Angst vor der Autofreien Stadt

Vor kurzem haben die Grünen eine Kaufprämie für Lastenfahrräder vorgeschlagen. Da sind diverse Zeitungen und Twitter ziemlich übergekocht. Gerade in den sozialen Medien und Kommentarspalten kamen teilweise haarsträubende Argumentationen, die interessante Einblicke in die Gedankenwelt der Leute bieten.

Im Zentrum steht bei den Leuten die Sorge, dass man demnächst nur noch Lastenrad fahren dürfte, Autos würden verboten. Völlig unreflektiert, ob das wirklich der Plan ist, wittern diese Leute ganz paranoid einen Vernichtungskrieg gegen das Auto. Dass es Bestrebungen gegen den Autoverkehr gibt, ist vollkommen richtig. Ich selbst versuche auch den Autoverkehr auf ein angemesseneres Maß zurückzudrängen. Aber dass man den Leute morgen die Autos wegnimmt oder sie gar dafür verfolgt werden, dass sie damit fahren oder eines haben, ist doch absurd.

Jedenfalls gibt es in deren Vorstellung die autofreie Welt. Und dann fangen sie an darüber zu ätzen, dass dann doch auch die Feuerwehr mit dem Lastenrad kommen müsste. Dass Supermärkte nicht mehr beliefert werden könnten; dass Notärzte dann viel länger brauchen, bis sie bei den Patienten sind. Handwerker könnten nicht mehr ihr Werkzeug zu den Kunden bringen, sie könnten nicht mehr arbeiten. Autofreie Städte müssten komplett ohne Handwerker auskommen. Alte Leute wären nicht mehr mobil, weil sie nicht mehr mit dem Auto fahren können. Die vorgeschobenen Personengruppen sind schier endlos.

Lastenräder und autoarme Städte sind schon zwei gute Schritte zu einer Mobilitätswende, jedoch bedingt das eine nicht das andere. Aber bleiben wir einmal bei der Stadt mit weniger Autos. Die meisten größeren Städte haben bereits einen Stadtteil, in dem sehr wenige Autos fahren: Die Fußgängerzone in der Innenstadt. Diese waren nicht immer dort, die wurden irgendwann eingerichtet. Und wie sieht es dort aus? Kann die Feuerwehr oder Rettungsdienst dort reinfahren? Klar! Können Handwerker zu ihren Kunden fahren? Ja. Können die Geschäfte dort beliefert werden? Ja, es gibt extra Zeiten, zu denen auf gewissen Routen der Lieferverkehr mit LKW erlaubt ist. Die Forderung nach einer autoarmen (und nicht autofreien) Stadt ist letztlich die Ausweitung der Fußgängerzone, mit allen bestehenden Sonderregeln.

Nun ist die Fußgängerzone aber paradoxerweise etwas, das die Autofahrenden sehr schätzen. Es ist nämlich ein Ort, an dem man Ruhe vor dem Autoverkehr hat. Autofahrende wissen in der Regel, wie furchtbar Autoverkehr ist, wenn man nicht im Auto sitzt. Sie wollen ein Haus im Grünen, damit man nicht den Durchgangsverkehr hört. Sie wollen eine Innenstadt oder Mall, in der man fußläufig einkaufen kann. Wenn jeder ein 1000 m² Grundstück hat, dann ist die Bevölkerungsdichte dadurch ziemlich limitiert. Zu der Fläche muss noch entsprechend Straße und Grünflächen hinzugezählt werden. Damit sich aber ein Geschäft halten kann, braucht es eine gewisse Menge Kunden, je nach Art. Ist die Bevölkerungsdichte zu niedrig, so kann sich ein Geschäft nicht mehr durch fußläufig erreichbare Wohnungen alleine halten. Entweder verschwindet es, oder es muss Kunden per Auto anziehen. Denn bei geringerer Bevölkerungsdichte funktioniert der ÖPNV nicht.

Wir haben das Problem, dass die Leute vor lauter Verkehrsstress nach draußen ziehen wollen. Dadurch sinkt die Bevölkerungsdichte. Die Wege werden immer länger, die Geschäfte zentraler. Dadurch steigt aber auch der Verkehrsstress innerhalb der Stadt, mehr Leute werden nach draußen vertrieben. Da die Immobilienpreise am Stadtrand teurer werden, ziehen die Leute noch weiter raus, und fahren durch den ehemaligen Stadtrand.

