»Erst Alternativen Schaffen«

In Diskussionen um die Verkehrswende kommt häufig das Argument, dass zuerst die Alternativen geschaffen werden müssen, bevor der Autoverkehr in irgendeiner Weise benachteiligt werden dürfe. Das manifestiert sich in Tweets von auf dem Land vom Auto abhängigen Bürger*innen, von Lokalpolitiker*innen der CDU, FDP oder dem Bürgerbund Bonn, die ein »Gesamtkonzept« fordern und keine »Experimente« wollen. Anders ausgedrückt soll es nur sogenannte Pull-Maßnahmen, jedoch keine Push-Maßnahmen geben. Das halte ich weder für sinnvoll, noch machbar.

In dieser Forderung steckt vor allem, dass sich für Personen, die aktuell das Auto nutzen, zu keiner Zeit etwas verschlechtern darf. Es darf gerne parallel ein Bus- oder Fahrradnetz ausgebaut werden. Das wird dann aber von jenen Personen nicht genutzt, bis es besser ist, als mit dem Auto zu fahren. Während des Aufbaus der Alternativen darf aber dem Auto kein Platz genommen werden, also keine Fahrstreifen umgewidmet oder Parkplätze entfernt werden. Sobald irgendwann die Alternativen besser sein sollten als das Auto, versprechen diese Personen umzusteigen. Diese Darstellungen sind aufgeladen mit Floskeln wie dass wir »nicht zurück in die Steinzeit fallen« dürften.

Das klingt erstmal überzeugend. Autofahrende müssen nicht leiden, Radfahrende und Busfahrende profitieren von den kontinuierlichen Verbesserungen. Irgendwann ist die Verkehrswende dann da. Niemand war zwischendurch unglücklicher als vorher, am Ende sind alle zufrieden. Klingt nach dem perfekten Wahlversprechen. In einer Welt des grenzenlosen Wachstums gibt es keine Nullsummenspiele. Wenn etwas wächst, so nimmt es den anderen Dingen nichts weg. Jeder kann sich verbessern, ohne dass sich andere verschlechtern. Die Versprechung des Kapitalismus.

Im bestehenden Straßenraum gibt es aber einfach begrenzten Platz. Da kann man sich noch so disruptive Ideen ausdenken, der vorhandene Platz kann nicht erweitert werden. Es ist also ein Nullsummenspiel. Manche Stimmen fordern einen Abriss von Häusern um Platz für mehr Fahrstreifen zu schaffen, die sind glücklicherweise eine sehr kleine Minderheit. Wenn wir also nicht mehr Platz in den gleichen Raum bekommen, so muss der Platz neu verteilt werden.

Mehrfachnutzung

Es gibt noch Ideen, wie man Platz für Fahrrad und Bus schaffen kann, ohne dem Auto Platz zu nehmen. Man pinselt einfach einen Schutzstreifen auf die Fahrbahn. So kann man Rad- und Busverkehr auf der gleichen Fahrspur fahren lassen und nimmt dem Autoverkehr nichts weg. Das klingt erstmal verlockend.

Das hat aber gravierende Nachteile. Zum einen müssen die Autos dann hinter Bussen warten. Das wird ab einer gewissen Menge an Bussen auch als Verschlechterung für das Auto wahrgenommen und damit dann womöglich abgelehnt. Das andere ist aber auch, dass der Busverkehr dann anfällig für Stau wird. Busse verspäten sich zur Hauptverkehrszeit, sind damit selbst bei perfekt passenden Routen nicht schneller als das Auto. Und sobald ein Umstieg oder ein Weg zur Bushaltestelle nötig ist, wird der Bus immer schlechter sein. Solange Busse keine getrennten Fahrstreifen bekommen, können sie das Auto niemals schlagen. Da kann noch so viel ausgebaut werden, es wird nie der Zeitpunkt kommen, an dem besagte Personen umsteigen. Das gilt vor allem in Städten, aber auch auf dem Land. Das eigene Auto wird immer schneller sein, es sei denn die Parkplatzsuche wäre extrem furchtbar. Aber das ist die aufgrund der bisherigen Politik nicht.

