Auto-Anschaffungsdruck

Wir haben jetzt ein Auto. Und mit diesem Umstand sind wir nicht gerade glücklich. Die Gründe, wegen derer wir es dann trotzdem gekauft haben, sind noch frustrierender. Aber der Reihe nach.

Bisher haben wir komplett ohne eigenes Auto gelebt. Wir haben zwar hin und wieder ein Auto von den Eltern ausgeliehen, aber nie regelmäßig. Unsere alte und neue Wohnung sind jeweils mit mehr als zwei Buslinien angebunden, und es gibt in Laufreichweite noch eine Bahn. Das ist eigentlich genug Infrastruktur, um ohne Auto alles erreichen zu können. Und ich fahre ja fast immer mit dem Fahrrad, von daher ist mir das auch gar nicht so wichtig.

Wir wohnen am Rand von Bonn, und ein Freizeit-Ziel liegt in ungefähr 3,5 km Entfernung in einem anderen Ort. Zwischen Wohnung und Ziel liegt ein Gewerbegebiet, durch das man durch muss. Es fährt eine Straßenbahn, zu der Haltestelle muss man allerdings auch durch das Gewerbegebiet. Mit dem Fahrrad ist die Strecke eigentlich locker machbar. Für mich ist das im Winter mit der richtigen Kleidung auch kein Problem, meiner Freundin ist das aber zu kalt. Daher fährt sie lieber mit der Bahn, geht jedoch auch nicht gerne durch das unbeleuchtete Gewerbegebiet zur Haltestelle.

Ich konnte früher nicht nachvollziehen, warum sie sich nachts so unwohl fühlt. Wenn wir zusammen unterwegs sind, passiert ja auch nichts. Ich habe zwar rational verstehen können, dass vielleicht nur wegen der Begleitung nichts passiert, aber so richtig fühlen konnte ich es nicht. Durch viele ihrer Erzählungen, und auch durch die Lektüre von »Feminist City«1 habe ich mir diesen Blickwinkel ein bisschen aneignen können.

Ich fühle mich nachts zum Beispiel am Bertha-von-Suttner-Platz ziemlich unwohl, wenn die aggressiven jungen Männer dort ihre Kräfte messen. Sie fühlt sich durch die Anwesenheit von vielen Leuten dort relativ wohl, es herrscht eine gewisse Öffentlichkeit. Und jene Männer wollen sich mit würdigen Gegnern prügeln. Sie fühlt sich hingegen in einem schummrigen Industriegebiet extrem unwohl, und ich finde es an solchen Orten okay.

Nun liegt aber zwischen der Straßenbahnhaltestelle und dem Wohngebiet so ein Gewerbegebiet, in dem es nachts auch nur spärlich beleuchtet ist. Sie wurde an der Bahnstation auch schon mehrfach von irgendwelchen Männergruppen dumm angequatscht. Wieso halten gewisse Typen es eigentlich für legitim, einfach Frauen dumm anzuquatschen? Und dann auch noch nachts und aus einer Gruppe heraus? Wir sind inzwischen dazu übergegangen, dass ich sie an der Bahnhaltestelle abhole, damit das nicht nochmal passiert.

Man könnte jetzt einbringen, dass sie sich da nicht so anstellen muss. Sie würde ja nur angequatscht, aber es sei ja nichts wirklich schlimmes passiert. Solche Vorschläge kommen, wenn überhaupt, in der Regel von Männern. Und letztlich ist die Aussage: Sei männlicher, dann kommst du besser in der Stadt klar. Und damit hat man dann die Kernaussage von »Feminist City«1 erreicht: Die Art und Weise, wie und wer Städte plant, diskriminiert Frauen und Minderheiten. Dies wird auch in »Invisible Women«2 aufgegriffen und in einen noch größeren Kontext gesetzt.

Dass ich sie an der Station abhole, löst das unmittelbare Problem. Jedoch schränkt es ihre Autonomie massiv ein. Ich muss Zeit haben, wir müssen uns vorher verabreden. Die Alternative für sie wäre mit der Straßenbahn nach Beuel-Mitte zu fahren, dort am immerhin belebten Konrad-Adenauer-Platz zu warten und anschließend den Bus ins Wohngebiet zu nehmen. Das sind dann 50 Minuten Fahrtzeit für eine Strecke von 3,5 km, das entspricht 4,2 km/h und könnte man eigentlich auch so locker zu Fuß gehen. Wenn man halt nicht belästigt werden würde.

