Abrissparty bei Twitter

Ich habe mich von Twitter inzwischen fast komplett zurückgezogen. Ich interagiere fast nur noch mit den Antworten zu meinen eigenen Beiträgen. Auf die Beiträge anderer Leute antworte ich fast überhaupt nicht mehr. Den anderen Leuten folgen dann irgendwelche agitierenden Leute, und ich habe diese Beleidigungen und Stress inzwischen satt. Diesen Abschied hatte ich aber vollzogen bevor Twitter an Musk gegangen ist. Und so ist Twitter keine »digitale Heimat« mehr gewesen, die ich hätte verlieren können.

Aus entsprechender Distanz kann ich nun diese Abrissparty anschauen. Und es ist wirklich absurd, was da alles so passiert ist.

Zuerst dieses unwürdige Kapitel zum Rücktritt vom Kauf, siehe Tagesschau und Tagesschau. Als Begründung wurde dann die hohe Anzahl an Bots genannt, weswegen Musk Twitter verklagt hatte. Das hatte Twitter nicht auf sich sitzen lassen, und gewann am Ende.

Trotzig wollte Musk Twitter dann doch kaufen, als hätte er eine Wahl gehabt. Und kurz nach dem Kauf gab es dann direkt Finanzierungsprobleme. Kein Wunder, schließlich muss Twitter den Kredit tragen, mit dem es gekauft worden ist.

Um die Kosten zu senken, wurden dann diverse Leute gefeuert, per E-Mail. Die ehemaligen Mitarbeiter*innen konnten diese Unpersönlichkeit kaum fassen und beschreiben es rückblickend auch noch einmal detaillierter. Die Kündigungen waren allerdings dermaßen über das Knie gebrochen, dass sie auch wichtige Leute gefeuert hatten, die sie dann wieder zurückholen mussten. Das wirkte wirklich stümperhaft.

Dann kam Twitter Blue, die grandiose Schwachsinnsidee die blauen »verifiziert«-Häkchen gegen Geld an jede Person zu geben. Bei den Plänen gab es schon Kritik, umgesetzt wurde es dann trotzdem. Diverse Trolls nutzen das aus und schadeten durch Impersonisierung von Aktiengesellschaften deren Kursen. Als Konsequenz setzten Firmen ihre Werbung auf Twitter aus. Daher wurde das Feature nach wenigen Stunden wieder kassiert und noch einmal neu entwickelt.

Twitter hatte finanziell damit noch mehr Schlagseite. Die Personalkosten waren zwar verringert, allerdings musste der Kredit abbezahlt werden und die Einnahmenseite sah düster aus. Deutlich weniger Werbekunden und kein tragfähiger Abodienst. Was macht man da als Chef? Überstunden auch am Wochenende fordern und das ganze wieder per E-Mail machen. Das ist allerdings in der EU rechtswidrig und wird auf eine große Klage hinauslaufen, die Twitter vielleicht mehr kostet als die Leute einfach mit Abfindung zu entlassen. Als wäre das noch nicht bekloppt genug, wurden Betten ins Büro gestellt, damit die Leute jede wache Minute arbeiten können. Die Stadt San Francisco sah hier einen Verstoß zum Flächennutzungsplan und kontrollierte, Musk reagierte mit Whataboutism darauf.

Mit dem Vorwand der »Meinungsfreiheit« (ich schrieb die Tage dazu) wurde dann überlegt einige Accounts wieder freizugeben, und dann wurde auch der Account von Trump freigegeben. Weil das noch nicht genug direkte Demokratie war, ließ Musk noch über eine Generalamnestie abstimmen und entfesselte dann alle gesperrten Accounts. Ich dachte, dass er weniger Bots auf Twitter wollte, jetzt hat er mehr. Siehe auch meinen Artikel zu Spam-Nachrichten auf Twitter.

Nach der Entsperrung der Bots wurden dann Journalist*innen gesperrt und der Accounts mit den öffentlich einsehbaren Flugdatenbewegungen von Musks Privatjet auch verbannt. Nach großen Aufschrei wurde das wieder rückgängig gemacht, zumindest im Teil. Um weiter die Kosten zu senken und die »Meinungsfreiheit« zu stärken, wurde das Kontrollgremium aufgelöst.

In der Zwischenzeit sind viele Personen zu Mastodon abgewandert, mich eingeschlossen. Dies wollte Musk aufhalten und verbat das Teilen von URLs anderer sozialer Netzwerke im Profil oder Nutzernamen. Dabei hat er noch im Sommer (vor der Übernahme) das hier geschrieben:

The acid test for any two competing socioeconomic systems is which side needs to build a wall to keep people from escaping? That’s the bad one!

Also ist Twitter jetzt das schlechte System?

Der Kontrollfreak meinte ja mal, dass er das Chef-Sein hassen würde. Aus dieser Motivation heraus ließ es dann über seinen eigenen Rücktritt abstimmen. Die Umfrage fiel dann nicht zu seinen Gunsten aus, er müsste jetzt also die nächste Führungskraft vorstellen, wenn er es ernst meinte.

Ich frage mich wirklich, was da seine Motivation bei ist. Ist er jetzt trotzig, weil das Gericht ihm zum Kauf verpflichtet hat, obwohl er das Spielzeug nicht mehr haben wollte? Und jetzt macht er es mit Absicht kaputt, damit die anderen da auch keinen Spaß mehr dran haben? Oder er findet das jetzt wirklich besser als vorher? Ich kann inzwischen jedenfalls behaupten, dass es mir egal ist. Twitter war eine Zeitlang ganz nett, allerdings fand ich das Medium nicht mehr richtig ansprechend und habe lieber Blogeinträge geschrieben als dort Leute mit Dreck zu bewerfen. Von daher betrachte ich mit etwas Abstand dieses Drama und bin immer wieder erstaunt, dass es meine Vorstellungen mit jeder Wendung dann doch übertrifft.

Ich habe nach dem Erstellen des Artikels irgendwann aufgehört, die Abrissparty geht munter weiter. Auf der Webseite Twitter Is Going Great sammeln andere noch weitere Dinge über das Drama. Mal schauen, wie lange es dann noch hält.