Beim Radverkehr sieht es nicht besser aus. Fahrstreifen sind meist zwischen 3,0 und 3,5 m breit. Wird dort ein Schutzstreifen mit Mindestbreite von 1,25 m markiert, so bleibt nicht genug Platz um mit den vorgeschriebenen 1,5 m Abstand zu überholen. Die meisten Autofahrenden wissen auch gar nichts von dieser Regelung, der Schutzstreifen zeigt für sie auch deutlich an, dass dort ein Überholen problemlos möglich ist. Die Radfahrenden werden dann also bedrängt und fühlen sich nicht sicher. Es wird so also wenig Radverkehr geben, weil das Radfahren nicht attraktiv ist. Auch hier werden die Autofahrenden nicht bereitwillig umsteigen, weil das Radfahren durch die restlichen Autofahrenden keinen Spaß macht. An noch engeren Stellen können die Radfahrenden dann nicht mehr überholt werden. Das wird dann die Autofahrenden wieder aufregen, weil ihnen ja Platz genommen worden ist, und sie bei erlaubten Tempo 50 nicht ihre üblichen 55 km/h fahren können.

Wie man es auch dreht und wendet, so sehe ich keine Chance mit Mehrfachnutzung einen so attraktiven Bus- oder Fahrradverkehr zu schaffen, dass die Autofahrenden freiwillig umsteigen.

Minimalinvasive Umverteilung

Da es ohne Umverteilung des Straßenraumes also nicht geht, kann man noch versuchen möglichst minimalinvasiv umzuverteilen. So kann auf einer Hauptstraße, auf der es in jede Richtung mehr als einen Fahrstreifen gibt, ein Fahrstreifen umgewidmet werden. So bleibt ein Fahrstreifen exklusiv fuer den MIV (motorisierter Individualverkehr) vorhanden, der andere Fahrstreifen wird zu einer Umweltspur. Dort fahren dann ausschliesslich Busse und Fahrräder. Dies ist aber keine wirklich zufriedenstellende Lösung. Bus und Radverkehr haben zwei fundamental andere Geschwindigkeitsprofile. Mit dem Fahrrad fährt man zwischen 15 und 30 km/h. Man muss aber nicht an Bushaltestellen stoppen. Der Bus fährt locker 50 km/h, muss aber an jeder Bushaltestelle stoppen. Auf freier Strecke muss der Bus hinter den Radfahrenden warten, bei Haltestellen warten die Fahrradfahrern hinter dem Bus. Insgesamt ziehen sich beide Verkehrsarten so in ihrer Durchschnittsgeschwindigkeit herunter.

Dazu kommt auch, dass dem MIV ein Fahrstreifen genommen worden ist. Der Autoverkehr wird also weniger Kapazität haben, es kommt eher zu Staus. Der MIV-Fahrstreifen wird also komplett dicht belegt sein. Busfahrstreifen sind aber sehr effizient, weil der Bus die Personen bündelt. Bei gleich vielen Personen pro Zeiteinheit wird ein Busfahrstreifen die meiste Zeit leer aussehen. Autofahrende verstehen dieses scheinbare Paradox der Effizienz nicht. Sie werden ihren Fahrstreifen als »Stauspur« bezeichnen und sich bitter darüber beschweren, dass der Busfahrstreifen die meiste Zeit leer ist. Das ein zweispuriger Stau auch nicht besser ist als einspuriger, scheint nicht anzukommen.

Mit diesem Konzept hat man also einen Kompromiss, es ist für alle nicht optimal. Aber es ist ein Anfang. Auf dem Busfahrstreifen kann sich langsam immer mehr Radverkehr ausbilden, und die Busse können manchmal schneller sein als der MIV. Dies kann zum Umsteigen motivieren. Aber es hat dem Auto etwas weggenommen um Platz für den Umweltverbund zu schaffen. Es kommt also nicht ohne Push-Maßnahmen (weniger MIV-Fahrstreifen) aus.

Individuelle Kosten

Wenn wir als Ausgangslage eine Person annehmen, die schon ein Auto hat und damit täglich fährt, so hat jene Person gewisse Fixkosten wie Autokauf oder Leasingraten, Versicherung und Kfz-Steuer. Dann gibt es Kosten, die grob mit der Fahrleistung zusammenhängen, wie Wartungskosten. Inspektionen sind nach Zeit oder Kilometer fällig, Reparaturen nach einer undefinierten Menge Verschleiß. Die pro Kilometer greifbaren Kosten sind lediglich nur Triebstoff, sei es Benzin, Diesel, Erdgas oder Strom. Selbst das wird nicht pro Kilometer berechnet, sondern alle 500 bis 1000 km an der Zapfsäule.

