Position bemühen.

Bei der FDP Bonn scheint mir das gerade nicht der Fall zu sein. Die haben folgenden Flyer an diverse Autos gehängt:

Das ganze wirkt auf mich sehr inkonsistent. Ich werde da durch die einzelnen Absätze durchgehen.

Der Flyer beginnt mit Angstmache:

Ihre Straße wird von einer massiven Parkraumbewirtschaftung betroffen sein.

Das ist ein klar negatives Framing. Ich würde das ja positiv formulieren, weil ich die Maßnahme gut finde. Warum wird Parkraumbewirtschaftung denn überhaupt diskutiert? In der Diskussion hört man häufig das Wort »Parkdruck«. Die beste Definition davon ist das Auslastungsverhältnis der verfügbaren Parkplätzen. Die konreten Zahlen sind unterschiedlich, aber ab 80 % Auslastung (in irgendeinem Mittel) sprechen viele von »hohem Parkdruck«. Bei einer derartigen Auslastung kann es immer wieder vorkommen, dass schon alle Parkplätze belegt sind. Und dann fahren Autofahrer*innen immer wieder um den Block, bis sie einen freien Parkplatz gefunden haben.

Wir haben also im Kern ein Problem mit der Ressourcenverteilung: Es gibt zu viele Autos für die vorhanden Parkplätze. Und es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie man das angehen kann.

  • Man könnte die Anzahl der Autos begrenzen. Wer ein Auto zulassen möchte, muss einen Stellplatz nachweisen.
  • Die Gesamtanzahl in Bonn zugelassener Autos wird begrenzt. Irgendwer muss sein Auto abmelden, bis man das eigene anmelden kann. Vielleicht gibt es noch eine Lotterie, damit es fair abläuft.
  • Es werden mehr Parkplätze geschaffen. Dann müsste man sich aber überlegen, welche Flächen man dafür verwendet.
  • Es werden Häuser abgerissen und durch Parkhäuser ersetzt.

Das sind alles ziemlich krasse Eingriffe, die zu großen Diskussionen führen würden. Auf welche Obergrenze werden die zugelassenen KFZ begrenzt? Was ist mit Handwerkern? Firmenwagen (Post, DHL), die effektiv in anderen Städten stehen? Wer entscheidet, welches Haus für ein Parkhaus abgerissen wird?

Für die Verteilung von Ressourcen haben wir einen Markt. Nicht jeder kann in der Innenstadt wohnen, viele wollen das aber. Die Mieten in der Innenstadt steigen so lange, wie es noch Leute gibt, denen das mehr wert ist, als den anderen. Aber irgendwann sind die Mieten so teuer, dass eine günstigere Wohnung am Stadtrand auch ganz okay wirkt. Und somit ziehen andere Leute dann an den Stadtrand. Eine Deckelung der Mieten ist ein politisch linkes Thema, das von der anderen Seite als »Marktverzerrung« verteufelt wird. Der Markt soll ganz frei die Preise festlegen, somit würden die Ressourcen am fairsten verteilt.

Warum das bei Parkplätzen nicht auch der Fall sein soll, ist mir vollkommen unverständlich. Die FDP malt einen Teufel an die Wand:

Die GrünRotRote Bonner Koalition plant für große Teile des Bonner Stadtgebietes, zu denen auch diese Straße zählt, eine Parkraumbewirtschaftung.

Das bedeutet:

  • Diese Straße wird zu einer Bewohnerparkzone.
  • Der Preis für einen Bewohnerausweis von aktuel 30,70 EUR [pro Jahr] soll erheblich steigen. Im Gespräch ist eine Erhöhrung auf bis zu 600 EUR.
  • Kostenfreie Parkplätze (für Anwohner und Besucher) stehen in Zukunft nicht mehr zur Verfügung. 50 % der Parkplätze sollen allein Bewohnern mit Bewohnerausweis zur Verfügung stehen.
  • Auf den verbleibenden Stellplätzen soll eine Bewirtschaftung mittels Parkscheinautomaten erfolgen.

