Darf ich mein Multitool in der Bahn mitnehmen?

Mir ist unklar, ob ich mein Multitool noch in der Bahn mitnehmen darf. Durch ein paar Tipps über Mastodon und Recherche habe ich Dinge gefunden, eine abschließende Antwort habe ich aber noch nicht.

Bei mir im Rucksack ist meist ein Multitool, ein Leatherman Kick, den ich 2007 in den USA gekauft hatte. Das ist ein Taschenmesser mit ungefähr 6 cm langer Klinge und noch diversen weiteren Werkzeugen wie Schraubendreher, Dosenöffner und der Zange mit Seitenschneider. So sieht das Teil aus:

Sicherheitspaket der Bundesregierung

Nach dem mit einem Messer verübten Attentat in Solingen wurde ein »Sicherheitspaket« beschlossen, das diverse Dinge noch strenger fasst. Das Waffenrecht schränkte den Umgang mit Messern vorher schon ein, jetzt sind die Einschränkungen noch deutlich verschärft worden. Im öffentlichen Verkehr haben wir jetzt ein »Messerverbot«. Dann sind wohl alle Messer verboten. Es gibt aber auf Weihnachtsmärkten ein »absolutes Messerverbot«. Äh, was ist denn die Steigerung von »Verbot«? Wenn es ein »absolutes Messerverbot« gibt, ist das »Messerverbot« in der Bahn dann irgendwie ein »eingeschränktes Messerverbot«?

Bei rechtlichen Feinheiten fühle ich mich schnell überfordert. Jurist:innen wissen, was wo stehen müsste und können auch aus der Abwesenheit von Dingen Informationen herausziehen. Ich brauche das leider immer ganz explizit um es wirklich zu verstehen. Vor allem, wenn Fehler dann fünfstellige Geldstrafen oder gar Vorstrafen mit sich ziehen. Da möchte ich mich dann doch richtig verhalten.

Recherche

Die Recherche nach dem, was jetzt gilt, gestaltet sich erstaunlich schwierig. Meine erste Anlaufstelle ist die Tagesschau. Die haben sogar eine Themenseite »Messerverbot«. Auf der finden sich allerdings nur Artikel, die irgendwelche Absichtserklärungen oder Forderungen von Politiker:innen oder Partien einordnen. Schön, aber was gilt denn jetzt nun?

Mein Versuch dazu eine sinnvolle Seite zu finden, ist auch beim ersten Anlauf gescheitert:

Da gibt es in Hamburg und in Schleswig-Holstein regionale Verbote. Ist das jetzt wirklich wieder föderal organisiert? Okay, aber wie ist das in NRW?

Für NRW habe ich diesen WDR-Artikel gefunden:

In den betroffenen Bahnhöfen sind zu den genannten Zeiten bis in die Nacht zu Heiligabend somit alle gefährlichen Gegenstände verboten, auch wenn sie nicht unter das Waffengesetz fallen. Als Beispiele nennt die Bundespolizei Hieb- und Stoßwaffen wie Beile sowie Messer und auch Luftpistolen.

Okay, also wäre ein Multitool auch verboten?

Darüber hinaus verschärfen sich die Regeln auf Weihnachtsmärkten. Denn nach einer Gesetzesänderung im Zuge eines Maßnahmenpaketes zur Sicherheit der Bundesregierung sind auf öffentlichen Veranstaltungen Messer jeglicher Art verboten.

Also auf dem Weihnachtsmarkt dann bestimmt verboten. Aber auch schon in der Bahn?

Fragen auf Mastodon

Dann habe ich auf Mastodon gefragt. Dort kam zum einen der Verweis auf die Verordnung über das Verbot des Führens von Waffen (Waffenverbotszonenverordnung – WVZ VO). Dort steht unter § 1 Absatz 1:

Innerhalb der in der Anlage bestimmten Gebiete und angegebenen Zeiten ist das Führen von Waffen im Sinne des § 1 Absatz 2 des Waffengesetzes vom 11. Oktober 2002 (BGBl. I S. 3970, 4592; 2003 I S. 1957), das zuletzt durch Artikel 228 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328) geändert worden ist, und Messern mit feststehender oder feststellbarer Klinge mit einer Klingenlänge über vier Zentimeter auf Grundlage des § 42 Absatz 6 Satz 1 des Waffengesetzes verboten (Waffenverbotszone).

