Exklusiver nicht-nutzungspflichtiger Radweg mit Fußverkehr?

Auf einer Radtour durch den Kreis Euskirchen bin ich an der Meckenheimer Straße (Karte) an dieser wirklich abenteuerlichen Konstruktion entlanggekommen:

Was soll das bedeuten? Wenn man es jetzt nicht genau nimmt, und sehr wohlwollend interpretiert, so ist das einfach nur ein gemeinsamer Geh- und Radweg. Fuß- und Radverkehr sind hier gleichberechtigt. Für so einen Weg erscheint das sinnvoll. Damit gibt es dann auch direkt ein Fahrbahnverbot, sodass auf der Fahrbahn daneben mit dem Auto gepflegt mit 100 km/h gefahren werden kann.

Zumindest sieht das Piktogram auf dem Boden so aus, als sei es ein Zeichen 240 (links im folgenden Bild). Da haben Fuß- und Radverkehr gleiche Rechte. Aber Bodenmarkierungen sind nicht immer alleine gültig, und außerdem ist das ohne den blauen Kreis auch kein offizielles Verkehrszeichen. An dem Schildermast hängt das Zusatzzeichen 1022-10, darüber ist eine Lücke. Eine typische Kombination ist mit dem Zeichen 239 für den Gehweg. Die Kombination ist im folgenden Bild rechts abgebildet. Das erscheint auch plausibel am Mast.

Allerdings hat sich dann der Radverkehr dem Fußverkehr komplett unterzuordnen. Es besteht auch kein Fahrbahnverbot, Radfahrende dürfen weiterhin auf der Fahrbahn fahren. Das hemmt dann den Autofahrspaß mit 100 km/h.

Insgesamt ist das alles ziemlich merkwürdig. Und das, was die Schilder wirklich bedeuten, kann so auch nicht gemeint sein. In den Verwaltungsvorschriften zur StVO steht zu »Zu § 2 Straßenbenutzung durch Fahrzeuge« unter »Freigabe linker Radwege (Radverkehr in Gegenrichtung)« bei laufender Nummer 34 dies:

Auf baulich angelegten Radwegen kann nach sorgfältiger Prüfung die Benutzungspflicht auch für den Radverkehr in Gegenrichtung mit Zeichen 237, 240 oder 241 oder ein Benutzungsrecht durch das Zusatzzeichen „Radverkehr frei" (1022-10) angeordnet werden.

Das ist zwar so kein linker Radweg, aber das Zeichen alleine scheint dann ein nicht-nutzungspflichtiger aber exklusiver Radweg zu bedeuten. Fußverkehr ist dann nicht zugelassen, ein Fahrbahnverbot besteht auch nicht. Das widerspricht dem Piktogramm und mit Sicherheit der Intention.

Noch ein lustiges Detail ist, dass das Schild für die Radroute gar nicht so nah an dem anderen Schild sein darf.

Dies steht in den VwV-StVO bei »Zu den §§ 39 bis 43 Allgemeines über Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen« unter fortlaufender Nummer 45:

Besteht bei Verkehrszeichen an einem Pfosten kein unmittelbarer Bezug, ist dies durch einen Abstand von etwa 10 cm zu verdeutlichen.

Irgendwer hat da richtig Mist gebaut. Oder das Zeichen 239 wurde gestohlen, aber auch dann passt das Piktogramm nicht.

Doch, das soll so!

Nachdem ich meine Verwunderung auf Twitter geteilt habe, bekam ich die Auflösung: Es ist ein gemeinsamer Geh- und Radweg, aber ohne Nutzungspflicht. Siehe zum Beispiel diesen Artikel oder diese Übersicht des ADFC auf Seite 5. Wie ich oben beschrieben habe, gibt es aktuell kein auf ein Schild aufzubringendes Verkehrszeichen, dass einen gemeinsamen Weg gleichberechtigt ohne Nutzungspflicht anordnet. Mit diesem Piktogramm auf dem Boden ist das allerdings möglich. Und diesen Fall haben wir hier.

Das einzelne Zeichen 1022-10 auf dem Mast ist ein bisschen merkwürdig, vielleicht hatte man den Mast schon aufgebaut und wollte dann nur die minimale Änderung machen.

Dies ist eine Variante der Radverkehrsführung, die mir bisher noch nicht untergekommen ist. Ich bin zuerst von einem Fehler ausgegangen, aber das konnte sich glücklicherweise klären. Wahrscheinlich verhalten sich hier alle Leute auch intuitiv richtig. Die meisten (so wie ich) fahren auf dem getrennten Weg, weil sie keine Lust auf den Autoverkehr haben. Und die paar harten Rennradfahrer*innen fahren weiter auf der Fahrbahn, das dürfen sie. Die Frage ist, ob Autofahrende auch verstehen, dass es kein Fahrbahnverbot gibt? Ich muss jedenfalls mal einen Artikel zu den ganzen Formen der Radverkehrsführung machen, es wird unübersichtlich.