»Dann zieh' doch aufs Land!«

Wenn ich als Städter den Fehler machte in sozialen Netzwerken zu lange mit autoabhängigen Vorstädtern zu diskutieren, bekam ich häufig irgendwann die Aufforderung aufs Land zu ziehen, wenn ich Autos so sehr hassen würde. Puh, da muss man einiges auspacken.

Den urbanen Raum teile ich in mehrere Ringe ein. Innen ist die Innenstadt, dann kommt die äußere Stadt, der Stadtrand, die Vorstädte (oder Speckgürtel) und dann der ländliche Raum darum. In Bonn ist die Innenstadt die Fußgängerzone und die Altstadt, auch noch ein Teil von Beuel-Mitte. Die äußere Stadt sind Viertel wie Endenich, Duisdorf Pützchen. Am Stadtrand liegen Stadtteile wie Röttgen oder Vilich-Müldorf. Vorstädte sind Meckenheim, Rheinbach, Sankt Augustin, Hennef. Der ländliche Raum beginnt erst außerhalb der Vorstädte, also so die Anfänge der Eifel, Westerwald oder Sauerland.

Wird in der inneren Stadt umgeplant, zum Beispiel die Umweltfahrstreifen an der Oxfordstraße, melden sich regelmäßig in den Leserbriefen der Zeitungen Leute zu Wort, die anscheinend in den Vorstädten wohnen. Sie monieren eine angebliche Unerreichbarkeit der Bonner Innenstadt mit dem Auto. Und als Konsequenz würden sie dann eben nicht mehr nach Bonn kommen um einzukaufen, sondern eben nach Sankt Augustin zum Huma fahren. Diese Leute nehmen die Bonner Innenstadt letztlich nur als Freiluft-Mall wahr.

Diese Leute leiden auch selbst gar nicht unter dem Lärm der Autos in der Innenstadt. Die wohnen irgendwo weiter draußen in den Vorstädten oder am Stadtrand. Sie haben dort ein Haus in einer ruhigen Umgebung, keine lauten Nachbarn über ihnen und generell genug Platz um ihr Auto abzustellen. Weil sie aber so weit draußen wohnen, gibt es keinen für sie sinnvollen Weg ins Zentrum zu kommen. Der Bus braucht zu lange und kommt nicht oft genug, mit dem Fahrrad ist ihnen die Strecke zu weit und zu gefährlich. Und so nimmt man dann natürlich das Auto um in die Stadt zu fahren. Dort erwartet man einen roten Teppich und möglichst kostenlose Parkplätze direkt neben den Geschäften.

Die tentenziell eher grün wählende Bevölkerung in der inneren Stadt leidet unter dem ganzen Autoverkehr. Weil sie selbst zentraler wohnen, brauchen sie häufig selbst gar kein Auto. Die Straßen sind alle komplett zugeparkt, zufußgehen ist nicht leicht. Nachts brauche ich Ohrstöpsel um trotz des Verkehrs ruhig schlafen zu können. Lüften sollte man nicht zur Hauptverkehrszeit, sonst hat man danach die ganzen Abgase in der Wohnung. Toll ist das alles nicht.

Wenn sich nun die Leute aus der inneren Stadt über den Autoverkehr beschweren, kommen die Vorstädter mit der Aufforderung aufs Land zu ziehen. Denn nach ihrer Ansicht gehören Autos einfach zur inneren Stadt dazu. Die innere Stadt ist wie eine große Raststädte an der Autobahn. Viel Verkehr, viel Angebot. Aber man muss halt mit dem Lärm und Gestank leben.

Die Vorstädter*innen fahren selbst nach draußen in den ländlichen Raum, wenn sie sich erholen wollen. Sie nehmen die Autoabhängigkeit dort gar nicht war, sie sind ja mit dem Auto angereist und alles ist entsprechend auf sie ausgerichtet. Es ist aber weniger Verkehr als in der inneren Stadt. Und so erscheint es wie ein Erholungsort.

Dass der ländliche Raum aber eben nicht jene Annehmlichkeiten bietet, die die Siedlungsdichte der inneren Stadt bietet, ist ihnen aber nicht klar. Sie sehen nur den Mangel an Parkplätzen und verstehen daher eh nicht so recht, warum die Leute eigentlich in der inneren Stadt wohnen.

Witzigerweise würden die Vorstädter*innen selbst nicht im ländlichen Raum wohnen wollen. Sie müssten dann noch weiter fahren, als bisher. Sie bräuchten auch viel länger bis sie in der nächsten größeren Stadt sind. Und das bisschen Angebot, was es noch in der Kleinstadt gibt, hätten sie dort auch nicht.

Und somit ist diese Aufforderung total absurd. Auf dem Land wäre man ja dann plötzlich selbst vom Auto abhängig und müsste jeden Tag Stunden in dieser Kiste sitzen. Genau das wollen die Städter*innen ja eben nicht. Es geht bei dieser Aufforderung darum die Innenstadt nicht als eigenen Lebensraum zu sehen. Aber es kann eben nicht nur Vorstädte geben, es braucht auch Zentren. In diesen Zentren leben aber auch Menschen mit eigenen Interessen. Und diese dürfen das Zentrum auch formen, selbst wenn es den Vorstädter*innen nicht passt.