Anzeige wegen mangelndem Überholabstand – Ein Erfahrungsbericht

Als Radfahrer hat man ein Recht auf 150 cm Überholabstand innerorts und 200 cm außerorts. Das war vor der StVO-Novelle 2020 nur durch die Rechtssprechung festgelegt, seit der StVO-Novelle 28.04.2020 steht es auch im Gesetzestext mit expliziten Zahlen drin. Das ist wunderbar, aber wie sieht das denn dann in der Praxis eigentlich aus?

Am 13.06.2020 habe ich eine Radtour gemacht, dabei bin ich hauptsächlich Wald- und Feldwege gefahren. Oder baulich getrennte Radwege. In Wachtberg musste ich aber für ein kleines Teilstück die Landstraße nehmen. Und auf solchen Straßen habe ich immer ein mulmiges Gefühl. Ich fahre so 25 km/h, die Autofahrer sind so mit 100 km/h unterwegs. Ich muss ein bisschen Platz nach rechts lassen, damit ich trotz normaler Ausgleichsbewegungen wegen Seitenwind nicht von der Fahrbahn abkomme. Da sind ungefähr 100 cm vorgesehen, und so fahre ich ungefähr auch. Zum Überholen Außerorts muss der motorisierte Verkehr daher auf die gegenüberliegende Fahrbahn ausweichen, um vom linken Lenkerende noch 200 cm Abstand einhalten zu können. Der erste, der mich überholt hat, fuhr aber nur mittig auf dem Mittelstreifen, gut 100 cm Auto ragten noch in meine Spur rein. Obwohl ich das Auto von hinten gehört habe, habe ich mich wegen des geringen Abstands (ich schätze auf ungefähr 100 cm) durchaus erschrocken und geärgert. Es kam kein Gegenverkehr, und die nachfolgenden Autofahrer haben komplett auf die Gegenspur gewechselt. Es geht also!

Da dies nur eine Ordnungwidrigkeit ist, wollte ich versuchen es über Weg-Li beim zuständigen Ordnungsamt einzureichen. Doch für Wachtberg war dort keine E-Mail-Adresse hinterlegt. Ich habe also ein bisschen herumgesucht und am Ende die E-Mail-Adresse herausfinden können. 14.06.2020 habe ich das ganze also beim Ordnungsamt Wachtberg angezeigt. 15.06.2020 bekam ich eine persönlich verfasste Eingangsbestätigung. 16.06.2020 kam eine weitere Rückmeldung mit dem Hinweis, dass sie nur für den ruhenden und nicht den fließenden Verkehr zuständig sind; ich wurde an die Polizei verwiesen.

Bei der Polizei denke ich immer direkt an schwere Verbrechen, wahrscheinlich habe ich zu viele Kriminalromane gelesen. Mir kam es zuerst etwas übertrieben vor, eine Ordnungswidrigkeit bei der Polizei zu melden. Daher habe ich erstmal am 17.06.2020 eine formlose Anfrage per E-Mail an die Poststelle der Polizei geschickt und gefragt, wie Aussichten auf Verfolgung sind und ob sie da zuständig sind. Parallel habe ich am gleichen Tag beim ADFC angefragt, sie haben das an den ADFC Rechtsexperten weitergeleitet. Von beiden habe ich bis heute keine Antwort bekommen.

Am 23.06.2020 hatte ich ein Video der Polizei Delmenhorst auf Twitter gefunden, bei dem der korrekte Überholabstand demonstriert worden ist. Ich habe darunter gefragt, wie sinnvoll eine Anzeige in meinem Fall ist. Mir wurde gesagt, dass das sinnvoll sei, im schlimmsten Fall würde das Verfahren halt eingestellt. Ich habe noch nachgefragt, ob das dann eventuell falsche Verdächtigung sei, wenn ich den Abstand nicht genau beweisen kann. Hier wurden mir meine Bedenken genommen, sodass ich noch am 23.06.2020 dann doch die Anzeige bei der Polizei NRW über die Online-Wache eingereicht. Dort kann man nur Text schreiben, ich habe angegeben noch ein Video des Vorfalls zu haben. Ich bekam nur eine automatisierte Bestätigung per E-Mail.

Wochen später, am 02.07.2020 wurde bekannt, dass die StVO-Novelle wohl wegen Formfehlern unwirksam ist (siehe z.B. faz.net). Somit ist wohl auch der Überholabstand nicht mehr aktuell im Gesetz enthalten. Jedoch sollten weiterhin die Zahlen aus den Gerichtsurteilen belastbar sein. Dies schwächt aber meine Position, der Teil der StVO-Novelle sollte ja gerade die Ahndung zu geringer Überholabstände einfacher machen und die Radfahrer schützen. Anscheinend ist aber nicht die ganze Novelle nichtig, sondern nur der Teil mit den Fahrverboten. Von daher sollte weiterhin der Überholabstand aus der neuen StVO gelten. Auch im alten Bußgeldkatalog stand schon das Überholen mit unzureichendem Seitenabstand drin, jedoch ohne konkreten Abstandswert. Vor der Novelle waren die 150 cm nur in der Rechtssprechung gesetzt, erst danach auch in der StVO.