Schaut man in aktuelle Angebote für Mietswohnungen, so ist dort nicht selten ein KFZ-Stellplatz für 50 bis 100 EUR/Monat in den Nebenkosten enthalten. Das sind also 600 bis 1200 EUR/Jahr. Fairerweise bekommt man dann einen exklusiven und festen Parkplatz. Bei den Bewohnerparkplätzen werden hoffentlich nicht mehr Bewohnerausweise ausgegeben, als es Parkplätze gibt. Jedoch können zum Beispiel auch Gäste den privaten Stellplatz nutzen. Allerdings kann man sich entscheiden, ob man auf den Bewohnerparkausweis verzichtet, wenn man kein Auto hat. Bei vielen Wohnungen muss man den Stellplatz mieten, auch wenn man kein Auto hat. Die Tiefgaragen, die wegen Stellplatzschlüssel gebaut werden mussten, müssen eben auch finanziert werden.

Anwohner*innen klagen angeblich häufig über mangelnde Parkmöglichkeiten in Wohnungsnähe. Daher müsste es doch eigentlich etwas positives sein, wenn durch Bewohnerparkausweise die Stellplätze für die Anwohner*innen reserviert werden. Durch den Ausweis kann man sich dann einen Stellplatz sichern und spart sich so die Parkplatzsuche. Wenn die restlichen Parkplätze mittels Parkscheinautomaten bewirtschaftet werden, so kann man dort wahrscheinlich auch einfacher einen Parkplatz finden. Auch das klingt gut.

Erschwert wird das Lagern von selten genutzten Autos, oder mehreren Autos. Durch die Ergebung von Parkgebühren wird sich die individuelle Kosten-Nutzen-Rechnung verändern. Eventuell lohnt sich ein Jobticket plötzlich gegenüber den Kosten von Auto und Parkplatz. Genau diese Abwägungen sind aber das, wie der Markt wirkt. Nicht mehr jeder kann oder will sich das Produkt leisten, und lässt es. Sich etwas nicht leisten können ist fundamentales Element im Markt, ansonsten würde die begrenzte Verteilung von Ressourcen nicht funktionieren.

Zudem nehme ich aus Richtung der FDP (und CDU) immer wahr, dass die Stadt sich nicht sinnvoll finanzieren würde. Sie würde sich von Investoren ausnehmen lassen (World Congress Center Bonn, Urban Soul) oder sich andere Kostengräber anlachen (Beethovenhalle, Oper). Nun hat die Stadt eine Stelle gefunden, um entsprechend Gebühren zu erheben, und dann ist es auch wieder nicht okay.

Ich würde die FDP gerne als Partei wahrnehmen, die Bürgerrechte und individuelle Verantwortung im Mittelpunkt hat. Der Staat solle sich nur um das nötigste kümmern (z.B. Arbeitslosengeld 2), der Rest soll aber privat organisiert werden. Krankenversicherung, Altersvorsorge? Bitte privatwirtschaftlich durch Versicherungskonzerne. Dazu soll auch der Bürger vor staatlichen Eingriffen geschützt werden. Zum Beispiel wäre diese idealisierte FDP gegen Vorratsdatenspeicherung, gegen Biometrie im Personalausweis, und so weiter. Das wäre etwas, das ich zwar selbst nicht haben wollte, aber als eine konsistente Position wahrnehmen würde. Und dann würde bei der Mobilität eben auch eine Vollkostenrechnung für alle Verkehrsmittel dazugehören. Beim Auto muss man alle unmittelbaren Kosten (Anschaffung, Versicherung, Treibstoff), direkten Kosten (Autobahnbau, Parkplätze), aber auch indirekten Kosten (Lärm, Umweltverschmutzung, Zersiedelung) bezahlen. Wenn man das zusammenrechnet, dann wird Autofahren plötzlich absurd teuer. Mit dem Fahrrad würde man ebenfalls für die Errichtung von Radwegen bezahlen, und irgendwie auch jeder für Gehwege. Parkplätze werden für den ortsüblichen Mietpreis vermietet. Bei einem Mietspiegel von 10 EUR/m²/Monat kostet ein 10 m² Stellplatz dann eben 100 EUR/Monat. Diesen Platz kann aber auch jemand mit einem Crêpes-Stand mieten, oder ein Café für Sitzplätze. Der Markt würde die Fläche jener Verwendung zuführen, die am lukrativsten ist.