Dazu kommt noch § 2 Punkt 11:

Personen, die Waffen und Messer in verschlossenen Behältern oder Verpackungen, die einen unmittelbaren Zugriff verhindern, bei sich führen, um diese von einem Ort zum anderen zu befördern.

Dann gibt es jetzt zwei Dinge, die weiter betrachtet werden müssen. Was genau bedeutet »Führen« hier? Ein Messer in der Hand haben, es in der Hosentasche haben, es im Rucksack haben? Und ist ein Rucksack ein »verschlossener Behälter«?

Das andere ist, ob bei meinem konkreten Multitool die Klinge feststellbar ist.

Der Mechanismus funktioniert so, dass die einzelnen Werkzeuge eine kleine Kerbe haben. Dann ist da eine Feder.

Und wenn man das komplett ausklappt, rastet die Feder in die Kerbe ein und stabilisiert das ausgeklappte Werkzeug.

Man kann die Klinge nur mit Druck wieder einklappen, man muss keinen weiteren Hebel betätigen.

In der Verordnung ist ja die Referenz auf Waffengesetz § 1 Absatz 2:

(2) Waffen sind

  1. Schusswaffen oder ihnen gleichgestellte Gegenstände und
  2. tragbare Gegenstände,

    a) die ihrem Wesen nach dazu bestimmt sind, die Angriffs- oder Abwehrfähigkeit von Menschen zu beseitigen oder herabzusetzen, insbesondere Hieb- und Stoßwaffen;

    b) die, ohne dazu bestimmt zu sein, insbesondere wegen ihrer Beschaffenheit, Handhabung oder Wirkungsweise geeignet sind, die Angriffs- oder Abwehrfähigkeit von Menschen zu beseitigen oder herabzusetzen, und die in diesem Gesetz genannt sind.

Okay, das hilft jetzt überhaupt nicht zum Thema »Führen«.

Aber es gibt noch Waffengesetz § 42a. Da steht in Absatz 1 Punkt 3:

Es ist verboten […] Messer mit einhändig feststellbarer Klinge (Einhandmesser) oder feststehende Messer mit einer Klingenlänge über 12 cm zu führen.

Womit wir wieder bei »feststellbarer Klinge« wären, hier aber mit »einhändig« noch einmal eingeschränkt. Das Multitool ist definitiv kein Einhandmesser. Und feststellbar finde ich den auch nicht. Ja, eine Feder hält die Klinge sanft im ausgeklappten Zustand. Aber die rastet nicht stabil ein. Wenn man sich ungeschickt anstellt, klappt die beim Benutzen ein, was tatsächlich gefährlich sein kann.

Aber wie ist das jetzt mit dem »Führen«? Auf Mastodon kam noch der Verweis auf Waffengesetz Anlage 1 Abschnitt 2 Punkt 13:

[…] ein Messer ist nicht zugriffsbereit, wenn es nur mit mehr als drei Handgriffen erreicht werden kann;

Bei mir wäre das so:

  1. Rucksack hinlegen, um an das untere Fach zu kommen.
  2. Reißverschluss vom unteren Fach aufmachen.
  3. In dem Fach kramen, bis ich das Multitool gefunden habe.
  4. Multitool aufklappen.
  5. Messer ausklappen.

Ist jetzt die Klinge »das Messer« oder ist das ganze Multitool »das Messer«? Sind es dann sicher mehr als drei Handgriffe? Brauche ich noch eine kleine Tasche um das Teil, um noch einen Handgriff mehr zu haben?

In diesem Artikel der Westfälischen Nachrichten hat die eine für mich wirklich wichtige Information:

Die zeitlich begrenzte Regelung geht aber über das Waffengesetz hinaus, erklärt Markus Heuer, Sprecher der Bundespolizei. Abwehrspray oder Taschenmesser sind zum Beispiel normalerweise erlaubt, nach der Allgemeinverfügung aber temporär verboten.

Aha, das Waffengesetz ist hier gar nicht mehr relevant, weil es noch eine zusätzliche Verordnung gibt, die das temporär einschränkt.

