Abarbeiten über Dritte in der eigenen Bubble

Ein leider häufiges Muster ist das Abarbeiten über Dritte mit seinen Follower*innen in einem sozialen Netzwerk. Ich versuche zu beschreiben, welchen Wert das hat, und welchen nicht.

Früher auf Twitter habe ich das gerne gemacht. Man bekommt irgendwie einen Tweet in die Timeline, von einem »Dieselkopf«, einem »Nurautofahrer«, irgendwelchen konservativ-rechten Leuten, die ein total absurdes Weltbild zu haben scheinen. Man drückt auf »retweet« und fügt einen Kommentar wie an mit der Botschaft: Schaut euch den mal an, wie dumm der ist. Fallt über ihn her, zeigt ihm, wer einen Shitstorm mobilisieren kann!

Und damals sind meine Follower*innen auch gerne mit aufgesprungen. Wir, die moralisch besseren Leute, zeigen den Idioten mal, wie dumm sie sind. Dann werden die das merken! Und wenn andere zur Fackeln und Mistgabeln aufgerufen haben, bin ich natürlich auch mitgekommen.

Mit mir haben das Leute aus der »gegnerischen« Bubble auch gemacht. Meine Tweets bei sich geteilt, damit die mir mal ordentliche Beleidigungen an den Kopf werfen. Das fühlt sich immer schlecht an. Aber ich konnte dann deren Tweets wieder bei mir teilen und wieder Hilfe holen.

Damit die Gegner nicht mitbekommen, dass man über sie lästert, kann man auch Bildschirmfotos ihrer Tweets machen. Gerechtfertigt wurde das teilweise damit, dass der Twitter-Algorithmus auch negativ gemeinte Interaktionen mit Reichweite belohnt, man also durch das »Richtigstellen« von Idiotenaussagen nur deren Reichweite erhöht. Aber letztlich ist es Feigheit. Man kann es auch als Selbstschutz bezeichnen, weil man deren Reaktionen nicht hören möchte.

Damit kapselt man sich dann aber ab. Und gerade auf Mastodon sehe ich, wie irgendwelche Leute über Dinge auf Twitter diskutieren. Davon kommt nichts zu Twitter zurück. Es ist also komplett losgelöst. Und das ist okay. Ich bin froh, nicht mehr auf Twitter zu sein. Aber dann will ich mir nicht den gleichen Kram bei Mastodon reinziehen müssen.

Aber nun zur Frage, warum man das eigentlich macht. Ich halte es für ein Ritual mit dem man Gruppenzugehörigkeit ausdrückt, also »in-group« und »out-group« festigt. Indem ich mir eine Bubble aus Radfahrer*innen aufbaue kann ich wirklich mal mit Gleichgesinnten kommunizieren. Ich habe das Gefühl eine Heimat für diesen Aspekt meiner Persönlichkeit zu bekommen. Und das Zugehörigkeitsgefühl kann man durch Abgrenzung verstärken.

Inzwischen bin ich da irgendwie rausgewachsen. Denn was bringt es mir, wenn ich auf Twitter mit anderen über ein Foto von einem falsch geparkten Auto diskutiere. Das darf dort nicht stehen, klar. Das Ordnungsamt müsste das verwarnen oder umsetzen, klar. Das Ordnungsamt macht das meist aber nicht von sich aus, leider. Aber was hilft jetzt diese Diskussion auf Mastodon, was kommt am Ende bei raus? Kurzfristig gar nichts.

Mittelfristig steigt vielleicht die Wut, dass da nichts passiert. Und daraus kann sich neues ergeben. So bin ich dazu gekommen Privatanzeigen zu schreiben. Und irgendwann habe ich auch damit aufgehört und angefangen mich mit dem Ordnungsamt in Bonn auseinanderzusetzen. Zuerst einfach nur das Melden von Verkehrsbehinderungen, dann später auch Dienstaufsichtsbeschwerden wenn sie nichts gemacht haben. Inzwischen sitze ich über den Radentscheid alle sechs Wochen mit der Stadtverwaltung zusammen und wir tauschen uns über den Stand der Umsetzung aus. Ich hatte auch schon zwei Gespräche mit Amtsleitern der Stadt Bonn. Das sind Sphären, in die man von Twitter aus nicht kommt.

Von daher kann ich zwar das Bedürfnis haben, dass man sich nicht alleine fühlen möchte. Aber dann kann die Kommunikation unterhalb der Gleichgesinnten doch eher positiv verlaufen, man kann versuchen schöne Visionen zu entwickeln, Leute versuchen zu inspirieren. Das halte ich für erfüllender als sich einfach nur an Idioten abzuarbeiten.

Ich möchte einladen den Frust nicht nur auf Mastodon oder Twitter auszutauschen und es dabei bleiben zu lassen. Lieber die Energie nutzen und wenigstens versuchen etwas positives zu erreichen. Das ist mühsamer, aber auch viel belohnender. Schaut einmal, ob ihr einen Radentscheid in eurer Stadt habt. Falls nicht, vielleicht gibt es beim ADFC oder VCD ein latentes Interesse daran. Oder schaut, dass ihr eben über die Ortsgruppen von ADFC, VCD oder Fuß e.V. euch einbringt und mitwirkt, dass eure Wünsche auch ankommen. Die Lokalpolitik ist ebenfalls geeignet sich einzubringen. Man kann häufig zu den Sitzungen der Fraktionen gehen und Wünsche äußern. Oder einfach mal einzelne Politker*innen anschreiben. All das bringt mehr als nur in einem Shitstorm mitzumachen.