Endlich bekam ich am 09.07.2020 (16 Werktage nach Anzeige) Rückmeldung auf Anzeige durch die Polizei:

Ihre Eingabe über das Onlineanzeigenportal haben wir erhalten, diese wird hier unter dem Aktenzeichen […] geführt.

Bitte halten Sie die benannte Videosequenz Ihrer Dashcam auf einem Datenträger bereit, sollte im Verfahrensverlauf seitens der Bußgeldstelle Bedarf darauf geäußert werden.

Das ganze wurde also an die Bußgeldstelle weitergegeben und wird anscheinend bearbeitet. Dem Halter des Fahrzeuges wird ein Bußgeldbescheid zugestellt, mit der Möglichkeit Einspruch zu erheben. Bei Ordnungswidrigkeiten bekommt man wegen Datenschutz keine Rückmeldung über den weiteren Verlauf des Verfahrens. Wenn ich also nichts mehr gehört hätte, wäre wahrscheinlich ein Bußgeld erlassen und kein Einspruch erhoben worden.

Seit dem vergingen sechs Wochen, ich habe das ganze schon als erledigt angesehen. Nun habe ich aber am 20.08.2020 (58 Werktage nach Anzeige) eine E-Mail von der Verkehrssicherung/Bußgeldstelle des Rhein-Sieg-Kreises in Sankt Augustin erhalten. Das von der Polizei erhobene Verwarnungsgeld wurde nicht bezahlt. Daher wurde ich um Übersendung des Videos gebeten. Ich gehe davon aus, dass der Halter also Einspruch eingelegt hat. Ich bin nicht sicher, ob dem Halter gesagt worden ist, dass das Video existiert. Jedenfalls habe ich dann das Video per E-Mail an die Bußgeldstelle verschickt.

Da meine Anzeigen von der Polizei immer an die Bußgeldstelle weitergeleitet werden, habe ich den Bearbeiter einfach noch angeschrieben, ob ich die Anzeigen direkt zur Bußgeldstelle schicken soll. Kurz darauf bekam ich die Antwort. Ich hätte als Bürger beide Möglichkeiten, jedoch sei eine Einreichung bei der Polizei sinnvoll, da »somit ein Ordnungswidrigkeitenverfahren in Gänze eingehalten werden kann«. Also werde ich das weiterhin über die Internetwache machen.

Danach habe ich nichts mehr davon gehört. Ich gehe also davon aus, dass das einfach brav bearbeitet worden ist und die Bußgeldstelle mit der beschuldigen Person das ausdiskutiert hat.

Abstandsmessung

Die Abstandsmessung mache ich mit der Kamera am Lenker. Da kann man gut einen Fußgängerüberweg nutzen. Dort sind die Markierungen 50 cm breit, und die Abstände auch. Somit kann ich eine Maske anlegen, die meine Fahrspur und dann 50 cm Abstände hat.

Diese Maske kann ich dann über Standbilder aus dem Video legen. HIer sieht man meine Fahrspur in cyan, und dann die Abstände. Mein Lenker ist so 70 cm breit, somit also ein bisschen schmaler als die innersten weißen Linien. Und dann kann man die Spur vom Auto nehmen und hat da unter einem Meter zu meiner Spur, und somit dann vielleicht 50 cm Abstand zu meinem Lenkerende zum Außenspiegel. Die Reifen des Fahrzeugs müssen ungefähr bei der letzten weißen Linie sein, damit der Abstand stimmt!

Generelles Fazit

Derartige Anzeigen habe ich noch einige Male an die Bußgeldstelle geschickt. Hierbei erhält man keinerlei Rückmeldung. Das kann bedeuten, dass diese Anzeigen dann einfach klaglos bearbeitet worden sind. Bei der Stadt Bonn habe ich da ein gutes Gefühl, die Anzeigen im ruhenden Verkehr werden auch größtenteils bearbeitet.

In anderen Kommunen und Kreisen kann das anders aussehen. Manchmal werden Datenschutzbedenken bezüglich Dashcam geäußert und somit die Anzeige effektiv nicht angenommen. Da muss man einmal eine Anzeige zur Probe stellen. Im Zweifelsfall kann man sie wieder zurückziehen.

Generell habe ich inzwischen damit aufgehört, siehe Fazit zu Fahrradkameras. Es ist für mich Arbeit, bringt manchmal noch mehr Arbeit mit Bußgeldstellen und zuletzt kommt meine Adresse damit teilweise auch in falsche Hände. Der Nutzen ist mir nicht sonderlich klar, schließlich sieht man wohl fast nie die gleichen Personen erneut im Straßenverkehr.