Die reale FDP in Bonn scheint so aber nicht zu denken. Sie erfüllt eher das Klischee der »Besserverdienerpartei« oder der »Steuersenkungspartei«. Es geht nur darum, dem eigenen Klientel irgendwie einen Vorteil zuzuschustern. Und entsprechend schreiben sie dann auch auf ihrem Flyer:

Wir, die FDP Bonn, sind strikt gegen diese Pläne. Natürlich sind wir uns der Herausforderungen des Klimawandels bewusst und wissen, dass auch vor Ort Maßnahmen nötig sind.

Man spürt schon das »aber«, das als nächstes kommt. Und es war doch die FDP, die gegen den Klimawandel vor allem auf den Markt setzt. So sollte CO₂-Ausstoß nicht einfach per Planwirtschaft zugeteilt werden, vielmehr sollten CO₂-Zertifikate auf einem Markt gehandelt werden. Und damit steigt der Preis der Emissionsrechte und führt zu Innovationsdruck. Wenn die Tonne CO₂ irgendwann nicht mehr 60, sondern 10.000 EUR kostet, dann lohnen sich gewisse Industrien einfach nicht mehr. Und dann lohnt es zum Beispiel das Stahlwerk von Kohle auf grünen Wasserstoff umzustellen. Genau das möchte die FDP.

Ich las gerade »What Tech Calls Thinking«1, in dem der Stanfordprofessor für vergleichende Literaturwissenschaft die widersprüchliche Philosophie der Tech-Startups im Silicon Valley beschreibt. Dort werden die Kräfte des Marktes verehrt. Und das Konzept der »creative destruction« bedeutet, dass ältere Firmen durch neue Firmen verdrängt werden. Ist ein Konzern wie Blackberry oder Nokia nicht mehr innovativ, so wird er von einer anderen Firma wie Apple verdrängt. Das ist alltäglich auf dem Markt. Verlieren Firmen im Taxigewerbe Geld, so liegt es daran, dass es einfach eine sterbende Branche ist. Verbrennt hingegen Uber viel Geld, so zeugt das nur von der Innovationskraft der Firma. Und das Scheitern von Theranos liegt nur an den Aufsichtsbehörden, die die Vision der Gründerin sabotieren wollten. Ähnlich bizarr wirkt hier die FDP. Da setzt ein links-grüne Stadtrat letztlich die Kräfte des Marktes frei, so wird genau das moniert, weil die Kräfte des Marktes nun in die scheinbar falsche Richtung wirken.

Das »aber« kommt natürlich noch:

Allerdings benachteiligen diese Pläne einseitig die Bonner Bürgerinnen und Bürger, die ihr Auto brauchen und denen oft kein anderer Parkraum zur Verfügung steht.

Wie man bei dem Wegfall von einseitigen Vorteilen für Autofahrer*innen von Benachteiligung sprechen kann, versteht man wohl nur, wenn man eine entsprechend verzerrte Wahrnehmung hat. Das Auto scheint ein Grundbedürfnis zu sein, und das gebührenfreie Parken ein Grundrecht. Denn »kostenlos« ist das Parken nicht, die Stadt trägt die Kosten. Und somit bezahlen alle Bürger der Stadt für die Parkplätze. Es ist eine Umverteilung von unten nach oben, und das mag ich überhaupt nicht. Und sich dann als Opfer darstellen, wenn ein Privileg wegfällt, ist armselig.