Das Fahrrad ist aber auch keine Alternative. Hier am Rand der Stadt ist es schon so zersiedelt, dass fast jeder Haushalt mindestens ein Auto hat. Die Wohnhäuser hier haben alle Parkplätze oder Tiefgaragen. Aber fast nirgendwo kann man Fahrradständer sehen. Und so hat unser Wohnhaus auch keinerlei Möglichkeit ein Fahrrad diebstalsicher und witterungsgeschützt ebenerdig abzustellen. Ein Pedelec sollte im Winter nicht draußen im Regen stehen müssen. Das Fahrrad wiegt allerdings 25 kg. Ich kann das in den Keller tragen, sie aber nicht. Und somit hängt sie mit dem Fahrrad ebenfalls irgendwie von mir ab; ich muss es aus dem Keller tragen.

Fassen wir also zusammen: Weil es genug Arschlöcher gibt, die es für akzeptabel halten nachts Frauen dumm anzumachen, ist der Weg alleine zur Bahnhaltestelle nicht angenehm zu laufen. Weil hier fast alle mit dem Auto fahren, gibt es überall Parkplätze, aber keine oberirdischen Fahrradabstellanlagen.

Das ganze verletzt dann das Bedürfnis nach Autonomie, man fühlt sich nachts zuhause eingesperrt. Und da es im Winter außerhalb der Arbeitszeiten immer schon dunkel ist, ist man unter der Woche also effektiv komplett eingesperrt. Das ist also das Gefühl vom Pandemie-Lockdown, nur halt jedes Jahr den kompletten Winter über. Auf Dauer ist das eine erhebliche emotionale Belastung.

Wir würden gerne zentraler wohnen, da hätte man mehr Strecken mit guter Ausleuchtung. Da das aber viele andere auch wollen, ist das nicht wirklich bezahlbar. Und es löst das Problem auch nicht komplett, denn diverse Freunde wohnen im Speckgürtel und sind mit den öffentlichen Verkehrsmitteln noch schlechter erreichbar als unsere Wohnung im Stadtgebiet.

Über diese Situation haben wir viel diskutiert. Wir wollen kein Auto haben, schon gar keins mit Verbrennungsmotor. Wir wollen ein Haushalt bleiben, der zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit dem Bus oder der Bahn unterwegs ist. Nachts schlafen wir mit Ohrstöpseln wegen dem Autolärm, wir wollen selbst nicht noch mehr Lärm erzeugen. Und dann wollen wir auch nicht, dass noch mehr Blech ungenutzt herumsteht.

Dazu kommen noch ziemlich perverse Anreize. Wir haben zum Beispiel einen KFZ-Stellplatz, der zur Wohnung gehört. Der ist in der Kaltmiete der Wohnung enthalten, wir müssen den nehmen. Es gibt aber keine Fahrradabstellanlagen, und es darf wegen Flächenversiegelung auch nichts neues mehr gebaut werden. Und eine Fahrradbox kann man auch nicht auf den Parkplatz stellen, das ist nämlich zu nah an der Grundstücksgrenze und bekäme daher keine Baugenehmigung. Dann gibt es da auch keine Möglichkeit ein E-Auto zu laden. Ich könnte das so grob 1 km entfernt an eine öffentliche Ladestation stecken, müsste es aber nach 3 Stunden auch wieder abholen. Davon abgesehen gibt es noch nicht genug gebrauchte E-Autos in unserem Preissegment zu kaufen. Das nächste COVID-19-Testzentrum ist ein reines Drive-In. Tankstelle, Autowerkstatt und Autohändler sind alle näher als der nächste Fahrradladen.

Nun hatten wir den Punkt erreicht, an dem der Anschaffungsdruck für ein Auto zu groß geworden ist. Diesen Punkt haben in Diskussionen andere Leute auch immer wieder erwähnt, wenn auch weniger differenziert. Meist ist es ein »auf das Auto angewiesen« sein, und das wird nicht weiter hinterfragt. Der Mechanismus ist allerdings der gleiche: Die Umgebung ist so sehr darauf ausgelegt, dass die Leute ein Auto haben. Wenn man kein Auto hat, dann muss man ständig gegen den Strom schwimmen. Bis zu einem gewissen Grad kann man das wegstecken und kompensieren, aber irgendwann ist es vorbei. Je nach Person ist dieser Punkt früher oder später erreicht.

Das ist der Punkt, an dem ich jetzt Häme erwarte. Ich habe früher, insbesondere als ich vor grob zehn Jahren noch dogmatischer und unreflektierter war, Leuten ihren Autobesitz vorgehalten. Für mich war das ein Symbol von individueller Faulheit, Bequemlichkeit und Ignoranz gegenüber der Klimakrise. Das war zu eindimensional, und ich bin da inzwischen etwas weiter.