Das ganze System mit der niedrigen Bevölkerungsdichte und zentralen Geschäften funktioniert aber nur so lange, wie wir günstigen motorisierten Individualverkehr (MIV) haben. Wird der Treibstoff teurer, implodiert das System. Muss man die Strecken mit Muskelkraft zurücklegen, ist es alles zu weit. Und muss man sich sammeln, sei es ÖPNV oder Fahrgemeinschaften, so führt die starke Zersiedelung zu schlechter räumlicher und zeitlicher Abdeckung. Es ist also ein System, das nicht sonderlich robust auf äußere Veränderungen reagieren kann.

Wenn man jetzt von Seiten der Grünen etwas wahrnimmt, das eine der Voraussetzungen gefährdet, dann gefährdet das das ganze fragile System. Die einzige Möglichkeit, wie man CO₂ einsparen kann, ohne irgendwas zu verändern, sind Elektroautos. Man ändert einfach nur den Antrieb, aber die dysfunktionale Siedlungsstruktur bleibt erhalten. Und man hält am Auto fest, um die Siedlung und ihre langen Wege zu erhalten.

Soll nun dem Autoverkehr Platz genommen werden, um Radwege zu schaffen; oder Subventionen von Treibstoff oder Elektroautos gekürzt und in eine Förderung für Lastenräder gesteckt werden, so nimmt das der dysfunktionalen Zersiedelung die Grundlage. Lastenräder funktionieren, genauso wie normale Fahrräder, eben nur bis zu einer gewissen Distanz gut. 3 km sind noch angenehm zu fahren, 5 km gehen auch noch. 10 km muss man aber durchaus wollen. Mit Motorunterstützung im Fahrrad steigt die Reichweite noch etwas, aber nichts ins unermessliche. Und damit sind vom Stadtzentrum diverse Wohngebiete gar nicht mehr in Fahrradreichweite. Fette Malls auf der grünen Wiese sind mit dem Fahrrad nicht attraktiv zu erreichen.

Fußläufig ist das alles überhaupt nicht mehr machbar. 1 km bis zum Supermarkt laufen kann man machen, das ist aber schon eher über der Schmerzgrenze für viele Leute. Aber 5 km zur Arbeit laufen würden wohl sehr wenige Leute machen. Und das wissen die Leute, ansonsten würden sie nicht so feindlich reagieren, wenn man nur vorschlägt, dass man Autofahrten reduzieren würde.

Was ist ein Cowboy ohne Pferd? Ein Sattelschlepper. Und ein Autofahrer ohne Auto ist ein Fußgänger. Wenn man aber irgendwo wohnt, wo man fußläufig nichts erreichen kann, ist man ohne Auto einfach komplett aufgeschmissen. Ich hatte das in den USA erlebt. Da waren es mit dem Auto 15 Minuten zum Zentrum, dazwischen gab es nichts außer Wohnhäusern und Natur. Die Straßen bestanden nur aus Fahrbahn, keinerlei Geh- oder Radwege. Ohne Auto konnte man das Haus nicht verlassen. Ich hatte kein Auto, war also komplett abhängig dass mich jemand fährt. Ich habe nie so viel Fernsehen geschaut, wie damals.

Man kann dort nicht einfach die Autos rausnehmen. Aber nachhaltig und schön ist es auch nicht für alle jene Leute, die nicht mit dem Auto fahren können. Das sind nämlich alle unter 18 Jahren, alle Personen mit gesundheitlichen Einschänkungen, alle Personen, die sich kein Auto leisten können oder wollen. Das sind eine ganze Menge.

Niemand kann im Alleingang diese Siedlungsstruktur verändern. Aber man könnte einsehen, dass es nicht nachhaltig und sinnvoll ist, und sie nicht mehr weiter verteidigen. Für jeden einzelnen ist der erste Schritt in einer ansonsten autofokussierten Region eher negativ. Und gerade daher sollte man die Rahmenbedingungen verändern. Nur so können wir mehr fußläufig erreichbare Geschäfte bekommen, weniger Verkehrslärm und mehr Aufenthaltsqualität in den Vierteln. Dann zieht es einen auch nicht mehr so stark raus, die Wege werden kürzer, die Verkehrsmenge sinkt und die Wege können auch ohne Auto sinnvoll erledigt werden. Dann können wir alle in der Innenstadt wohnen, und es wird trotzdem lebenswert sein.