Zudem man hinterfragen muss, warum die Bürger*innen ihr Auto überhaupt brauchen. Warum können sie nicht zu Fuß alles erreichen, oder zumindest das meiste? Warum wollen sie nicht mit dem Fahrrad fahren? Warum gibt es kein überzeugendes Angebot im öffentlichen Nahverkehr? Ich weiß um die Gründe, warum man in Bonn ein Auto haben muss, darum haben wir seit kurzem auch eines. Aber ich käme nie auf die Idee kostenlose Parkplätze zu fordern, vielmehr fordere ich eine Verbesserung der anderen Verkehrsmittel. Und das geht nur, wenn diese mehr Fläche bekommen und die Marktverzerrung durch kostenlose Parkplätze aufhört. Daher ist Parkraumbewirtschaftung ein wichtiger Schritt. Und dass den Bürger*innen kein anderer Parkraum zu Verfügung steht, ist doch bitte nicht mein Problem als Steuerzahler? Ich bezahle hier für einen eigenen Stellplatz, auf dem unser Auto steht. Warum soll ich jetzt für andere Leute den Parkplatz bezahlen? Man kauft sich doch auch kein Pony und erwartet, dass die Stadt einem eine Wiese zur Verfügung stellt.

Weiter tun sie so, als würden Parkplätze verschwinden:

Die teilweise jetzt schon angespannte Parkplatzsituation wird durch die Reduzierung von Parkraum noch weiter verschärft. Alternativen werden jedoch keine angeboten.

Wieso wird das weiter verschärft? Die bestehenden Parkplätze werden eins-zu-eins in bewirtschaftete Parkplätze umgewandelt. Es gibt genauso viele Parkplätze wie vorher auch. Es wird aber wahrscheinlich sogar mehr freie Parkplätze geben, weil einige Leute dort nicht mehr Parken werden. Denn, überspitzt gesagt, wird die Parkraumbewirtschaftung den Pöbel von den Parkplätzen vertreiben. Der wird seine Autos irgendwo anderes abstellen müssen, und die Gutverdiener können dann zuverlässig vor ihrer Stadtwohnung einen Parkplatz finden. Das ist doch großartig‽

Dass keine Alternativen angeboten werden, ist auch einfach nur falsch. Man kann dort weiter dort parken, man muss jetzt dafür bezahlen. Somit muss man sein Verhalten überhaupt nicht verändern. Das ist doch großartig. Und in den meisten Stadtteilen, in denen nun der Parkraum bewirtschaftet werden soll, gibt es viel öffentlichen Nahverkehr. Das ist auch eine Alternative.

Am Ende rufen sie noch zu einer Petition auf. Die FDP hat politisch aktuell kein Gewicht, sie ist nicht in der Ratskoalition. Man könnte versuchen ein Bürgerbegehren zu starten. Aber da die Mehrheit der Bonner*innen links-grün gewählt haben, wird sich da möglicherweise keine Mehrheit zu finden. Also versucht man es über eine Petition, damit man sich am Ende noch besser in der Opferrolle darstellen kann.

Ich habe da mit der FDP und ihren Wähler*innen kein Mitleid. Hier wird jetzt der Markt aktiviert, und der Markt wird das Regeln. Die »mehr Markt«-Partei sollte das eigentlich feiern. Anstelle dessen stellen sie von der Öffentlichkeit finanzierte »kostenlose« Parkplätze als »Freiheit« dar, und Parkraumbewirtschaftung als Planwirtschaft/Kommunismus. In Jugendsprech würde man das »lost« nennen.


  1. Adrian Daub. What Tech Calls Thinking: An Inquiry into the Intellectual Bedrock of Silicon Valley (2020)