Die Kosten für jede zusätzliche Fahrt sind scheinbar relativ gering. Vergleicht man diese mit einem Einzelfahrschein für den Bus oder Bahn, so schneidet das Auto immer besser ab. Zum Beispiel kostet mich die Strecke ins Büro nach Köln 4,77 EUR. Würde ich die 40 km mit dem Auto fahren, einen Verbrauch von 5 l/100 km bei einem Benzinpreis von 1,60 EUR/l rechnen, so entstehen Grenzkosten in Höhe von 3,20 EUR. Ich brauche außerdem nur ein Drittel der Zeit für die Strecke. Ein klarer Gewinn! Sobald man mehrere Personen mitnimmt, wird die Rechnung nur noch klarer in Richtung Auto gehen.

Diese Betrachtung ist unvollständig, man müsste die Anschaffungskosten für das Auto anteilig reinrechnen. Aber das wäre unter der Annahme, dass man das Auto sonst abschaffen würde. Vielmehr wollten wir aber gerade überlegen, ob jemand mit Auto einmal den Bus ausprobieren würde. Und bei der Rechnung ist es nicht attraktiv. Dass im Busticket die Anschaffungskosten drin sind, eine Monatskarte günstiger wäre, spielt alles keine Rolle. Für eine einzelne Fahrt lohnt es sich nicht. Und so wird man ebenfalls jene Personen nicht in die öffentlichen Verkehrsmittel bekommen. Schon gar nicht mit Gepäck oder Begleitung.

Man könnte den öffentlichen Verkehr gratis anbieten. Dadurch würde die Rechnung mit den Kosten kein Vorteil mehr für das Auto sein. Jedoch bleibt das Problem mit der Zeit und dem Komfort. Die Leute werden es auch im Zweifelsfall weiterhin leisten mit dem Auto zu fahren, schließlich durfte in diesem Szenario der Autoverkehr in keinem Aspekt schlechtergestellt werden.

Attraktiver Ausbau

Um den Umweltverbund attraktiver als das Auto zu machen, reichen Pull-Maßnahmen aufgrund des begrenzten Platzes nicht aus. Dem MIV muss Platz genommen werden, damit der Umweltverbund stark werden kann. Man könnte natürlich künstlich das Auto schlechter stellen, aber das ist zum einen überhaupt nicht nötig, zum anderen politisch vollkommen unhaltbar. Es wird aber gerne unterstellt, dass das das Ziel der Verkehrswende wäre. Nein, ich möchte niemandem Mobilität verwehren, niemanden ohne Auto irgendwo abgehängt zurücklassen. Aber ich möchte die Freiheit haben, auch anders als mit dem Auto sinnvoll mobil sein zu können.

Wir müssen also Platz neu verteilen. Baulich getrennte Radwege, auf denen weder Zufußgehenden gefährdet werden, noch Radfahrende von Autofahrenden bedrängt werden. Dafür braucht es hat nicht so viel Platz. Ein Radweg in beide Richtungen passt akzeptabel auf 3,0 m Breite, das ist nur ein MIV-Fahrstreifen. Die Kapazität ist ungleich höher. Langfristig wird das Autofahren so angenehmer, weil pro Auto mehr Fläche zur Verfügung stehen wird.

Das andere ist dieses Beharren auf ein Gesamtkonzept. Es gibt diesen Spruch, dass Änderungen es nicht unbedingt besser machen, aber das zum Verbessern eben Änderungen nötig sind. Eine Stadt ist ein so komplexes System mit dynamischen Anforderungen, dass schwer eine Person am Zeichenbrett ein Konzept für hunderttausende Personen entwickeln kann. Das kann man analog zur Softwareentwicklung sehen. Dort gibt es das alte Wasserfall-Modell, also super starr erst ein Konzept erstellen, das umsetzen, Handbuch schreiben, an den Kunden ausliefern. Das Modell kann nicht auf sich ändernde Anforderungen eingehen. Die moderne Arbeitsweise ist agil. Man macht kleine Schritte, spricht mit der Person, die die Software nutzt. Woche für Woche setzt man Details um. Dabei prüft man immer, ob der Plan noch sinnvoll ist. Und genauso sind Verkehrsexperimente zu sehen. Man geht schrittweise voran. Ja, es mag Verschlechterungen geben. Aber es besteht auch die Chance, dass es besser werden kann. Und die sollte man zulassen.