Nachfrage beim Landeskriminalamt

Man kann sich beim Bundeskriminalamt melden und fragen, unter welche Regelungen ein Messer fällt. Aber die Waffenverbotszonenverordnung ist ja Ländersache. Also beim Landeskriminalamt fragen? Die verweisen für Kontakt zu den jeweiligen Polizeibehörden, in meinem Fall also Bonn. Und auf deren Seite findet man nur eine allgemeine E-Mail. Unter dem Suchbegriff »Messer« habe ich dann noch eine Seite zu Waffenrechtsangelegenheiten gefunden. Dort wird auf waffenrecht.duesseldorf@polizei.nrw.de verwiesen. Aha, das klingt jetzt langsam hilfreich. Da habe ich einmal hingeschrieben:

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich werde bezüglich Waffenverbotszonenverordnung und Waffengesetz nicht ganz schlüssig, ob ich mein Multitool bei Bahnfahrten im Rucksack haben darf. Das Multitool ist ein Leatherman Kick mit einer 6 cm langen Klinge. Die Klinge kann nur beidhändig ausgeklappt werden. Sie wird von einer Feder gehalten, kann mit Druck wieder eingeklappt werden. Ich habe Bilder vom Multitool und der Arretierung angehängt.

Darf ich dieses Werkzeug bei Bahnfahrten im Rucksack dabeihaben?

Mit freundlichen Grüßen

Martin Ueding

Als Antwort bekam ich dann dies:

Der Düsseldorfer Hauptbahnhof bspw. gehört nicht zu dem Gebiet, welches die Waffenverbotszone umfasst. Aus diesem Grund greift hier § 53 Abs. 1 Nr. 21c WaffG. Gemäß vorgenannter Rechtsgrundlage gilt für solche Messer ein generelles Führungsverbot ab einer Klingenlänge von mehr als 12,0 cm. Das von Ihnen benannte Multitool weist eine Klingenlänge von 6,0 cm auf und ist somit erlaubnisfrei. Es empfiehlt sich jedoch, dass Multitool während der Bahnreise in einem verschlossenen Behältnis zu transportieren.

Ich frage nach einer Rechtslage und bekomme ein »es empfiehlt sich jedoch«. Ja, ist es jetzt erlaubt oder nicht? Und was ist ein verschlossenes Behältnis? Ein kleines Mäppchen mit Reißverschluss oder aber eine Schließkassette mit drei Vorhängeschlössern? Entsprechend habe ich noch einmal nachgefragt:

Wie ist denn eine Empfehlung juristisch zu verstehen? Ist es erforderlich das zu tun?

Und zählt ein Fach eines Rucksacks als "verschlossenes Behältnis"?

Das hier bekam ich als Antwort:

der Begriff „verschlossenes Behältnis“ wird im Waffenrecht nicht definiert.

Unter einem verschlossenen Behältnis ist ein Behältnis oder eine Verpackung zu verstehen, welche den unmittelbaren Zugriff auf das Messer verhindert.

Ein Rucksack, der lediglich durch einen einfachen Reißverschluss verschlossen wird, verhindert nicht den unmittelbaren Zugriff.

Sofern Sie das Multitool nach Ankunft an Ihrem Zielort zwingend benötigen -das Mitführen somit unerlässlich für Sie ist-, empfehle ich Ihnen den Rucksack zusätzlich durch das Anbringen eines Vorhänge- oder Zahlenschlosses zu sichern.

Okay, dann brauche ich also irgendwas mit einem kleinen Schloss. Immerhin ist das dann etwas geklärt.

Schön war dann auch noch am Ende die Floskel, dass man jetzt keine Lust mehr hätte:

Für weitere Rückfragen in dieser Angelegenheit wenden Sie sich bitte an die Bundespolizeiinspektion.

Also da hat die Polizei eine Stelle für Waffenrecht, mag mir dort aber nicht meine Stelle zum Waffenrecht beantworten.

Fazit

Ich weiß jetzt noch immer nicht, wie es mit dem Taschenmesser in meinem Rucksack ist. Wenn ich ein Schloss an den Rucksack mache, wäre es wahrscheinlich in Ordnung. Aber das ist schon sehr lästig. Und ob das nötig ist, weiß ich auch nicht.