Auch wenn man individuell wählen kann, wie man sich fortbewegt, kann man seine Umgebung nur begrenzt beeinflussen oder sich aussuchen. Wenn man die Verantwortung auf das Individuum verlagern kann, sind Politik und Konzerne fein raus. Das ganze sieht man beim ökologischen Fußabdruck, der von der Ölindustrie erfunden worden ist. Es wird der Eindruck erweckt, dass jeder individuell dafür verantwortlich ist, seinen Fußabdruck zu reduzieren. Das klingt zuerst ganz nett. Man kauft im Supermarkt Bioprodukte, fährt nicht mehr mit dem Auto, ernährt sich vegan, wählt einen Ökostromanbieter. Damit ist man dann einer von den Guten. Alle anderen, die das nicht machen, sind die Bösen.

Das ist aber Augenwischerei. Wir haben einen Strommix. Wenn ich jetzt Ökostrom kaufe, dann wird dadurch nicht anderer Strom erzeugt. Jemand anderes ohne Ökostrom-Tarif bekommt dann einfach etwas mehr Kohlestrom in seiner Rechnung aufgeführt. Ich bekomme ja keinen anderen Strom, wir haben keine getrennten Stromleitungen für Kohle- und Windstrom. Wirklich eine Veränderung entsteht nur dadurch, dass andere Kraftwerke betrieben werden. Darauf habe ich aber als Stromkunde keinen Einfluss. Genauso haben wir meines Wissens nach nicht genug Flächen, damit alle Nahrungsmittel in ökologischer Landwirtschaft produziert werden können. Und selbst wenn ich Bio kaufe, so wird es weiterhin Massentierhaltung geben, die Übermengen Nitrate erzeugt. Und man kann individuell auf ein Auto verzichten, eine Verkehrswende kommt dadurch allerdings nicht automatisch.

Außerdem hat jeder ein bisschen andere Vorraussetzungen. Mein Arbeitgeber hat Duschen im Büro. So kann ich die 40 km zur Arbeit mit dem Fahrrad fahren, duschen und sehe dann vorzeigbar aus. Als Mann ist das auch viel einfacher, ich muss meine kurzen Haar nicht föhnen. Als Frau wird man je nach Arbeitsumgebung schon schief angeschaut, wenn man ungeschminkt ist. Und ich verstehe zum Beispiel auch, dass man mit dem Fahrrad keine Kundentermine in der Nachbarstadt im Anzug wahrnehmen kann. Manche können einfacher als andere in einer autofokussierten Umgebung auf ein Auto verzichten. Ich habe es da mit meinem Geschlecht, Alter, Fitness, Beruf und Sturheit deutlich einfacherer als andere.

Wichtig ist in jedem Fall also ein politischer Wandel. Und den braucht es aus der Gesamtgesellschaft kommend. Diesen Wandel sehe ich, auch wenn er langsam ist. So haben wir zwar noch keine richtige Verkehrswende im Gange, jedoch ist immerhin der Abschied vom Verbrennungsmotor beschlossen. Radverkehrsförderung ist Hip, auch wenn es bei der Umsetzung noch viele Bedenken gibt. Es tut sich etwas, vor allem im Vergleich zu dem, was ich über die 1950er bis 1970er Jahre gelesen habe. Es ist noch ein weiter Weg, und es wird noch viel Kraft und Geduld brauchen.

Ich werde weiterhin für diesen Wandel arbeiten. Beim Radentscheid Bonn engagiere ich mich dafür, dass Bonn bessere Infrastruktur für den Rad- und Fußverkehr bekommt. Ich schreibe Stadtverwaltungen an und bitte sie kleine Missstände zu beheben. Mit der neuen Bundesregierung und der demnächst zu wählenden Landesregierung NRW wird hoffentlich an den großen Dingen gearbeitet, wie zum Beispiel der Ausbaustopp von Autobahnen, der Energiewende, und so weiter.

Beim autofreien Leben machen wir jetzt allerdings einen Schritt zurück, und sind dann nur noch »autoarm«; wir haben dann zwar ein Auto, fahren jedoch nur selten damit. Und ich hoffe, dass wir es mittelfristig wieder abschaffen können. Aber bis dahin fehlt uns aktuell die Geduld.


  1. Leslie Kern. Feminist City (2019) 

  2. Caroline Criado Perez. Invisible Women: Data Bias in a World Designed for Men (2019)